Klaus-Peter Behrens

Nebelwald 3

Der Flug ließ sich mit nichts vergleichen, was Michael jemals erlebt hatte. Zu Anfang war er noch überzeugt gewesen, dass ihn jeder Paläanthropologe auf der Welt um dieses Erlebnis beneiden würde, doch mittlerweile war er da nicht mehr ganz so sicher. Auf dem Rücken des Drachens war immerhin nur ein Sattel befestigt, so dass Michael kaum Halt hatte und mehr als ein halbes Dutzend mal beinahe hinunter gefallen wäre. Das trübte das Vergnügen ein wenig. Dankbar atmete er daher auf, als ihr Ziel endlich in Sicht kam. Auch ohne die erklärenden Worte Monjyas hätte Michael den Wald erkannt. So weit er blicken konnte, wurde er von einem dichten, an klebrige Watte erinnernden Nebel eingehüllt. Aus der Mitte ragte ein Berg mit einer abgeflachten Spitze auf, die der Drache nun ansteuerte. Offenkundig wurden sie schon erwartet, denn nach der erstaunlich sanften Landung fand sich Michael kurze Zeit später im Waldpalast des Elbenkönigs wieder, dem Monjya in farbenfroher Schilderung ihre Geschichte erzählte. Michael erfuhr, dass sie als Späher unterwegs gewesen und von dem Bolg überwältigt worden war, als ihr Drache auf der Jagd gewesen war. Als sie von dem mutigen Eingreifen Michaels berichtete, erntete der bewundernde Blicke. Schließlich kam sie zum Schluss ihres Berichtes, der weniger Begeisterung hervor rief.
"Dann wird es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sie auch noch den Silberfluss überqueren und auf Nebelwald zu marschieren", flüsterte der Elbenkönig schockiert.
"Ich fürchte ja. Sie erobern und unterdrücken eine Provinz nach der anderen", erwiderte Monjya.
"Wer sind diese Bolg eigentlich?", fragte Michael neugierig. Die Waldelben sahen ihn erstaunt an.
"Du weißt nicht, wer die Bolg sind?", fragte der Waldelbenkönig irritiert. Michael schüttelte den Kopf. "Ich komme von weit her."
"Scheint so", kommentierte der Waldelbenkönig in leicht zynischem Tonfall. "Also schön, informiert ihn, immerhin hat er eine der unseren gerettet." Dann machte er eine auffordernde Handbewegung, worauf ein älterer Waldelb in einem braunen Umhang vortrat, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte.
"Wogar, unser Seher", erläuterte Monjya, als sie den fragenden Blick Michaels registrierte.
"Nun", hub Wogar an, "vor langer Zeit erschienen die Bolg eines Tages aus dem Nichts, wie durch Zauberei. Sie besetzen Urgas Ville, die alte Feste im Norden und traten von dort ihren Eroberungsfeldzug an. Nach und nach fielen die umliegenden Länder unter ihrer Gewaltherrschaft und wurden ausgebeutet. Viele haben sich tapfer gewehrt, doch keinem hat es etwas genützt. Ihre Feste ist uneinnehmbar und es gibt nur wenige, die jemals tief in sie eindrangen und wieder herauskamen, um darüber zu erzählen. Den spärlichen Berichten nach zu urteilen, beziehen die Bolg ihre Kräfte und ihren Nachschub über einen riesigen, magischen Obelisken, der von einem inneren Feuer gespeist wird und ihnen das Tor zu ihrer Welt offen hält. Dank dieses Zaubers verfügen sie über unbegrenzten Nachschub an Waffen und Kämpfern und bringen so Zerstörung und Plünderung über das Land. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auch Nebelwald unterjochen werden."
"Und es gibt nichts, was man dagegen tun könnte?", fragte Michael.
"Man müßte ihre Quelle zerstören, doch dafür bedarf es eines Gegengewichts, eines Schlüssels zu einer konträren Welt. Bringt man beide zusammen, würde die Wechselwirkung zur vollständigen Zerstörung beider Zauber und damit zur Vernichtung des Tors führen. Abgeschnitten von ihrem Nachschub, würden sich die Bolg dann nicht lange halten können. Das Feuer des Widerstands würde sich neu entzünden, und die Bolg sähen sich plötzlich einer Übermacht von Widersachern gegenüber, die sich bisher nur aufgrund der unbegrenzten Kampfreserven ihrer Feinde, diesen unterworfen haben." Wogar, dessen Stimme während seiner Erzählung beständig an Lautstärke und Dramatik gewonnen hatte, hob nun theatralisch die Hände, während er fortfuhr. "Der Legende nach, wird eines Tages ein Unbekannter aus einer anderen Welt erscheinen und diese Plage von uns nehmen, denn er wird den Stein der Vernichtung mit sich führen." Die Hände sanken wieder hinab und Wogar seufzte resigniert. "Doch vermutlich sind das nur Mythen, und wir sind verloren", schloß er seinen Vortrag. Während im Saal bedrücktes Schweigen herrschte, betastete Michael nachdenklich den Stein in seiner Tasche, dann traf er eine Entscheidung.
"Nun", sagte er bedächtig und nahm den Stein aus der Tasche, "in jeder Legende liegt bekanntlich ein kleines Stück Wahrheit." Dann drückte er dem verblüfften Wogar den Stein in die Hand, dessen Licht zum ersten Mal wieder aufflackerte, als wüßte er, was man von ihm erwartete. "Sieht so aus, als gäbe es einen Job zu erledigen."

