Dr. André Pfoertner

Weihnachten 1818

Im 18. Jahrhundert irgendwann
Begann
Es auch in Salzburg: Die Entzauberung der Welt.
Dem Volk verbot man, was ihm so gefällt:
Omina deuten,
Wetterläuten,
Osterritt und Wetterschiessen
Und Fronleichnams-Prozession;
Wallfahrten sich anzuschliessen,
Grosse Spiele der Passion.
Der Kräuter und der Speisen Weihe,
Die Weihnachtskrippe und den Baum im Maie;
Ja sogar das Puppenspielen –
Alle Traditionen fielen.
Jahrtausend’ altes Brauchtum ward zunichte -
Die Obrigkeit diktierte aufgeklärt
Die einzge Art, auf die man Gott verehrt.
Der Rest kam auf den Müllplatz der Geschichte.

Doch auf all dies folgte kein Segen –
Die Wiener Bank – sie ging bankrott
Und mit ihr Salzburgs Geld – wo war da Gott?
Die Aufklärung stand da im Regen –
Und aufzieh’n sah den Sturm man schon:
Von Frankreich kommend: Revolution.

Durch Schnitters Sanduhr lief der Sand.
Zweihundertjähr’ger Frieden ward beendete.
Napoleons Truppen zogen durch das Land.
Es wurd’ geplündert und geraubt, zerstört, geschändet!
Und einquartiert!
Und requiriert!
Und demoliert!
Und schliesslich säkularisiert:
Das war das End’ vom grossen Traum.
Ältstes Erzbistum, du, im deutschen Raum,
Nun warst du Heim von Bettlerhorden,
Die wehklagten im Elend dumpf,
Und fremden Truppen, die da morden.
Im Dom das Ew’ge Licht nur mehr ein Stumpf.

Das Territorium - abgehackt bis auf den Rumpf:
Tirol bekam das Zillertal,
Das Berchtesgad’ner Land – es fiel an Bayern,
Die neuen Grenzen waren eine Qual.
Auf Salzburgs Wirtschaft lasteten sie bleiern.
Dem weissen Golde, Salzburgs Stolz,
Fehlt’ zum Transporte jäh das Holz.
Nach all den Wechseln und den Kriegen
Kam nun die Salzach-Schifffahrt zum Erliegen.
Die Schiffer wurden arbeitslos.
Der Bischof fort, die Stände tot,
Der Schuldenberg war riesengross,
Es herrschten Armut, Mangel, Not.

Man schloss die Fakultät der Medizin
Und bald darauf die Universität;
Des Paracelsus Dreh’n im Grabe nahm man hin.
Solch’ Zeiten kennen keine Pietät.
Rettung und Hilfe schien es nicht zu geben:
Wer konnte, wandert’ aus,
denn wer will so schon leben?

Viele Gebäude stehen seitdem leer,
Zwischen den Plätzen wächst das Gras.
In der Residenz spielt die Musik nicht mehr –
Verhallt ist plötzlich alles, was
Michael Haydn hier gespielt,
Leopold Mozart und Wolfgang.
Nur eine Ratte durch die Noten wühlt:
Das ist des Ruhmes Abgesang!
Auch Diabelli ist verzogen
Weber längst andernorten komponiert.
Ein Schüler fühlt sich einsam und betrogen,
Als er in leere Flure stiert.

Selbst der Verwaltung war die Stadt ein Graus’ –
Der Kaiser überlegt’ nicht lang, verlegt’ sie.
Und wer noch hier ist, denkt: „Das ist das „aus“ –
Salzburg, regiert von Linz aus, welche Ironie!“

Im Winter 16/17 gibt’s kein Brot.
Brennnesseln kaut man, Wurzeln, Kleien.
Die Kreuze werfen Schatten, lang und tot –
An einer Ecke hört man Husten, Speien.
Ein Totenschädel bleckt die weissen Zähne –
Am Grab des Kind’s vergiesst die Mutter eine Träne.

Im Jahre 1818 brennt die halbe Stadt.
Das Feuer zeigt sich nimmersatt
Und schnell:
Barocke Kirchen und Schloss Mirabell –
Was rechts der Salzach, wird der Flammen Raub.
Asche zu Asche, Staub zu Staub.

Jetzt ist es Weihnacht und der Wind pfeift eisig.
Schnee stöbert in verkohlt’ Ruinen.
Nicht jeder hat ausreichend Reisig
Und klein nur brennen Feuer in Kaminen.

Oft liegen Kranke auf verfaultem Stroh
In Lumpen, welche selbst verfault.
Das Glück ist wahrlich anderswo –
Ein todgeweihter Hund weit draussen jault.

Die Schifferkirch’ Sankt Nikolaus
In Oberndorf am Salzach-Fluss
Sieht diese Weihnacht’ ärmlich aus
Bei minus zwanzig Celsius.

Nicht einmal ihre Orgel funktioniert.
Die Christmett’, die ist heute stumm -
Die Schiffer stehen konsterniert.
Da plötzlich geht ein Raunen um:
Es kommt Hilfspriester Joseph Mohr
Und zieht seine Gitarr’ hervor.
Mit Fingern steif und klamm zupft er ganz sacht:
„Stille Nacht! Heilige Nacht!“
Es singen Gruber Bass und Mohr Tenor.
Ein Wiegenlied,
Das nie gehört,
Jedoch es zieht
Ganz unerhört.
Es ist so zart, es ist so fein,
Es stimmen immer mehr nun da hinein.
Und es erschallt der Schiffer-Chor:
„Stille Nacht! Heilige Nacht!
Die der Welt Heil gebracht!“
Bei diesen Tönen weiten sich die Herzen
Und innerlich erstrah’ln jetzt tausend Kerzen.
Man spürt die Kälte gar nicht mehr,
Man badet ja im Töne-Meer.
Nun schallt’s hinauf, hinab den Strom,
Es hallt von Oberndorf zum Dom.

Und als es verklungen mit einem Mal
Ertönt ein Echo vom Zillertal:
„Stille Nacht! Heilige Nacht!“
Dieses Lied ist eine Macht!
Es erklingt bald ziemlich helle
In Leipzig in der Hofkapelle.
Bald darauf ist es in Berlin,
Zieht über Skandinavien hin,
In Indien ist es auch dabei,
In New York, L.A. und Hawaii.
Durch Missionare in Afrika,
Neuseeland, Südamerika.
Makartscher Festzug des Gesanges,
Der bis hin zu den Sternen schallt;
Von dort verDopplet widerhallt.
Bewegte Herzen edlen Klanges.

Und die Moral von der Geschicht’:
Zum Erst:
In einer Not, verzweifle nicht!
Zum Zweit:
Ehe das Schicksal sich nun wendet,
Musik und Glaube Trost Dir spendet!
Zum Dritt:
An Weihnachten gedenk’ der Ärmsten,
Die wie die Schiffer von Sankt Nikolaus
In klirrend Kälte harren aus –
Ein solch Gedenken ist am Wärmsten.

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