Rainer Tiemann
Ordinär sein
Franz entstammte bestem Hause,
aus dem ein Mensch nur stammen kann.
Doch wie ein Kind sich zu benehmen,
wollt´ länger er sich nicht bequemen.
Als schließlich seine Mutter fragte,
was denn sein Lebenstraum so sei,
da glaubte sie sich zu verhören:
Mal ordinär sein - das macht frei!
Er wolle sich auch mal betrinken,
er wolle auch mal flirten gehen.
Er wolle nicht nur Vollmilch trinken,
wie es zu Hause sei geschehen.
Er wolle auch mal auswärts schlafen,
die Nacht sei nicht nur dafür da...
"Auch du zählst zu den schwarzen Schafen!",
war schnell für seine Mutter klar.
Witwe war sie schon seit Jahren
und ihr Sohn der ganze Stolz.
Schrecklich für sie, zu erfahren,
dass er nicht aus ihrem Holz!
In so vielen langen Jahren
hatte er sich aufgegeben.
Doch jetzt war der Zeitpunkt da:
Er wollte ganz anders leben.
Endlich wollte er das tun,
was man tut in jungen Jahren:
Lieben, trinken, auch versumpfen,
wie es jeder schon erfahren.
"Ordinär sind deine Triebe,
so ordinär und sonderbar!"
Franz entfloh der Mutterliebe,
weil er schon über sechzig war.
RT 2007
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.12.2007.
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