Karl-Heinz Fricke
Die einsame Linde
Man hatte ohne jedes Zagen
die Bäume rings um sie geschlagen.
Sie hörte Gelächter und Fluchen,
als sie schlugen all die Buchen.
Einsam die Linde stand und dachte,
Was wohl sie nur allein nun machte.
Von allen Seiten pfiff der Wind
ungestüm um ihre Rind'.
Oh, wie er die Blätter schüttelte
und an den dünnen Zweigen rüttelte.
Der Winter belud sie schwer mit Schnee,
sie bogen sich vor Ach und Weh.
Die Eiseskälte, schrecklich stark,
drang bis in das tiefste Mark.
Sie brauchte Gesellschaft auf Erden,
im Frühjahr sollt' es anders werden.
Die Linde hatte sich entschlossen
zu suchen einen Gesprächsgenossen.
Und sie hatte überlegt,
wie ein Baum sich frei bewegt.
Ohne auch nur zu purzeln
ging die Linde ohne Wurzeln
einen Kilometer weit.
Dort stand zu ihrer Seligkeit
ein Eichenbaum im Frühlingskleid.
Und wie konnt' es anders sein,
genau wie sie, mutterseelenallein.
"Ei, ei liebe Eiche, Sie sind auch allein,
wo sind die Brüder und Schwesterlein ?
Ach, Frau Linde, sie sind fort,
sind Bretter an den Häusern im Ort.
Mich haben sie gnädigst stehen gelassen,
zuerst konnte ich mein Glück nicht fassen.
Doch jetzt finde ich es gemein,
wer mag schon gern alleine sein.
"Bleiben Sie doch einfach hier
und plaudern Sie mit mir?"
"Einfach rührend ich das finde",
sprach darauf die alte Linde.
Endlich fand ich neues Glück,
die Wurzeln lass ich gern zurück.
Karl-Heinz Fricke 21.06.2006
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.06.2006.
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