Norbert Wittke
"Todesanzeige"
Auf einer Trauerfeier zusammen sitzen wir,
vor Kummer könnten wir glatt verzagen.
Unser gemeinsamer Nachruf gilt denen hier,
die schon lange gegangen sind durch unseren Magen.
Heute morgen schon um sechs Uhr in der Frühe
ist unser letztes Brot, zwei Tage alt, von uns gegangen.
Wir machten uns vorher noch die große Mühe,
und das war schon ein mehr als schweres Unterfangen,
es zu bestreichen mit unserem letzten Achtel Butter.
Das alles macht uns so im ganzen schmerzerfüllt.
Es weinte selbst ganz laut dabei unsere Mutter.
Sie hat dafür gesorgt, dass wir nun alle schwarz gehüllt.
In diese Todesanzeige steckten wir unser letztes Geld,
geschüttelt von großem Kummer und ängstlichen Verzagen,
um es zu vermelden in der ganzen großen Erdenwelt,
wir sitzen nun ganz traurig hier mit einem knurrenden Magen.
Lotti geb. Fleischlos, Willi Heuser und Frau, geb. Ochsenfett,
Frau Putti, geb. Magermilch und Erna Kartoffelknapp so zu sagen.
Eine Essenspende hier am Grabe wäre für uns alle sehr nett,
so getröstet könnten wir einen neuen Anfang für uns gerne wagen.
Bad Elend, im Kalorienjahr 1946, Steckrübenstr. 12
15. Nov.2006 Norbert Wittke
(Geschrieben nach einer Todesanzeige, die mir unser aller Freund und Kommentator
Karl-Heinz Nolte zukommen ließ mit Email vom 14. Nov.2006. Es ist eine von ihm
gesammelte Anzeige aus dem Jahre 1946, wo auch in Bad Elend in der Steckrübenstr. 12
Not und Elend herrschten. Wie heißt es doch "Not macht erfinderisch.")
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.11.2006.
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