Karl-Heinz Fricke
Ein göttliches Versehen
Lieschen Lehmann aus Stralsund,
sommersprossig, kugelrund,
leider ledig sie noch war
mit ihren neununddreißig Jahr'.
Sie schaffte schwer in der Fabrik,
hörte liebend gern Musik,
dachte, hätte viel versäumt,
hat oft von einem Mann geträumt.
Plötzlich wurde Lieschen krank,
da wurde es ihr angst und bang.
Man schaffte sie ins Krankenhaus,
dort nahm man ihr die Galle raus.
Ängstlich faltete sie die Hände,
sie fürchtete sich vor dem Ende,
und rief den Herrn in ihrer Not:
Sag' bitte mir, geh' ich jetzt tot ?"
Der Herr, der sprach zu ihr sodann,
sie sei lange noch nicht dran.
Noch vierzig Jahre würd' sie leben,
das beruhigte das Angst und Beben.
Als man die Galle ihr entfernt,
hat sie im Krankenhaus gelernt,
man könne weiter operieren,
sie könne all ihr Fett verlieren.
'Ne Liftung wär' auch zu empfehlen,
sie konnt' die Freude nicht verhehlen.
Sommersprossen und die Falten
brauche sie nicht zu behalten.
Als man sie endlich hat entlassen
schritt sie glücklich durch die Gassen.
Man hatte aus ihr eine Schönheit gemacht,
die Männerwelt war schnell erwacht.
An einer Kreuzung es geschah,
ein Raser sie ganz übersah,
und in einem solchen Falle
kommt man in die Leichenhalle.
Als sie im Himmel angelangt,
hat sie nicht dem Herrn gedankt.
Ihre Wut war offenbar:
"Wo sind sie, meine vierzig Jahr' ?
Warum hast du mich nicht beschützt,
dein Gotteswort hat nichts genützt !"
Da sprach der Herr ganz unverwandt:
"Ich habe dich nicht mehr erkannt !"
Karl-Heinz Fricke 18.05.2006
Anmerkung: Die Anregung zu diesem Gedicht gab mir freundlicherweise unser Freund und Leserkommentator Karl-Heinz Nolte.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.05.2006.
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