Lothar Krist

Rocky und der Weiße Hai von Linz.

Rocky „spinnt“. Er reißt heuer den Achtundvierziger nieder, das soll heißen, er hat jetzt bald nur noch ein Jahr und dann ist er jenseits von Gut und Böse, also Fünfzig. Scheiß Alter, verdammt! Und was für schöne Träume er doch einst hatte? Und nicht nur er, verdammt! Rocky „spinnt“ auf die ganze Welt. Diese ganze scheiß Welt geht ihm schon seit Langem mehr als nur am Arsch vorbei. Er weiß heute: von dieser scheiß Welt kann er sich Nichts mehr erwarten. Er wütet ein ganzes Heer von Wutgedanken vor sich her, während er dem Typen auf der anderen Seite des Tisches (innerlich schwer grinsend) zuschaut, wie sich der ärgert, hahaha, weil er nicht in sein „scheiß System“ rein kommt, wie der Typ das selber so gesagt hat. Und „scheiß Computer“ hat er auch gesagt, hihihi. Rocky hat keine Ahnung von dem ganzen Scheiß, mit Computer kennt er sich nicht aus, Gott sei Dank! Und der Typ hat es jetzt schon gut zehn Mal gesagt. Hehehehe, super!
 
Und doch kocht es in ihm, gewaltig. Verdammt! Eine Pump-Gun wäre jetzt nicht schlecht. Und ein paar Handgranaten dazu. Doch wo, bitte, wo so ein Zeugs auftreiben, verdammt? Rocky hat nicht die geringste Ahnung. So eine Giftspritze wird doch wohl nicht allzu schwer zu bedienen sein?! Mit der Linken den Ladebolzen hin und her ziehen und dabei ein paar Meter auf so einen Idioten, wie den da, zielen, verdammt, das wird doch wohl auch einer wie er noch hin kriegen? (In den Filmen schaut Alles immer so einfach aus.) …. und dann durch das ganze Haus marschieren, hehehehe, …. von einem Stockwerk zum anderen, geil.
 
Rocky ist bei diesem Gedanken jedoch leicht verunsichert. Er hat noch nie eine Waffe in seinen Händen gehabt, noch nie. Nicht einmal angefasst hat er so ein Teufelsding. Er ist schließlich immer beinharter Pazifist gewesen. Waffen hat er immer gehasst und die Typen natürlich auch, die eine hatten. Bundesheer! Ne, ne, Bundesheer? Ne, das war nicht. Diese Dodeln in ihrer stinkenden Uniform, das Kapperl oben drauf auf der doofen Stoppelglatze, und dann ab, marsch-marsch, marsch-marsch, zack-zack, zack-zack, die Hände an der scharfen Hosennaht, und dann brav Eins-Zwei-Drei und ab zum Vierzig-Kilometer-Marsch. Haha, echt, diese Dodeln können ihm sogar heute noch gestohlen bleiben.
 
Zivildienst beim Roten Kreuz war damals die mehr als bloß edle Alternative. Und er ist damals, 1977, gleich bei der ersten Truppe mit dabei gewesen. Er war halt noch einer von diesen echten Revoluzzern. Und so geil, geil, geil, damals war halt einfach Alles noch ein einziges Chaos. Am Anfang wussten die Profis bei der Rettung gar nicht, was sie mit diesen „Neuen Deppen“ - so wurden sie von den meisten dieser „Profis“ am Anfang genannt - anfangen sollten. Echt geil. Nichts hat funktioniert. Und der Kommandant kam direkt aus Nazi-Land, haha. Wie sie den verarscht haben, das war schöner noch als wunderschön. Manchmal hat dieser Arsch sogar laut und öffentlich ein KZ für sie, die Zivis, diese Verbrecher am Staat und klar, am Vaterland, herbei gesehnt. Dieser Alt-Nazi hat ihm sogar ein paar Mal damit gedroht, dass er ihm Nachts die Haare abschneiden würde, wenn er nicht freiwillig zum Friseur geht. Hihi, er ist natürlich nicht gegangen, das verpflichtende Haarnetz hat er natürlich auch nie getragen, haha, und die Haare wurden dabei länger, immer länger, hihi. Aber abgeschnitten hat sie ihm der Nazi-Kommandant auch nicht. Das war ja ein feiger Hund, hehe, wie ja eigentlich alle Nazis. Diese Sauhunde trauen sich ja eh nur, wenn sie in der Überzahl und bewaffnet sind. Zu zehnt einen einzelnen Juden abmurksen, das bringen die gerade noch hin, aber zu mehr sind und waren die eigentlich eh nie fähig. Na ja, Steine von Hinten auf Demonstranten schmeißen, das können sie natürlich auch. So einen Stein hat Rocky damals auch einmal bei einer Demo abgekriegt. Aber egal, vorbei ist vorbei, Gott sei Dank. Aber dieser Alt-Nazi hat dann Allen, auch den Profis, das Schach-Spielen während der Dienstzeit am Tag verboten. Und Alles nur deshalb, weil er, der Rocky, am Besten von Allen Schach gespielt hat, hehe. Mensch, war das geil. Vor ihm hat sich gegen den Nazi-Chef noch Keiner siegen getraut, hehe. Mann o Mann, was waren das doch für schöne Zeiten. Aber dann waren die Alt-Profis alle stinksauer auf die Zivis, und Rocky hat sich dabei natürlich am Meisten mitgemacht. Egal.
 