 

"Und du bist dir wirklich sicher?" Zweifelnd sah Monjya Michael aus ihren grünen, schräg stehenden Augen an. Die goldenen Funken darin tanzten im Licht der untergehenden Sonne, und Michael mußte sich eingestehen, dass seine Entscheidung im Wesentlichen darauf beruhte, dass er dieses zauberhafte Geschöpf beeindrucken wollte. Seit seiner Scheidung war er zum ersten Mal im Begriff, sich wieder richtig zu verlieben. Irgendetwas sagte ihm aber auch, dass es klüger wäre, das vorläufig noch nicht zu erwähnen.
"Klar bin ich das", erwiderte er möglichst selbstsicher, obwohl ihm alles andere als wohl zumute war. Den Schilderungen der Waldelben nach zu urteilen, war er im Begriff, sich auf ein Himmelfahrtskommando ohne Rückfahrkarte zu begeben. Außerdem war noch nicht einmal sicher, ob der Stein wirklich die gewünschte Wirkung haben würde. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Während er sich zur Seite drehte, um den Sonnenuntergang zu bewundern, staunte er erneut, mit welcher Perfektion sich die Waldelben ihrer Umgebung angepasst hatten. Der Berg, auf dem sie gelandet waren, war hohl. Generationen von Elben hatten die natürlichen Höhlen zu einer perfekten Stadt ausgebaut. In regelmäßigen Stockwerken waren große Plattformen an der Außenseite befestigt worden, von denen sich ein phantastischer Ausblick auf die Umgebung bot. Auf einer dieser Plattformen hatten sie sich nun zurückgezogen, nachdem Michael so entschlossen seine Bereitschaft zum Kampf gegen die Widersacher angekündigt hatte. Die anschließende Diskussion war lang gewesen, doch schließlich hatten sie sich auf einen Plan geeinigt, der am ehesten Erfolg versprach. Leider hatte der Plan einen kleinen Haken, sollte er fehlschlagen, würde Michael keinen weiteren Sonnenuntergang mehr erleben.
"Ich habe dir doch erzählt, wie ich hier gelandet bin" fuhr er fort. "Vielleicht aktiviert diese Energiequelle ja zugleich meinen Schlüssel und öffnet mir so das Tor zu meiner Welt."
"Du hast doch gehört, was Wogar gesagt hat. Die Zauber werden sich gegenseitig zerstören."
"Möglich, aber vielleicht gelingt es mir vorher, einen Weg zurück in meine Welt zu finden. Im Moment ist dieser Stein nämlich genauso nützlich wie die Grippe. Da kann ein wenig herum experimentieren nicht schaden. Oder hast du eine bessere Idee, wie ich zurück gelangen könnte?"
Monjya warf ihm einen undefinierbaren Blick zu.
"Warum willst du eigentlich unbedingt zurück? Gefällt es dir denn nicht bei uns?", erwiderte sie und schnitt damit ein Thema an, das Michael lieber vermieden hätte. Doch Monjya hatte nicht die Absicht, das Thema wieder fallen zu lassen. Im Gegenteil. Entschlossen rückte sie ein wenig näher, so dass Michael zu schwitzen begann, obwohl die Temperatur angesichts der heran brechenden Nacht alles andere als warm war. Energisch bemühte er sich, nicht in ihre abgrundtiefen grünen Augen zu sehen. Womöglich hätte er sonst etwas von sich gegeben, das ihn in ernste Schwierigkeiten bringen könnte. Immerhin kannte er die Elbin gerade einmal ein paar Stunden und hatte keine Ahnung, wie eine Demonstration dessen, was ihm hier besonders gut gefiel, aufgefaßt werden würde. Vielleicht wurden in dieser seltsamen Welt aufdringliche Männer einfach an die Drachen verfüttert. Die Biester sahen verdächtig gut genährt aus. Vorsichtshalber entschloss er sich daher zu einer unverfänglichen Antwort.
"Es ist.....", er zögerte, während er sich verlegen mit der Hand durchs Haar fuhr, "anders als in meiner Welt. Das ist schwer zu erklären." Hilflos zuckte er mit den Achseln. Monjya zog einen Schmollmund und sah ihn ein wenig enttäuscht an. Zu Michaels Überraschung hatte sie anscheinend eine andere Antwort erwartet. Doch nun war die Gelegenheit unwiderruflich vorbei. Monjya hatte sich wieder abgewandt und warf einen nachdenklichen Blick auf die Landschaft unter ihnen, die nun endgültig im Dunklen versank.
"Wie du meinst", murmelte sie schließlich leise, "wir sehen uns morgen." Mit einem Nicken ließ sie Michael allein auf der Plattform zurück, der sich innerlich für seine Vorsicht verfluchte. Schließlich suchte auch er sein ihm zugewiesenes Schlafgemach auf und machte es sich so gut es ging auf der Strohmatratze bequem. "Auf was habe ich mich da bloß eingelassen", murmelte er noch, dann übermannte ihn ein tiefer, traumloser Schlaf.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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