Irmgard Schöndorf Welch

Geschichten aus der Nacht 02 .... Eine rabenschwarze Story

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Eine rabenschwarze Geschichte

Es gibt seltsame Dinge unter dem Himmel. Und unglaublich originelle Menschenkäuze. Ich denke da an einen Sonderling namens Jürgen B, der sich freiwillig zum Opfer des Kannibalen von Rotenburg gemacht und von ihm hat aufessen lassen. Er ist mir gerade so in den Sinn gekommen.

Aber hören Sie, was ich erlebt habe:

Voller Vorfreude auf meinen Urlaub in Kenia bestieg ich im hochsommerheißen Casablanca die Maschine nach Nairobi. Das vollklimatisierte, in ruhigem Blau gestylte Innere des brandneuen Airbus, die aparten, schwarzen und maurischen Flugbegleiterinnen in ihren leuchtenden Gewändern, Diskurse um mich herum in wahrhaft wohltönenden, mir fremden Sprachen, girrendes, flirrendes Frauenlachen, der Hauch von teurem Parfüm und Gewürz-Aromen, all die Nuancen menschlicher Verständigungsmöglichkeiten, die in der Luft mitschwangen ... schufen eine für mich erregende Atmosphäre, die aber gleich zu Beginn meiner Reise - na ja - wie soll ich sagen – ziemlich entweiht wurde, nämlich in der Sekunde, als ich meinen Sitznachbarn erblickte.

Dieser Mensch musste bemerkt haben, dass wir Landsleute sind, redete mich gleich in Deutsch an und wir wechselten ein paar Allerweltsfloskeln.

„Was ist denn mit Ihnen geschehen?“, fragte ich höflich, aber: ‘O Mann, es wäre besser, du würdest dich unter einem weiten Burnus und dem beduinischen Gesichtsschleier unsichtbar machen', schoss es mir durch den Kopf.

Ein dunkelvioletter Bluterguss von der Größe einer Untertasse prangte oberhalb seiner Wange. Das Fleisch war so angeschwollen, dass man darunter sein rechtes Auge, wenn es denn noch vorhanden sein sollte, nicht mehr erkennen konnte. Seine Nase war geschient, Hinterkopf, Stirn und Nacken mit Binden umwickelt, die ihm schneeweiß und mumienhaft auch Rücken und Brust umspannten. Ein metallenes Monstrum von Halsstütze stabilisierte seine obere Wirbelsäule.
Außerdem hatte er beide Arme in Schlingen und einen Gips am rechten Bein.
Überhaupt ... die ganze Jammergestalt sah aus wie jemand, der eigentlich nur noch auf seine Entsorgung wartet. Und darauf schien er tatsächlich zu setzen, wie er mir durch die Zahnlücke in seinem Mund zischelnd peu à peu preisgab.

In dieser Umgebung, mit lauter schönen Menschen um mich herum, war er so fehl am Platz wie ein Grippevirus. Warum kurierte er sich nicht in Ruhe irgendwo im trauten Heim aus, statt die Mitpassagiere mit seinem Anblick zu schrecken? Das klingt jetzt sehr kaltschnäuzig ... doch eine ganz gehörige Portion Mitleid fühlte ich schon.

„Haben Sie einen Unfall gehabt?“, fragte ich verwegen.
„Ach nein", sagte er, „es kommt alles von meiner übergroßen Sensibilität!“ Seine Stimme wurde leise und geheimnisvoll...
„Erzählen Sie, erzählen Sie!" Ich war neugierig. Das versprach  interessant zu werden!

„Ich verrate Ihnen das von Mann zu Mann, obwohl es unendlich peinlich ist ... also, vor einigen Wochen", sagte er, "kam ich früher als sonst vom Büro nach Hause. Sie müssen wissen, ich arbeite für die deutsche Botschaft in Casablanca. Ich fand meine Frau, Vera, nackt und ... frohlockend ... in unserem Ehebett in inniger Umarmung mit ihrem Fitnesstrainer, einem Schweden namens Holger, der sich in letzter Zeit auch außerhalb der Übungsstunden viel zu oft in ihrer Nähe herumgetrieben hatte. Wie blind ich gewesen war!
Zu allem Elend beschimpfte, ja verhöhnte Vera mich nun auch noch, nannte mich Weichei, Trottel, Depp.

Er könne mich ebenso gut gleich umbringen, sagte ich zu diesem Holger, der auf meinem Bett seine sonnengebräunte Haut, die mächtigen Muskeln und anderes frivol zur Schau stellte. Ja, er solle mir doch ruhig den Todesstoß versetzen!

Aber der Casanova steckte sich grinsend eine Zigarette an und nahm mein Weib noch fester in die Arme. Da brannten bei mir alle Sicherungen durch, da konnte ich nicht mehr an mich halten ...“

„O, sie Ärmster“, sagte ich mitfühlend, „jeder hätte wie Sie gehandelt ... klar, Sie haben Sich auf den Mann gestürzt, doch er war stärker und Sie mussten es ausbaden!"

„Nein“, murmelte er, „nein ... ich ging in die Garage, fuhr mit meinem Wagen los, hielt auf der Autobahnbrücke, stieg über das Geländer und dann ... dann versuchte ich den finalen Kopfsprung ... aber Sie sehen ja, er ist mir nicht wirklich gelungen!"

Ich nickte.

„Im Hospital haben sie mich wieder zusammengeflickt. Nun fliege ich nach Kenia und setze meine ganze Hoffnung auf die Begegnung mit einem kräftigen Löwen. Noch idealer wäre eine dieser Breitmaul-Nashorn-Mütter, die sollen ja, wenn sie Neugeborene haben, extrem angriffsfreudig sein.

Ich könnte auch Cyankali nehmen oder mir die Kugel geben“, flüsterte er verschämt, als ich ihn wohl entgeistert anstarrte, „aber wissen Sie ... ich mag es nun einmal ... fantasievoll. Ach, ich sehe gerade, Sie haben eine Kamera! Da möchte ich Sie doch herzlich bitten, mein Ableben zu dokumentieren. Würden Sie das für mich machen? Es wäre mir eine große, letzte Genugtuung.“

„Das passt gut, ich habe ohnehin für morgen eine Foto-Safari durch den Nairobi-Nationalpark gebucht, da können Sie ja mitkommen", sagte ich lässig. Es sollte ein Scherz sein!

„Wunderbar“, rief er, „wunderbar, wie das Schicksal so spielt! Da werde ich mich Ihnen doch gleich anschließen!"

Mir war der Mann inzwischen etwas unheimlich, aber ich fürchtete, nein ich ahnte schon: Er würde auch mit der Tiernummer nicht richtig zu Potte kommen.

Ich sollte Recht behalten, konnte jedoch die atemberaubendsten Ausschnitte seiner selbstgewählten, fast letalen Konfrontation mit einer wildgewordenen Büffelherde im Film festhalten. Mein Bekannter überlebte.

Von einem wunderbaren, menschenfressenden, sibirischen Tiger und von einer bald bevorstehenden Reise nach Omsk sprach er, während er mich unter all dem Gewirr von Schläuchen fröhlich anlächelte, als ich ihn zum ersten Mal auf der Intensivstation im Klinikum Nairobi besuchte.




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Copyright Irmgard Schöndorf Welch
überarbeitet am  03.06.2005




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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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