Klaus Georg

Mein neuer Freund

 

Mein neuer Freund

 
Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich den jungen Mann getroffen habe. In den darauf folgenden Jahren bis heute bin ich sicher noch vielen Menschen begegnet, teils zufällig, teils gewollt, und manchmal auch weder das eine noch das andere. Die meisten Begegnungen habe ich vergessen, irgendwo ganz weit hinten abgespeichert.
An einige wenige aber erinnere ich mich ab und zu, und manchmal, ganz selten habe ich das deutliche Gefühl, erst jetzt richtig zu erkennen, wie wichtig das damals für mich war.

Es war an einem sonnigen Sonntag Morgen als ich mich, ganz gegen meine sonstige Gewohnheit, früh aufmachte, um in der Bäckerei ein paar Brötchen für unser Frühstück zu holen. Wann genau das war weiß ich heute nicht mehr, aber es müssen - wie ich eingangs sagte -  schon ein paar Jahre her sein, denn damals gab es diese neue, ganz nah gelegene Bäckerei noch nicht. Es waren also schon ein paar hundert Meter zu laufen, aber das war mir damals egal. Die Jungs schliefen noch tief und fest, und so beschloss ich, mir Zeit zu lassen und zu Fuß zu gehen.

In der Bäckerei war einiges los, daran erinnere ich mich noch ganz genau, die Schlange der brötchenholenden Frühaufsteher reichte bis weit vor die Eingangstür. Es dauerte also eine ganze Weile bis ich mit meinen duftenden Brötchen wieder nach draußen in die Sonne trat.

Unvermittelt kam ein junger Mann auf mich zu, ich schätzte ihn auf vielleicht Mitte zwanzig, stellte sich direkt, jede Distanz überbrückend, vor mich hin und sprach mich an.

‚Hallo’ sagte er ‚ein schöner Tag heute, nicht war.’

Ich war völlig überrascht, geradezu sprachlos. Ich bin es nicht gewohnt dass mich ein wildfremder Mensch einfach so anspricht und in ein Gespräch verwickelt. Vor allem aber mag ich es nicht, wenn mir jemand, den ich dazu auch noch garnicht kenne, derart auf die Pelle rückt, wie man so schön sagt. Und diesen jungen Mann hatte ich noch nie gesehen, was also konnte er nur von mir wollen ?

‚Ja’ erwiderte ich zurückhaltend ‚ein schöner Tag wird es werden. Und hoffentlich warm.’

Dann lächelte ich ihm kurz zu und machte mich auf den Heimweg. Mein Lächeln war eigentlich gedacht als ein ‚War nett dich kennen gelernt zu haben, aber jetzt muss ich los’ – Lächeln, jedenfalls ein Abschiedslächeln.

Den jungen Mann schien das allerdings überhaupt nicht zu beeindrucken.

Verblüfft stellte ich fest dass er sich mir anschloss, neben mir herging als wären wir uns seit Jahren bestens vertraut. Und er plauderte munter drauflos. Fragen wie : ob mir seine Begleitung recht sei, oder ob ich überhaupt Begleitung haben wolle, solche Fragen schien es für ihn gar nicht zu geben.

‚Vor ein paar Monaten ist meine Oma gestorben’ erzählte er mir ‚ und seit dem wohne ich bei meiner Tante.’

Dann drehte er sich zur Seite, deutete mit dem Finger in Richtung eines Neubaugebietes und sagte er mit wichtiger Stimme :

‚Da hinten wohnen wir irgendwo. In einem ganz neuen Haus, und ich hab sogar ein eigenes Zimmer mit einer großen Lampe.’

Langsam wurde mir ein wenig mulmig zumute. Der ist doch nicht ganz richtig im Kopf, dachte ich, und du nimmst ihn auch noch mit in deine Richtung. Was ist, wenn der nachher nicht mehr nach hause findet ? Darf der hier überhaupt so frei rumlaufen ?

‚Wohnst du auch in einem neuen Haus ?’

‚Nein’ sagte ich ‚neu ist das Haus nicht gerade. Aber auch nicht alt.’

‚Wo ist denn dein Haus ?’

‚Das ist nicht mein Haus’ belehrte ich ihn ,ich wohne zur Miete. Ein paar hundert Meter weiter in diese Richtung.’

‚Das macht nichts’ sagte er fröhlich und lächelte mich an ‚meine Tante arbeitet in der Bäckerei wo du vorhin warst. Und manchmal bringt sie mir sogar etwas mit.’

‚Ich verstehe, sie bringt dir manchmal ein Teilchen oder ein Stück Kuchen mit. Schmeckt sicher sehr lecker.’

