Anita Namer
Der Teebeutel und das Leben
Der Teebeutel und das Leben
Es waren einmal ein paar Wiesenkräuter. Sie wuchsen an einem Berghang mitten unter vielen anderen Wiesenkräutern. Sie freuten sich, wenn die Sonne schien – und auch wenn es regnete. Wenn die Sonne schien – drehten sie sich in ihre Richtung - und wenn es regnete, saugten sie sich voll Wasser, um später wieder ein Stückchen wachsen zu können. Ihre Wurzeln gruben sie tief in die Erde, so konnten sie viele Nährstoffe aufnehmen – und wenn ein Sturm kam, konnte er ihnen nichts anhaben, weil sie festen Halt im Boden hatten.
Hin und wieder bekamen sie Besuch von einer Biene, einer Hummel – manchmal sogar von einem Marienkäfer. Das war ganz schön interessant, weil all diese Tiere was zu erzählen hatten und so wurde ihnen das tägliche Einerlei nicht so langweilig.
Die Wiesenkräuter unterhielten sich über dies und jenes, manchmal auch über den Sinn ihres Lebens. Die einen meinten, es reiche, hier auf der Wiese zu stehen, zu wachsen und gedeihen und sich des Lebens zu freuen, die anderen dachten über einen tieferen Sinn nach – es müsste doch noch etwas anderes geben? Die nächsten meinten, es wäre wohl wichtig, Samen zu treiben – um den Fortbestand der Wiese zu erhalten. Aber wirklich genaues wusste niemand.
Zwischendurch kamen Wanderer vorbei und hin und wieder zückte einer eine Kamera und fotografierte ein paar Blumen. Er freute sich über tolle Aufnahmen - was er wohl mit den Fotos machen würde?
Auch Kinder kamen vorbei – sie lachten und tollten über die Wiese und freuten sich, einfach so viel Raum zu haben, um sich zu bewegen.
Manchmal kam ein Bauer, mähte einige Teile der Wiese ab und brachte die Kräuter fort. Wurden sie Vieh-Futter? Verfaulten sie im Silo? Kamen sie in eine Vase? Wurden sie zu einem wunderschönen Blumenstrauß gebunden und als Zeichen der Liebe verschenkt? Wurden sie gepresst zu einem Bild? Wurden sie getrocknet? Wurden sie gemixt zu einem Green-Smoothie? Was weiter mit ihnen geschah – hatte noch nie jemand gehört. Keiner von ihnen war je zurück gekommen.
Eines Tages kam eine alte Frau. Sie wählte sorgsam einige von ihnen aus, bedankte sich bei ihnen dafür, dass sie sie mitnehmen durfte. Sie schnitt sie, trocknete sie in der Sonne und gab sie dann in kleine Beutel. Ihre ganze Lebenskraft blieb darin erhalten. Immer wieder kamen Menschen und baten die Frau um Hilfe. Es gab viele verschiedene Beutel – je nachdem, was es für Kräuter waren. Für dies und jenes – waren sie hilfreich. Die Alte kannte sich mit ihnen aus und fand immer die richtigen Beutel für das jeweilige Zimperlein.
Zuhause übergossen die Menschen die Beutel mit heißem Wasser. Oh weia, das war ganz schön heiß. Die Kräuter verströmten ihre ganze Kraft ins Wasser. Die Menschen, die den Tee tranken – wurden schnell wieder gesund.
So fand jedes der Wiesenkräuter – seinen eigenen Weg – und was wirklich der Sinn ihres Daseins war…..war nie wirklich klar – weil jedes seine ganz eigene Bestimmung hatte.
© Text & Foto: A. Namer
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.09.2013.
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