Und vorher ist er schon als sechzehnjähriger Knirps bei jeder Zivi-Demo dabei gewesen. Ja, und wie war das damals doch super, als er mit siebzehn diesen „Zivi-Blues“ dafür komponiert hat, „das Lied vom Frieden“? Er war auf einmal von einem Tag auf den anderen berühmt und hat dann in der Band seines großen Bruders, der sechs Jahre älter und somit noch ein echter Achtundsechziger war, bei jedem Festerl, und war es noch so klein, groß aufgespielt. Und auf jeder Bühne, bei jeder Demo, waren sie natürlich live dabei. Er hat mit achtzehn schon mehr als doppelt so viel verdient, wie sein oller Vater, der erster Hochofen-Tschinäuler, also Vorarbeiter, war, in der damals noch schwer reichen Vöest. Und der hat damals schon doppelt so viel verdient, wie dieser ewig wichtige Nachbar, der als Akademiker beim Stadtamt schwer beamtet war. Na ja, heute hat der doofe Nachbar doppelt so viel Pension, wie der Herr Papa, aber Freunde sind sie trotzdem geworden und geblieben, und sie saunen sich sogar heute noch jeden Mittwoch mit ihren Omas einen ab. Einmal in deren Keller-Sauna, einmal in der vom Papa. Und auf den jährlichen Pensionisten-Ausflug der Stadt-Sozis fahren sie auch immer gemeinsam mit. Die Partei eint schließlich alle Gemüter, sogar die von Hand-Arbeit-Geld und reinem Hirn-Verdienst. „Keiner steht über einem Anderen“, hat der Sozi-Papa immer gesagt. Und der Herr Doktor Jur hat immer brav dazu genickt. Und Rocky könnte wetten: sein Nachbar hat das sogar so gemeint. Na ja, er war ja eh nicht übel.
 
Na ja, egal, aber nach der dritten riesigen Blutlache im Rettungswagen fand er das Ganze dann nicht mehr ganz so geil. Er hat heimlich bei sich gedacht: bei den Sanis beim Bundesheer hätte er wohl, wie einer seiner Freunde von Damals, eine wesentlich ruhigere Kugel schieben können. Zuletzt dann hatte er schon so einen Riesen-Horror vor diesem süßlich dahin stinkenden Blut, dass er fast zwei Monate lang im Krankenstand gewesen ist. Kreuz-Weh, hihi, und das ist ihm bis heute geblieben, ….. wenn er es für einen Job, den er nicht gewollt hat, mal „gebraucht“ hat, hihihi.
 
Na ja, egal. Das waren jedenfalls noch megageile Zeiten. Damals war er halt noch jung, verdammt jung sogar. Doch heute ist Alles total beschissen, und irgendwie so total verschissen anders. Rockys Gitarre war einst die geilste Rock&Blues-Gitarre der Stadt, ja, sogar im ganzen Bundesland. Und die Wiener Gitarristen haben auch kein Tönchen besser gespielt. Das weiß er ganz genau. Das haben seine Fans auch oft genug zu ihm gesagt. Und sie sagen es sogar heute noch (wenn er einen guten Tag hat). Sogar der Typ vom Arbeitsmarktservice ihm da jetzt gegenüber hat das zu ihm gesagt, als sie sich das erste Mal vorgestellt haben. Er hat gemeint, er hätte ihn ein paar Mal spielen gesehen und hätte keinen Unterschied gehört zu den berühmten internationalen Gitarristen.
 
