Omimi

Staubwischen war angesagt.
Eine Arbeit, die ich überhaupt nicht mag!
Besonders auf meinem Schreibtisch,
wo sich das Chaos ausbreitet traumatisch.

Dort stehen sie traut beieinander,
unsere Ahnen, egal, wie sie standen zueinander.
Von Großpapa bis Großmama,
Eltern und Schwiegereltern, alle sind da.

Ein Foto nach dem andern
ließ ich durch meine Hände wandern.
Beim Entstauben konnte ich's mir nicht verkneifen,
die Gedanken in die Vergangenheit lassen zu schweifen.

Manche Erinnerung entlockte mir ein Lächeln,
bei anderen muß ich mir noch heute Luft zu fächeln ...
Doch mögen sie Alle ruhen in Frieden,
sei ihnen ewige Seligkeit beschieden!

Ein Bild stellte ich nicht gleich zurück.
Die Aufnahme war ein seltenes Glück.
Die Frau auf dem Foto war kamerascheu,
blieb dieser Macke ihr Leben lang treu.

Weißes Haar. Augen verschmitzt,
aus denen der Schalk nur so blitzt.
Sie war für jeden Spaß zu haben.
Liebe und Humor, das waren ihre Gaben.

Für uns Kinder war sie immer da.
Sie war sowas wie unsere zweite Mama.
Die Frau auf dem Foto war unsere Omimi.
Vergessen werde ich sie nie!

Sie war's, die jeden Kummer mit uns teilte,
bei Krankheit an unserem Bett verweilte.
Gab's Ärger mit den Eltern, sie stand uns bei.
Sie hatte für jedes Wehwehchen die passende Arznei.

Bei jedem Problem half sie mit Rat und Tat,
Omimi hatte stets einen Ausweg parat.
Ihre Liebe hüllte uns alle ein,
war die Garantie für ein glückliches Kinderdasein.

Und was konnte sie alles erzählen,
ihre Freude daran kaum verhehlen!
Erinnerungen aus ihrer Kinder- und Jugendzeit
in dem alten Berlin zur Kaiserzeit.

Schon erwachsen, hörte ich noch gerne zu,
habe es in mich aufgesogen geradezu.
Jetzt trage ich die Erinnerungen im Herzen,
was mir hilft, ihren Tod zu verschmerzen.

Ihr Foto steht wieder am alten Platz.
Während ich jetzt schreibe Satz für Satz,
ist mir, als lächelt sie mir zu:
Was auch passiert, ich bin bei Dir immerzu!

 

© Nora Runge