Karl-Heinz Fricke
Die Erbschleicherin
Der alte Vater hatte die 80 erreicht.
Ein einsames Leben ist nicht leicht,
er lebte in seinem Hause allein
und dem Ende näherte sich sein Sein.
Seine drei Kinder, nicht mehr am Ort,
sie zogen schon seit Jahren fort,
gründeten ihre Familien weit entlegen,
und waren nur selten beim Vater zugegen.
Besonders seit die Mutter gegangen,
war mit dem Alten nichts anzufangen.
Er schien in Umnachtung abzusinken,
zudem begann er viel Wein zu trinken.
Die Kinder sahen den Niedergang,
sie beratschlagten stundenlang,
etwas müsse sofort geschehen,
jemand müsse nach dem Vater sehen.
Sie suchten und fanden sehr bald
eine Frau, fünfzig Jahre alt.
Vertrauenswürdig sah sie aus,
und sie zog zum Vater ins Haus.
Die Kinder wieder aus der Bahn
reifte in der Frau ein Plan.
Ein Netz sie spann, hauchfein,
es sollte ihre Lebensversicherung sein.
Es wurde bald der Frau bekannt,
dass ein Testament bestand.
Sie begab sich zu einem Advokaten
und liess sich ausführlich beraten.
Genau den Richtigen hatte sie erwählt,
und ihm von ihrem Plan erzählt.
Um zu erben, redete er ihr ein,
müsse sie mit dem Greis verheiratet sein.
Den Alten, im Kopf nicht mehr klar,
überzeugte sie, dass eine Heirat nötig war.
Zum Standesamt nach Wochen schon,
ganz ohne Wissen von Töchtern und Sohn.
Ein neues Testament wurde gemacht,
sie hat sich heimlich ins Fäustchen gelacht.
Der Alte alles nicht recht verstand,
er unterschrieb mit zittender Hand.
Ihre große Zeit schien gekommen,
die Kinder würden nicht viel bekommen.
Der Advokat lächelte mokant und fein,
und strich das Honorar mit Freuden ein.
Die Frau machte ein Riesentheater
als er verblich, der alte Vater.
Überzeugend schien ihre Trauer zu sein,
und er bekam einen schönen Stein.
Die Kinder wunderten sich gar sehr,
wo kam die große Anteilnahme her ?
Sie war doch nur die Haushälterin
und ohne jeglichen Familiensinn.
Ach, wären sie doch wachsam gewesen,
erstarrt hörten sie das Testament-Verlesen.
Dann hörten sie bestürzt genau,
die Haushälterin war Vaters zweite Frau.
Sie hatte den größten Nachlassbissen
in raffinierter Weise an sich gerissen.
Sie lachte die Kinder höhnisch aus
und wies sie sogar aus dem Elternhaus.
Recht ist nicht immer Gerechtigkeit.
Die Kinder indes verloren keine Zeit,
das neue Testament anzufechten,
ein anderer Anwalt sah nach ihren Rechten.
Ungewiss oft solche Versuche sind,
doch wehte für sie der rechte Wind.
Dem Weibe erging es schlecht,
der Richter stellte her das Recht.
Sie wurde Erbschleicherin genannt
und ganz aus der Stadt verbannt.
Wütend und zeternd verließ sie das Haus,
vollkommen leer ging das Luder aus.
Karl-Heinz Fricke 30.03.2007
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.03.2007.
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