Und doch: Leben konnte er eigentlich nie richtig davon, von „seiner Musik“. Sein „Zivi-Blues“ ist wohl sein einziger Hit geblieben. Irgendwie fiel ihm dann nie wieder was Richtiges ein. Schon, aber .... na ja, gegen das Englische kam er mit seinem Linzer Dialekt einfach nie richtig an. Und Ambros oder Wilfrid war er halt auch keiner. Das Leben in Österreich für Rockmusiker oder für Musiker überhaupt, und waren sie noch so gut, war halt noch nie ein Honig-Schlecken. Man spielt öfter gratis, als man sich das leisten kann.
 
Also, so nebenbei beim Arbeitsamt - wie das Arbeitsmarktservice in Österreich früher geheißen hat - ein wenig Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe (in Deutschland Arbeitslosenhilfe) beziehen, das musste einfach immer sein, schließlich hat er sich immer standhaft geweigert, einen „Scheiß-Kommerz“ zu machen. Kommerz, ne, so einen Scheiß, das war nicht. Echt, nicht wegen der scheiß Kohle, wegen der schon gar nicht. Und dass das ein Fehler war, ne, das zuzugeben, ne, haha, so weit wird Rocky niemals unten sein, mit Sicherheit nicht. Und außerdem, heute ist das sowieso schon völlig wurscht. Die alten Zeiten sind vorbei.
 
Verdammt! Und jetzt wollen ihm diese Arschlöcher vom Arbeitsamt die Notstandshilfe streichen, eh nicht viel, knapp über sechshundert Zerquetschte, und das jetzt schon zum dritten Mal innerhalb von zwei Jahren, und das zweite Mal von diesem Irren da. Für acht Wochen kein Geld, das tut weh, verdammt weh, noch dazu, wo gleichzeitig auch die guten Jobs für so einen alt gewordenen Rockmusiker immer seltener geworden sind. Und besser wird es mit Sicherheit nicht, so viel hat Rocky inzwischen schon begriffen.
 
Na ja, er weiß ja, er ist deswegen ja auch ein wenig selber schuld. Scheiß Drogen! Und der scheiß Alk natürlich auch, verdammt! Ein paar Jobs hat er in letzter Zeit „geschmissen“. Das soll heißen, er ist ein paar Mal nicht aufgetreten, besser gesagt, er hat seine Jungs in seiner Band im Stich gelassen. Kurz gesagt: er war vom Vortag noch so dicht, dass er halt nicht wusste, wo bei seiner lieben Gitarre vorne oder hinten war. Shit! Einfach Shit dieses zu viel an Shit, und wer weiß schon, was sie ihm noch Alles so eingeschmissen haben, weil er gerade so gut drauf gewesen ist und nicht „Nein“ sagen wollte, konnte – seine lieben Freunde, mit denen er halt so herum zog zur Zeit.
 
Na ja, und sein Gedächtnis wurde auch immer beschissener. Die Texte waren in letzter Zeit manchmal einfach weg. Flutsch! Einfach flutsch di wutsch futsch! Wie weg gepoppt! (Ob das etwas mit seiner Liebe zu seinem Fläschchen Popper zu tun hatte, das er immer bei sich hatte und an dem er so gerne schnüffelte?) Es wurde jedenfalls immer schlimmer. Passieren konnte so was ja immer, auch früher schon, aber da hat er sich dann halt irgendwie drüber gemogelt. Er hat ja meist auf Englisch gesungen, wie die meisten anderen deutschen Musiker ja auch, und da hat er sich dann halt durch seine Black-Outs durchgenuschelt. Das fiel auch kaum Einem auf, und Keiner schon gar nicht, haha.
 
