Michael Römling
Hundert Häute
Wie ein Reptil hat sie sich hundertmal gehäutet
Und unter hundert Häuten liegt sie regungslos.
Sie fühlt die Last von hundert Toden auf sich liegen
Und blickt zurück auf hundert Leben: viel zu groß
War ihr die Purpurhaut. Sie hat sie abgeworfen.
Die Marmorhaut erbleichte und verschwand.
Die Steinhaut ist ihr immer wieder nachgewachsen,
Die Holzhaut immer wieder abgebrannt.
Ein Labyrinth aus hundert aufgefüllten Kellern
Blickt sie mit ausgehängten Türen an.
Sie legt sich in die leeren Sarkophage
Und zählt Provinzen auf, wenn sie nicht schlafen kann,
Und ruft Legionen zum Appell, die schwankend
Und blind im bodenlosen Dunkel stehn.
Sie weiß von Tagen, dass sie heller sind als Nächte
Doch ihre Nächte wollen nicht vergehn.
So liegt sie unter ihren abgelegten Häuten
Und während sich der Himmel wieder purpur färbt,
Schließt sie die Augen: totgesagt und nie gestorben
Zu früh begraben und zu spät beerbt.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.09.2004.
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