Mit etwa siebzehn Jahren begann Andrej das weibliche Geschlecht für sich zu entdecken. Es fing eigentlich damit an, dass wir an unseren freien Tagen seltener zu unserem Lieblingsplatz gingen, dafür öfter in die angrenzende Stadt, um dort zu feiern. Andrej sprach an diesen Abenden die schönsten Frauen an und nicht selten verschwand er dann mit ihnen für unbestimmte Zeit.
Wäre ich damals ehrlich gewesen, so hätte ich zugegeben, dass ich eifersüchtig war, denn schließlich war Andrej mein bester Freund und mein engster Vertrauter. Er war der einzige, vor dem ich mich nie schämte, vor dem ich mich umzog, vor dem ich weinte. Der einzige, bei dem ich genauso sein konnte, wie ich war.
Es verletzte mich zu sehen, wie er mit Frauen wegging, die so anders waren als ich, die weibliche Kurven hatten und figurbetonte Kleider trugen.
Durch das jahrelange Training sah ich natürlich anders aus. Meine Figur war eher knabenhaft, ich war eben eine Kämpferin und mein Körper war für den Kampf trainiert. Diese Frauen erschienen mit damals wie der Inbegriff der Weiblichkeit. Das einzig Feminine, was ich damals an mir sah, waren meine verhältnismäßig langen Haare, jedoch trug ich sie damals fast immer unförmig hochgesteckt. Und Kleider? Das letzte mal, dass mich jemand in einem Kleid gesehen hatte war mehr als zwölf Jahre her.
Ja, ich fühlte mich nicht wirklich als Frau und mit jedem Besuch in der Stadt und mit jeder Eroberung Andrejs kam ich mir weniger schön und weiblich vor.
Als wir eines Nachts von der Stadt zurück zur Akademie ritten lenkte Andrej sein Pferd neben das meine und fragte mich, was denn los sei. Ich legte ihm ohne Umschweife meine Gefühle dar.
Andrej hielt sein Tier an und gebot mir, es ihm gleichzutun, dann wartete er, bis unsere anderen Begleiter außer Hörweite waren, und stieg aus dem Sattel. Als auch ich auf dem Boden stand schloss er mich einfach in die Arme und sagte leise: „Du bist eine der schönsten Frauen, die ich kenne und ich liebe dich als Freund mehr als irgendeinen anderen auf der Welt, mehr, als ich je eine Frau, mit der ich zusammen bin, lieben könnte. Du bist mir das Wichtigste, Lilli.“ Mit diesen Worten strich er mir durchs Gesicht und küsste mich.
Es war das erste Mal, dass ein Mann mich küsste, und heute bin ich sicher, dass ich diesen ersten Kuss keinem anderen hätte schenken wollen.
„Lilli, es ist egal, was wir beide im Moment vielleicht wollen“, sprach er schließlich weiter. „Ich möchte, dass unsere Freundschaft für die Ewigkeit ist – und ich will nichts tun, was sie irgendwann zerstören könnte.“
Ich stimmte ihm zu und frage mich noch heute, warum er mich damals geküsst hat.
Lillithja von Wolfental.