Mara Krovecs

Die Nacht der alten Frauen




Kurz vor Mitternacht
weckte mich Fledermausflug ,
meine Haut schimmerte weiß
im milchig vollen Mondenschein ,
ich schlief im Sommergarten ,
ein Windlicht flackerte
knisternd sein Leben aus ,
da trat sie wie schwebend
aus unserem schlummernden Haus.

Die Haare bis in die Knie ,
silbern , mit Margeriten darin ,
im weißen Nachtgewand ,
die alte Frau aus Sibiriens Herz ,
ich folgte ihr , wir kamen zum Wald ,
wir kamen zur Quelle , dort stieg
sie sacht die Stufen zum Wasser hinab ,
und da standen auch die anderen ,
wuschen sich die faltigen Gesichter ,
die schwieligen Hände ,
die verhornten Füße ,
von Fackeln wehten die Lichter ,
spukten Schatten auf ihre
schweigenden Gesichter.

Ich versteckte mich hinter
einer großen Fichte ,
Herzklopfen bis in
die Wimpern , mein Herzschlag schneller
als Vogelschwingen flatterten ,
die Eulen riefen meinen Namen ,
Zweige knackten unter meinen Füßen ,
ich stand und starrte gebannt ,
denn inzwischen waren
es so dreißig alte Frauen
und sie stiegen die Stufen
wieder empor ,die Lichter in ihren Händen,
gingen tiefer in den Wald hinein ,
bis zur Lichtung , bis zum See.

Was wollten die Alten im Wald?
Mit Blüten im weißen fliegenden Haar ?
Sie fassten sich an den Händen ,
Mondwind wehte leicht , sie tanzten im Kreis ,
und sangen wie Nachtviolen wunderbar.
Tannenduft küsste ihre Falten
und Augen glühten im Feuergesang ,
ich weiß nicht , wie lang sie sangen und tanzten ,
doch dann streiften sie ihre Kleider ab ,
und sprangen lachend in den See ,
sie tauchten und planschten mit nackten Leibern
und schwammen wie Nymphen im Mondenscheinsilberschnee .
Ein Reiher erhob sich , gestört durch den Lärm ,
flog schwere Flügel schwingend über
schweigendes Schilf ,unter windstillen Himmeln ,
in unserer Milchstraße ,in geheimnisvoller Galaxie .
Ich entschloss mich zu gehen , der Wald war dunkel und still ,
den Reigen der Alten wie Geisterspuk in meinem Sinn ,
zog es mich noch einmal zu ihrer Lichtung hin ,
dort fand ich im hohen Gras ,Margeriten ohne Zahl ,
lieblich weiß gewachsen , zitternd im Silbermondenstrahl .

Nun ist die Nacht lange vorbei ,
meine Tage im Garten sind schön ,
die Sonne strahlt Wärme in meine Seele
und die Feuer der Alten , sind sie erloschen ?
Wie durch Windhauch bewegt sich eine Gardine im Haus ,
in dem Fenster steht die alte Russin und winkt ,
winkt mir zu und lacht – ich verstehe –
denn ihre Feuer könnten einst die meinen sein ,
ihr zärtlicher Tanz , ihre Blumen im Haar ,
ihre Liebe zum Leben im nächtlichen Sternenschein .



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.11.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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