Ha, und was hat er sich doch dabei immer Geiles gedacht, so dass er beim Nuscheln fast immer auch noch an seinem Lachen fast erstickt wäre: „Bumms-di-Nazi! Verdammt! Jetzt is’ er wieder weg, der Text!“ Haha, Bumms-di-Nazi! Hahaha, da musste er dann immer an seine so sehr geliebte Großmutter denken, die ihm diese seine Lieblings-Gute-Nacht-Geschichte wohl tausend Mal erzählen hat müssen, schließlich hat er immer wieder danach verlangt. Seine Oma, die einst eine berühmte Kommunistin gewesen ist von Linz, hat ihn mit dieser Geschichte vom bösen Adolf Hitler immer in den Schlaf „gelacht“, der einst in seinem Dritten Reich alle Kasperl-Theater verboten hat, weil der Kasperl ja bekannterweise dauernd „Bumms-di-Nazi“ sagt. Und sie hat mit der Zeit die Geschichte immer weiter ausgeschmückt. Und was war das doch immer für eine Riesengaudi, wenn der Kasperl dann am Schluss der Geschichte aus seinem Gefängnis ausgebrochen ist und den doofen Adi ordentlich mit seinem Knüppel verdroschen hat, so lange, bis der aufgegeben und zugegeben hat, dass er selber ein halber Jude ist. Und dabei hat der Kasperl dauernd laut gerufen: „Bumms-di-Nazi! Bumms-di-Nazi!“ Echt, Rocky überkommt es ganz traurig, wenn er an seine liebe Omi und ihre Geschichte denkt und daran, dass es ihm sogar heute noch immer vollkommen schleierhaft ist, wie er bei dieser ganzen Gaudi jedes Mal wieder eingeschlafen ist. Auf einmal war er wohl weg. Rocky hat keine eigenen Kinder. Irgendwie schade, denkt er. Warum, das weiß er nicht? Verdammt schade um diese schöne Geschichte. Er wäre sicher ein guter Geschichtenerzähler gewesen.
 
Bumms-di-Nazi! Ja, verdammt! Und jetzt sitzt er da im Arbeitsamt seinem Berater gegenüber, von dem er schon ein paar irre und für die Arbeitslosen so böse ausgehende Geschichten gehört hat und den er einfach nicht mehr ausstehen konnte. Der Typ war immer so freundlich, dauernd grinste er, sogar dann, wenn er dich gerade zur Hölle schickte. Und er ist sich sicher, absolut sicher: dieses ewig grinsende Gesicht da, das gehört zu so einem verkappten Neo-Nazi. Und verdammt, kein Kasperl da, weit und breit, der ihm, dem Rocky, jetzt helfen könnte. Shit!
 
„Na endlich, jetzt geht’s! Scheiß Netz! Scheiß Computer, verdammter! Tut mir leid, Herr Maier, dass Sie so lange warten mussten. Aber Sie verstehen, … diese Technik. Für dieses scheiß Intranet bräuchte man manchmal wirklich so einen Klostöpsel, wie bei dieser Werbung im Fernsehen, echt. Aber ich glaub’, jetzt geht’s.“ „Ist schon okay, ich weiß ja sowieso nicht, was den ganzen Tag über tun.“ (Aber was Besseres wüsste ich mir schon, als hier blöd herum sitzen, verdammt! denkt Rocky heimlich bei sich und an den Joint, den er dann zu Hause zu seiner Beruhigung dringend braucht.)
 
Und er denkt weiter: dieser verkappte Nazi hat doch echt alles Glück dieser Welt. Er hat einen Super-Job beim Arbeitsamt. Und das in Zeiten, wie diesen, in diesen Zeiten der explodierenden Arbeitslosigkeit. Verdammt! Ehrlich, oder etwa nicht? Einen sichereren Job gibt es heute wohl nicht. Ja, der wird sogar immer sicherer, umso mehr Arbeitslose es gibt. Und so schlecht bezahlt wird dieser Job ja auch nicht sein, oder?! Na ja, …. sicher, sonst täte sich so einen Job ja kaum ein Mensch an, haha.
 
