Christoph Klesse

Advent

Die Tür geht auf,  ich trete ein. Bin ich schon da?
Jetzt mache ich die Augen auf. Von dort komme ich her.
Das war mein Raum. Ich erinnere mich undeutlich.
Habe ich hier gewohnt? Noch habe ich nichts gesagt,
noch bin ich nicht wirklich da.
Fang noch einmal an!

Ich mache die Tür auf. Da stehe ich,
beachte mich nicht, nur die Bewegung,
die ich ausführe.
Aber jetzt spreche ich von mir,
ziehe mich in Betracht, setze mich in Beziehung,
fange an, mich zu messen und schon
höre ich auf, ganz da zu sein.
Fahr fort!

Ich bin der im Raum steht.
Ich bin die Erinnerung an diesen Raum,
der einmal unser Raum war.
Ich bin die Erinnerung an eine Zeit
zwischen diesen Zeiten,
und jetzt erinnere ich mich:
Da, wo ich herkomme, war ich nicht.

Ich mache die Tür auf.
Ich komme herein.
Jetzt bin ich da.
Guten Tag.

Da bist du. Da bin ich.
 

Der Text "Advent" handelt vom Hiersein und vom Erinnern.

"Ich" kehrt zurück an einen Ort oder in eine Umgebung, wo es schon früher "gewohnt" hat. Ein Teil des "Ich" bleibt dabei zunächst in der Vergangenheit, im Früher stecken.

Im zweiten Anlauf gelingt es, den inneren Dialog, das Sprechen mit sich selber, sowie die Selbstbeobachtung auszuschalten. Jetzt erst vermag "Ich", im Hier richtig anzukommen.

Es gelingt "Ich" für den Augenblick, ganz gegenwärtig zu sein, und auf dieser Basis den gleichen Raum mit dem "Du" so zu teilen, dass jeder seinen eigenen Platz einnehmen und den des anderen respektieren kann.

Da wo das "Ich" herkommt, früher, so erkennt es jetzt, war es nicht voll gegenwärtig. Ein Teil seiner Wahrnehmung war nicht auf die damalige Gegenwart ausgerichtet, sondern auf Davorliegendes oder auf imaginiertes Künftiges.

Wie oft gelingt es uns, ganz im Jetzt zu leben? Können wir die Vergangenheit loslassen, ohne sie zu vergessen?
Christoph Klesse, Anmerkung zum Gedicht

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.12.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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