Burkhard Lerley

Ich habe es gewusst - oder: meine Frau ist Schuld

Kennen Sie eigentlich auch dieses merkwürdige Gefühl ? Da passiert etwas, meistens etwas nicht gerade sehr angenehmes, und man weiß genau in dem Moment, in dem es passiert, dass genau das jetzt passieren musste. Aber als ob diese Erkenntnis nicht genug wäre, besteht das Bewusstsein auch noch penetrant darauf, dass man vorher ja schon genau gewusst hat, dass es passieren würde, ja sogar so kommen musste, nur hat man das eben erst jetzt bemerkt. Zwar hat man dann die innere Befriedigung, dass man es vorausgesehen hat, aber dadurch ändert sich nun mal nichts, außer dass man sich darüber ärgert, dass man es gewusst hat, aber es trotzdem passiert ist. Irgendwie eine verzwickte Situation.
Nehmen wir ein Beispiel:
Ich stehe früh morgens in der Küche und habe mir gerade eine schöne Tasse heißen Kaffee eingeschenkt. Ich nehme die Tasse, sie ist ziemlich voll, in die rechte Hand, drehe mich extra vorsichtig um, will die Küche durch die Tür in Richtung Wohnzimmer verlassen, bis jetzt ist alles prima, denke schon daran, dass ich gleich in Ruhe die Zeitung lesen werde, mache einen Schritt vorwärts durch die Tür und bleibe, wie ich dann hinterher weiß, natürlich, mit der rechten Schulter am Türrahmen hängen. An sich nicht tragisch, hätte ich nur nicht diese verflixte ziemlich volle Tasse Kaffee in der rechten Hand...
Natürlich fällt mir die Tasse nicht aus der Hand, Gott sei Dank, denke ich, aber mein rechter Arm vollführt eine aus rhythmischer Sicht zugegebenermaßen vollendete Schaukelbewegung. Ich schaffe es gerade noch, einen Blick, den ich als Außenstehender besser gar nicht sehen möchte, auf die Tasse zu werfen, versuche noch zu denken, dass ich es gewusst habe und sehe dann nur noch, wie der Kaffee munter über den Tassenrand in Richtung meines Hemdes schwappt. Da ich selbstverständlich ganz der sportliche Typ bin, mache ich einen Katzenbuckel, ziehe meinen straffen Bauch nach hinten, um dem Kaffee, der mittlerweile aus der Tasse geflüchtet ist und seine Freiheit zu genießen scheint, keine Angriffsfläche zu bieten. Aber weit gefehlt. Mein Kaffee weiß, zu wem er gehört und springt freudig seinen Herrn an. Überflüssig zu sagen, dass heißer Kaffee auf Hemd und Haut die Lebensgeister weckt.
Ich kann diese Entwicklung noch gar nicht richtig nachvollziehen, als ich aber doch schon weiß, dass das natürlich passieren musste. Mein Bewusstsein nutzt die Gelegenheit, um noch eins draufzulegen: "War doch klar, dass das so kommen musste.". Von dieser Erkenntnis noch fasziniert schaue ich wie aus einem fremden Körper zu, wie der Kaffee, der mittlerweile mein Hemd mit lustigen braunen Mustern verziert hat, mir über den Gürtel in Richtung Hose läuft. Wirklich unter der Gürtellinie, ist der Gedanke, der sich in mir zu formen beginnt. Leider kann sich dieser Gedanke nicht ausformen, da der Kaffee eben doch noch recht heiß ist, also genauso, wie ich ihn wollte - nur nicht auf meiner Haut. Folge ist, dass ich instinktiv zucke und meine ansonsten sehr sichere Hand plötzlich die Finger streckt. Hält man dabei eine Tasse in der Hand, hat das allerdings leider zur Folge, dass man die Tasse unglücklicherweise nicht mehr hält. Gott sei Dank haben wir in der Küche PVC-Boden, Kaffee kann man also einfach wieder aufwischen.
