Ana Logie

Zirkus Herzschmerz

 
„Sensation, Sensation! Sehr verehrte Damen und Herren, kommen sie näher, treten sie ein. In Kürze werden sie ein Spektakel erleben, das die Welt schon millionenfach gesehen hat.
 
Im Zirkus Herzschmerz können sie mit ihren eigenen Augen sehen, wie einem Menschen bei lebendigem Leibe das Herz herausgerissen wird, wie eine Seiltänzerin in 20 Metern Höhe versuchen wird, einen hauchdünnen Nylonfaden zu überqueren und sie können sehen, wie sich ein zahmes Kätzchen in eine nach Blut lüsternde Bestie verwandelt. Alles hier und jetzt, alles ohne Netz und doppelten Boden, hereinspaziert, hereinspaziert. Bestaunen sie, wie vortrefflich es uns wieder gelingen wird, sie zu unterhalten und sie sich stundenlang nur mit sich selbst beschäftigen können.
 
Denken sie einen Moment bitte nur an sich, halten sie inne und lassen sie vor ihrem geistigen Auge all die Verletzungen, die man ihrer so zarten Seele zugefügt hat, vorbei ziehen, all die geweinten und nicht geweinten Tränen, ihre großen und so unerwiderten Lieben. Vergessen sie einfach mal, dass sie auch schon Menschen weh getan haben, geliebt wurden und nichts erwidern konnten. Vergessen sie, dass es Menschen gibt auf dieser Welt, die nicht an die Liebe denken können, weil ihnen vor Hunger und Schmerzen die Sinne vergehen. Denen Liebe etwas befremdliches ist, weil sie es nie im Leben erfahren haben. Seien sie einfach mal genauso wehleidig und selbstverloren wie all die anderen Narzisten und Menschen in diesem Zirkus.
 
Vielleicht kommen sie auf den aberwitzigen Gedanken, dass sich Liebe nur durch sich selbst erfüllt. Verdrängen sie das! Oder dass ihre Befähigung zu hinreißender Hingabe das Geschenk ihres Lebens sein könnte. Glauben sie nicht daran!
 
Sehen sie, hochverehrtes Publikum, soeben reißt man unserem Pablo bei lebendigem Leibe das Herz heraus. Wie er sich windet, wie er stöhnt, leidet, zu Grunde geht...Haben sie nicht auch schon mal gewünscht, sie könnten sich wie Pablo das Herz herausreißen lassen und dann einen qualvollen Tod sterben? Als Märtyrer ihrer selbst? Aber nein, in ihrem Leben wird das nicht passieren. Hier im Zirkus, das ist etwas anderes, sehen sie genau hin und leiden sie mit als wären sie selbst in der Manege.
 
Dort oben, hoch über ihnen, sehen sie Leila, unsere Seiltänzerin. Hübsch, das Kind und so eifrig. Es braucht nicht weniger als sieben Schritte und sie wird abstürzen und sich das Genick brechen. Sieben Schritte...und sie bricht sich das Genick. Doch anschließend in der Garderobe ist diese Untote nicht davon abzubringen, sich in der nächsten Vorstellung wieder auf das Seil zu schwingen. Fünf, sechs, sieben...nun, was habe ich gesagt, schon wieder abgestürzt. Leila, ach, Leila, du kleine Hure, und immer noch glaubst du an die Liebe. Todesmutiges Kind, könntest Du nur eine Sekunde den Boden unter deinen Füßen ertragen, wie glücklich könntest du sein.
 
Und hier kommt auch schon Kaspar und führt unser Perserkätzchen Venus herein. So anmutig und edel, so stolz und unnahbar. Doch nun geben sie Obacht, passen sie auf, was mit Venus passiert, wenn sie durch den Feuerreif springt...aleeee hopp....Sehen sie, ein Sprung und sie wird zur Bestie. Eine Bestie ohne Namen, ein wilder Tiger, seelenlos, gefährlich, immer auf der Jagd. Und jagt ihnen, verehrtes Publikum, nicht auch der Gedanke, selbst Opfer dieser Bestie zu werden, eine Gänsehaut, ich möchte sagen, eine wohlige Schauer, über den Rücken? Sie, wo sie doch bereits ihren Verstand geopfert haben, warum sollten sie nicht auch noch den Rest opfern. Was ist schon dabei? Das bisschen Leben. Meinten sie etwa, ihr Herzschmerz könnte irgendetwas an dieser Welt ändern?! Lassen sie sich fressen...oder warum sind sie dann hier?!“
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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