„Herr Hermann Maier, was, bitte, Was soll ich nur mit Ihnen machen? Ich weiß echt mit Ihnen nicht mehr weiter. Sie sind jetzt schon seit 1984 mehr oder weniger durchgehend beim AMS, Gott o Gott, das sind ja nun schon mehr als zwanzig Jahre. Bis auf ein paar Jobs jedes Jahr von immer nur ganz wenigen Tagen haben Sie nie etwas Gescheites getan. Und jetzt sind Sie schon seit gut einem Jahr bei mir. Oh Gott, echt, ich bin ja ein echter Fan vom Hermann Maier, echt, der Sauhund fährt echt den saugeilsten Schi auf der ganzen Welt. Und deshalb, echt, Herr Hermann Maier, echt, nur wegen dem Hermann Maier, echt, nur deshalb habe ich sie als seinen Namensvetter auch immer echt nur ganz zart angefasst. Aber echt, Herr Hermann Maier, jetzt wird es echt eng für Sie. Ich weiß echt nicht mehr, was mit Ihnen tun? Die Schonzeit ist ab nun vorbei. Wenn Sie mir den nächsten Job wieder nicht annehmen, dann muss ich Ihnen das Geld streichen.“
 
Der Herr mit dem von Tag zu Tag immer sicherer werdenden Job in unserer Welt von Heute schüttelt völlig verzweifelt seinen Kopf, so als säße er nicht hinter, sondern vor seinem Schreibtisch. Rocky wird dabei von den irrsten Gedanken zerfetzt, die jemals zwischen seinen ihn zeitweise juckenden Zehenspitzen und seinen einst so dichten langhaargeneigten Haarwurzeln hin und her gefetzt sind. In seinem schon leicht glatzigen, aber immer noch mit langen Haaren gesegneten Kopf brodelt es. Irgendwie ist er auf einmal doch froh, dass er keine Pump-Gun mit hat, ….äh, oder überhaupt sein Eigen nennt, denn, echt, denn sonst hätte er sie heute wohl vorwissend unter seinem speckig-braunen Ledermantel mitgeschleppt, und auch, dass er sich mit so einem Gewaltendreck nicht auskennt, überhaupt nicht, denn sonst, echt, er schwört es heimlich bei sich und echt Allem, was ihm sonst nur irgendwie noch heilig ist (außer seiner Gitarre eigentlich gar Nichts), echt, ja, oh ja, er hätte jetzt diesen verkappten Neo-Nazi einfach mitsamt seinem sichersten Job der Welt weg geblasen, einfach nur weg. Ab mit ihm ins Nirvana, und verdammt, Rocky weiß das: dort wartet Kurt Kobain mit seiner Knarre auf diese Typen und schickt sie endgültig zur Hölle, dorthin, wohin sie, diese Typen, auch gehören, verdammt. Und ja, und dann, …. ja, und dann wäre er mit der Pump-Gun und den Handgranaten von Zimmer zu Zimmer, von Stockwerk zu Stockwerk gegangen, ja, verdammt noch mal, verdammt. Ja, das wäre er.
 
Rocky zittert. Es reißt ihn hin und her. Der Herr A-Em-Essler schaut instinktiv auf Rockys zitternde Hände. (Der A-Em-Essler kennt Das. Er hat schon mehr als genug Routine. Er macht den Job jetzt schon seit gut zwanzig Jahren und er macht ihn gut, verdammt gut sogar, das hat man ihm schon oft bestätigt. Er ist sozusagen ein Vollprofi unter Seinesgleichen. Wenn er die Macht seines ihm auferlegten Gesetzes ausfährt und er mit einem „Zehner“, also mit einer Sanktion gemäß § 10 AlVG (Arbeitslosenversicherungsgesetz) droht, also mit „sechs Wochen kein Geld“ oder wie im konkreten Wiederholungsfall mit acht Wochen, ha, da zittern sie Alle. Alle zittern sie vor ihm, hahaha.)
 
Und da weiß es Rocky auf einmal, da sitzt ihm einer gegenüber, der seinen Spaß daran gefunden hat, den „Herrn“ zu spielen. Er fühlt es körperlich. Er ist ja Musiker, Künstler, ein sensibler Mensch. Ihm gegenüber da sitzt der Weiße Hai aus Linz.
 
