Inge Offermann
Stiller Abschied
In diesem Frühling erblickte Mutter
noch einmal Bäume in jungem Laub
und leuchtende Hyazinthen im Park,
doch vertraute Straßen
erschienen ihr schon fremd,
und die vielen Menschen
dieses sonnigen Tages
scheute sie.
Sommers hing sie
in ihrem Rollstuhl im Garten
wie eine welke Blume,
das heitere Blau des Himmels
ermüdete sie.
Selbst warme Herbsttage
und bunte Blätter
berührten sie innerlich
kaum noch.
Ein Tag verdämmerte für sie
wie der andere
in Novemberstille.
Schneeflocken und Weihnachtslichter
zauberten noch
ein mattes Lächeln
auf ihr eingefallenes Gesicht.
Besuchern drückte sie
schwach die Hand,
bis sie eines Abend
im winterdunklen Zimmer
Abschied von den Farben
eines langen Lebens nahm,
bevor ein neuer Frühling begann.
Ihr blumenbuntes Grab
erinnert mich an
unsere gemeinsame Zeit.
© Inge Hornisch
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.01.2007.
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