‚Nein’ sagte er ganz entrüstet und dehnte dabei das ‚i’ ganz lange aus als wollte er mich fragen, wie um Himmels Willen ich auf einen solch absurden Gedanken kommen könne.

‚Nein’ sagte er noch mal mit Betonung ‚sie bringt mir doch nichts zu essen mit. Haben wir doch zu hause. Bierdeckel bringt sie mir mit, jede Menge Bierdeckel.’

‚Bierdeckel ?’ wiederholte ich ungläubig ‚du sammelst Bierdeckel ?’

‚Na klar sammle ich Bierdeckel. Du nicht ?’

‚Nein’ sagte ich ‚tut mir leid, aber ich sammle keine Bierdeckel.’

‚Schade’ erwiderte er ein wenig traurig ‚aber macht nichts. Was sammelst du denn ?’

Ich überlege kurz.

‚Nun, eigentlich sammle ich gar nichts’ musste ich dann zugeben ‚ich wüsste auch nicht was ich sammeln sollte.’

Mittlerweile hatten wir den größten Teil meines Weges zurück gelegt ohne dass mir das aufgefallen oder bewusst geworden wäre. Und nach wie vor ging er neben mir her als sei es das Selbstverständlichste von der Welt. Er war sicher eine halben Kopf kleiner als ich, dafür aber breiter in den Schultern und auch sonst recht kräftig gebaut. Und ein breites Gesicht hatte er, aus dem mir ein Paar listige Äuglein entgegen blickten. Mein neuer Freund war geistig behindert, so viel hatte ich mitlerweile begriffen, aber andererseits war er auch wieder völlig normal.

Eigentlich, dachte ich bei mir, muss es doch wunderbar sein sich so öffnen zu können. So ohne Vorbehalte auf andere Menschen zugehen zu können.Ich kann es nicht, musste ich mir eingestehen, der junge Mann hat es mir ja gerade gezeigt.

Dafür kann ich aber Dinge, die er nicht kann, beruhigte ich mein Ego. Ich kann zB...ja was denn eigentlich ? Mit einem Auto fahren ?
Würde es ihn glücklicher machen wenn er es könnte ? Sicher nicht.
Würde es mich unglücklicher machen wenn ich es nicht könnte ? Nun gut, die Frage müsste man vielleicht anders formulieren.
 
Aber offen gestanden frage ich mich mittlerweile, wer hier denn wohl wem etwas voraus hat. 'Die geistig Behinderten sind nicht das Problem in dieser Welt' hat einmal jemand gesagt 'die angeblich Normalen sind es.'


‚Aber man kann doch so vieles sammeln’ durchbrach er meine Gedanken ‚Flaschenkorken hab ich auch mal gesammelt. Diese Dinger da oben auf den Flaschen, weißt du? Aber Bierdeckel sind schöner. Gestern hab ich meine Bierdeckel gezählt, und weißt du wie viele es waren ?’

‚Nein, tut mir leid. Keine Ahnung.’

‚Eintausendfünfhundertdreiundzwanzig. Hat mir meine Tante jedenfalls gesagt. Aber mit den Doppelten. Ohne die sind es nur ungefähr tausend. Ist doch super, oder ?’

‚Absolut’ sage ich beeindruckt ‚ganz toll. Und wo bekommst du die alle her ?’

‚Na von meiner Tante, hab ich dir doch gesagt.’

‚Ja klar’ sage ich und muss ein wenig lachen ‚aber wo bekommt deine Tante sie her ?’

Es war kein überhebliches Lachen von mir gewesen. Auch nicht hämisch oder gar mitleidig. Nein, es war ein freundliches, fast liebevolles Lachen.

Und er hatte es verstanden.

‚Ach so’ sagt er und lachte auch. ‚Ich weiß nicht wo meine Tante die Bierdeckel her hat. Hast du auch Bierdeckel zu hause ?’

‚Leider nein. Aber wenn ich welche finde oder bekomme dann bringe ich sie dir.’

Mittlerweile standen wir vor meinem Zuhause und ich sagte es ihm. Er sah kurz hoch, reichte mir die Hand und sagte :

‚Ein schönes Haus. Aber jetzt muss ich gehen.’

Und damit drehte er sich um und ging den gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren. Ich war tief beeindruckt von diesem jungen Menschen und hab ihm noch eine ganze Weile nachgeschaut. Und mich dabei gefragt, welchen Eindruck ich wohl auf ihn gemacht haben mag.

Seine Tante versichert mir immer wieder, er würde sich sehr über die schönen Bierdeckel freuen, die ich aus aller Welt für ihn sammle und dann bei ihr abgebe.

Aber ihn selbst habe ich nie mehr gesehen.

Schade eigentlich.

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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