„Na ja, mal schauen, was wir da Schönes für Sie in der Stellenliste haben. …. Ah, sieh an, sieh an, da ist ja schon was Schönes. „Verein Aktiv“! Ja, das ist genau das Richtige für Sie, Herr Hermann Maier.“
 
„Verein Aktiv?! Geh’ns, Herr Kurv, haben’s denn nichts Anderes für mich. Den Verein Aktiv, den kenne ich ja schon. Da war ich schon vor zwei Jahren. Da muss ich wieder Vignetten kleben oder gar ab kratzen, und das den ganzen Tag. Sie wissen doch, Herr Kurv, ich habe doch Matura. Da werde ich ja deppert, wenn ich den ganzen Tag Vignetten kleben muss. San’s doch a bisserl gnädig, Herr Kurv. Sie werden doch noch was anderes für mich haben. Ich bitte Sie!“
 
Herr Kurv schaut Hermann „Rocky“ Maier, so heißt Rocky auf den Schallplatten, auf denen er die geilste Gitarre der Stadt drauf gespielt hat, an. Nur kurz, dann nickt er. „Na gut, ich bin ja ein Gutmensch, also schauen wir halt noch mal, vielleicht finden wir noch was Gescheiters für Sie?“ Herr Kurv tippt kurz etwas in die Tastatur. Nur eine Sekunde später (das Intranet ist wieder eine Autobahn): „Ah, beim „Verein Probier’s“ ist auch noch was frei. Das gefällt Ihnen sicherlich. Gartenarbeit, Übersiedlungen und Renovierungen. Was anderes spuckt der PC leider nicht mehr für Sie aus. Momentan schaut es nicht so gut aus mit den Jobs. Sie wissen ja, der Arbeitsmarkt stagniert, die Politiker machen halt Alles falsch, was man nur falsch machen kann, und überhaupt, …. Na ja.“
 
„Ach, Herr Kurv, das ist ja auch nur ein Dodelschrott. Das hatte ich ja auch schon Mal, voriges Jahr, wissen’s eh. Da haben’s mir doch den letzten Zehner verpasst. Ich habe doch Matura, Herr Kurv. Ich bin ein sensibler Künstler, Musiker, und einer der besten Gitarristen in der Stadt, Herr Kurv, das haben Sie doch selber einmal gesagt. San’s a bisserl gnädig! Haben’s denn nichts Gescheiteres für mich? Ich bin ja eh arbeitswillig, aber doch net so. Ich bitte Sie!“
 
„Aber Herr Maier, ich bitte Sie, was stellen Sie sich denn eigentlich vor? Sie haben doch noch nie einen Maturajob gemacht. Und selbst wenn ich so einen Job für einen Maturanten hätte, was echt nicht der Fall ist zur Zeit, ehrlich, es schaut nur düster aus, wer, bitte, wer würde Sie denn dafür nehmen. Echt, so einen Arbeitgeber gibt es nicht, echt nicht, der einem ewigen Langzeitarbeitslosen, wie Ihnen, so einen schönen Maturajob schenken würde. Herr Maier, bitte, verstehen Sie mich, aber so einen schönen Job den muss man sich heutzutage schwer erarbeiten, den bekommt man nicht umsonst, so einen Job kriegt man nicht geschenkt. Fangen Sie beim Verein Aktiv an und arbeiten Sie sich hoch! Echt, …. na ja, und gearbeitet, Herr Maier, na ja, Sie wissen schon ….. , gearbeitet haben Sie noch nie! Aber lassen wir Das! Ich lasse Ihnen beide VauVaus (Abkürzung der Profis beim AMS für Vermittlungsvorschläge) ausdrücken. Sie wissen ja, holen Sie sich die VauVaus in der Infostelle. Sie sind ja eh schon Profi genug. Auf Wiedersehen, Herr Hermann Maier, und gehen Sie ja vorstellen, gell, sonst …., na ja, Sie wissen es ja eh, …. acht Wochen kein Geld.“
 
Herr Kurv tut auf einmal schwer beschäftigt. Er klopft auf seiner blöden Tastatur herum und guckt angestrengt in seinen noch viel blöderen PC, der nun wieder zu „gehen“ scheint, wie geschmiert. Rocky fühlt die Luft körperlich, die er nun für Herrn Weißhai ist. Er steht also auf, er sagt Nichts mehr, er zwingt sich dazu, und wankt auf seinen wackeligen Beinen zur Infostelle ins Erdgeschoß und holt sich dort seine speziell für ihn ausgedruckten zwei VauVaus. Er hat nicht die geringste Ahnung, was er damit anfangen soll. Ne, Vignetten kleben zum „Verein Aktiv“ geht er sicher nicht. Und Gartenarbeit mit lauter Alkis und Junkies? Ne, sicher auch nicht. Also wieder einmal acht Wochen kein Geld. Verdammt und zugenäht! Oh Kasperl, bitte, hilf!
 