Aber das wäre zu einfach, wie ich jetzt weiß und natürlich vorher schon gewusst habe. Ich war ja schon fast durch die Tür, auf dem schönen flauschigem, hellen Teppichboden im Nebenzimmer. Es muss wohl irgendeine mysteriöse Beziehung zwischen Kaffee und hellem Teppichboden bestehen, etwa so wie zwischen einem Magneten und Eisen. Das weiß leider auch mein Kaffee und macht sich im zweiten Anlauf, schließlich habe ich extra eine "Jumbo-Tasse" gefüllt, in Richtung Teppichboden auf den Weg. Es tröstet mich in diesem Moment wenig, dass ich Physik als Abiturfach hatte und daher jetzt voraussagen kann, dass der flüchtende Kaffee mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit auch den Teppichboden erreichen wird. Noch weniger tröstet mich einen hysterischen Atemzug später, dass ich mal wieder recht gehabt habe. Das ist ja auch kein Wunder, schließlich habe ich es vorher gewusst. Ich fange an, mein Bewusstsein zu hassen...
Jetzt hilft nur noch blitzschnelle und messerscharfe Logik, meine Stärke als Mann !
Nassen Lappen aus der Küche holen, aufsaugen und wegwischen. Kein Problem für mich. Allerdings zeigt sich dann mal wieder, dass Frauen eben doch unfähig sind, strukturiert und systematisch zu denken. Ich lege immer, also wirklich immer, das Spültuch in die Spüle, eben nicht, ohne mir etwas dabei zu denken, wie ich jetzt denke. Wo aber hat es meine Frau natürlich ohne mein Wissen wieder einmal hingelegt ? Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht und sehe es nicht und ahne es nicht. Wenn man einmal ein Spültuch braucht...
Ich ziehe eine kurze Zwischenbilanz: ich habe es gewusst, aber meine Frau ist Schuld und ich kann es jetzt ausbaden. Toll ! Wo ist überhaupt meine Frau ? Wieso ist sie nie da, wenn sie gebraucht wird ? Soll sie doch ihren Dreck selber wegmachen. Bin ich ihr Putzmann ?
Fragen über Fragen, die mir jetzt aber auch nicht weiterhelfen. Plötzlich eine Idee - da zeigt sich eben doch die männliche Überlegenheit - Küchenrolle ! Ich ziehe schnell an der Rolle, um mir die viel beschriebene Saugkraft dieser Tücher zunutze zu machen. Schließlich verpasse ich keine Werbesendung. Aber auch das, was dann kommt, habe ich natürlich vorher gewusst - Fabrikationsfehler ! Die Perforation ist defekt, die Tücher lassen sich nicht einzeln abreißen. Bei zwölf höre ich auf, zu zählen. Egal, Hauptsache Tücher. Mit beiden Armen voll Küchentüchern eile ich zur Unfallstelle. Schnell die Tücher auf den Teppichboden gepresst, den Kaffee aufgesaugt und dann kräftig mit den Tüchern gerieben, bin ich frohen Mutes - doch noch ein gutes Ende ! Bis ich feststelle, dass sich diese blöden Tücher irgendwie auflösen und ich die Fetzen in den Teppichboden einmassiere.
Ausgerechnet in diesem Moment sehe ich auch noch unseren Hund, der sich schon die ganze Zeit in seinem Korb räkelt und, das weiß ich plötzlich mit aller Sicherheit dieser Welt, mich hämisch angrinst. Wenn überhaupt ein Hund grinsen kann, dann er jetzt ! Blöder Köter ! Außerdem, wo ist überhaupt mal wieder meine Tochter ? Ach so, schon zur Schule. Was machen die da schon in der Schule ? Ist es nicht wichtiger, seinem einzigen Vater in Zeiten der Not beizustehen ? Wofür hält man sich überhaupt Kinder ? Da lernt man wenigstens was fürs Leben und nicht mit irgendwelchen Formeln zum Beispiel zu berechnen, wie schnell der Kaffee den Boden erreicht. Ich nehme mir vor, bei nächster Gelegenheit unbedingt mit ihrem Klassenlehrer darüber zu reden. Kein Wunder, dass die Deutschen immer dümmer werden ! Ich hätte mir so etwas in ihrem Alter nie erlaubt.
So, jetzt reicht' s ! Wenn meine Frau meint, sie müsste ausgerechnet dann arbeiten, wenn die Familie sie braucht, dann kann sie auch ihren Dreck selber wegmachen ! Ich muss jedenfalls jetzt zur Arbeit. Außerdem habe ich doch gar nichts gemacht, schließlich musste das doch passieren ! Und wer sagt überhaupt, dass das nicht dieser blöd grinsende Köter war...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.03.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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