Beim Heimgehen träumt Rocky von einer heißen Pump-Gun und einem Sack Munition. Und ein paar Handgranaten im Sack wären auch nicht schlecht. Und er denkt: zum Glück habe ich als Ex-Zivi ein Bedienungsproblem, und ein Beschaffungsproblem erst recht. Zu Hause dann zieht er gierig an seinem ersten Joint des Tags, dann schnell ein zweiter. Doch beruhigen tut ihn das nicht. Der Tag ist im Arsch.
 
© Copyright by Lothar Krist (23./24.2.2005 von 23.30 - 03.40 Uhr im Smaragd)
 
Nachsatz:
Rocky bekam dann bald vom Arbeitsmarktservice den Bescheid. Er hat dagegen berufen. Doch auch ich, ich böser buji, gab ihm dann kein Geld.
Und übrigens: Rocky hat mit einer alten Schreibmaschine ein gut fünfseitiges Berufungsschreiben verfasst. Ich habe das Meiste nur umgeschrieben. Sein Deutsch ist nicht gerade Maturaklasse. Auch der nicht funktionierende PC, der Hinweis auf Musiker, Zivildienst, Bundesheer und Matura, die Drohung mit der Pump-Gun und der Weiße Hai sind original Rocky. Kein Schmäh. Da habe ich schon schlimmere Schreiben gelesen. Sogar das Wort „Arschloch“ kam mehrere Male darin vor. Nur heißt Rocky nicht Hermann Maier, aber er heißt wie ein anderer österreichischer Superstar. Datenschutz! Ich hoffe, der liebe Leser, die liebe Leserin versteht? Auch sonst stimmt natürlich einiges nicht. Die Ausführung bei den Zivis mit Nazi-Kommandant, Haare abschneiden und Schach stammt daher aus meinem Erfahrungsschatz, bis auf die Sache mit dem Kreuzweh. Das stammt wieder von Rocky. Das hat er mir mal bei einem Tratsch in der Altstadt von Linz erzählt. (Ich war damals ja auch frisch und fröhlich mit dabei, allerdings erst 1978 bei der zweiten Runde.)
 
Und ich kenne ihn natürlich auch höchst persönlich. Ich unterhalte mich sogar manchmal mit ihm, wenn ich Nachts in der Altstadt von Linz von Bar zu Bar ziehe und dabei auf der Suche nach netten Geschichten bin. Aber er weiß nicht, wer ich wirklich bin. Er kennt meinen ganzen Namen, glaube ich, nicht, zumindest dürfte er keinen Zusammenhang sehen. Nicht Jeder in der Altstadt weiß, was und wo ich arbeite. Ich oute mich ungerne. Als A-Em-Essler ist man in der heutigen Zeit nicht gerade überall beliebt, und schon gar nicht dort, wo ich mich oft herum treibe, wenn ich auf der Suche nach einer netten Geschichte bin. Die Zeiten, als man als Finanzler noch unbeliebter war, sind leider Gottes schon lange vorbei. Damals ging es den Arbeitslosen beim Arbeitsamt noch gut.
 
Und er war tatsächlich einmal die beste Gitarre in der Stadt, ja, vielleicht sogar im ganzen Ösi-Land. So genau weiß man das ja nie, man müsste sie unmittelbar nebeneinander spielen sehen. Und dann kommt es ja immer auch auf die momentane Tagesverfassung an. Die Besten liegen ja immer knapp beieinander. Ich habe ihn jedenfalls oft spielen gesehen und er hat mich eigentlich nie enttäuscht. Ich liebe jazzig angehauchten Blues-Rock. Er hat mir verdammt leid getan, wirklich, aber was sollte ich tun? Gesetz ist Gesetz! Hahahahahahahaha. Ist das nicht ein echter Shit? Wir haben in den letzten sechs Jahrzehnten unsere besten Musiker, ja, eigentlich unsere ganze eigene Kultur gemeinsam umgebracht. Dafür dürfen wir heute Big Macs und Fish-Burgers fressen. Echt, war ein super Tausch! Oder etwa nicht?
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.05.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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