Nicole Schneider

Die Berater des Königs

 

Vor langer Zeit in einem weit entfernten Königreich hatte ein König zwei Berater beschäftigt. Die beiden hätten unterschiedlicher nicht sein können, und jedes Mal, wenn der König etwas in Auftrag gab, endete das in einem Streit.
Eines Tages wollte der König ein großes Fest zu seinem Geburtstag veranstalten und bat die beiden Berater, die Organisation zu übernehmen. Die Einladungen waren bereits verschickt, und die beiden hatten noch drei Tage Zeit.
Der kleinere von den beiden, ein munteres Männchen mit bunter Kleidung, wild vom Kopf abstehenden Haaren und lustiger Stupsnase bekam sofort glitzernde Augen und rief: „Wir könnten neben den üblichen Gästen noch alle Leute aus dem Königreich einladen, die ebenfalls an diesem Tag Geburtstag haben!“ „Normales Fußvolk am Tisch des Königs? Was für eine Schnapsidee“, erwiderte der zweite Berater, ein edel gekleideter hagerer Mann mit einem ordentlichen Seitenscheitel und blitzenden Schuhen.
„Wir könnten ein Theaterstück aufführen lassen, das würde den Gästen bestimmt gefallen“, schlug der erste Berater wieder vor, der sich nicht so schnell bremsen ließ. „Und was ist mit der schwerhörigen Tante vom König? Die würde sich doch furchtbar langweilen“, meckerte der zweite Berater. Der andere verzog den Mund, doch seine Miene hellte sich sofort wieder auf, als er sagte: „Wir könnten eine Kapelle bestellen und tanzen!“ „Hast du nicht an den Bruder des Königs gedacht? Er hasst Tanzen!“
Der erste Berater gab es für diesen Tag auf, denn es wurde langsam dunkel, und bis zum Fest hatten sie ja noch zwei Tage Zeit.
Am nächsten Morgen wachte er mit vielen neuen Ideen im Kopf wieder auf. Und während er noch im Laufen in sein farbenfrohes Hemd schlüpfte, rief er dem zweiten Berater auch schon zu: „Wir könnten einen Maskenball veranstalten!“ „Und woher sollen wir auf die Schnelle passende elegante Kostüme bekommen? Oder meinst du, die Gäste wollen sich zum Gespött der Leute machen?“ Doch der erste Berater gab nicht auf: „Wir könnten beim Koch eine riesige Geburtstagstorte in Auftrag geben.“ „Die wird bei der Hitze in kürzester Zeit zerfließen!“ – Und so ging es weiter, bis sich auch dieser Tag seinem Ende zuneigte.
Doch schon am nächsten Morgen spukte dem ersten Berater eine neue Idee durch den Kopf. „Wir könnten eine Wildsau über dem Lagerfeuer grillen“, schlug er dem zweiten Berater beim Frühstück vor. Dieser schüttelte entsetzt den Kopf: „Lagerfeuer bei der Hitze? Erstens ist es viel zu heiß für ein Lagerfeuer, und zweitens sind wir hier nicht auf einem gewöhnlichen Dorffest, sondern auf einem vornehmen Empfang!“
„Jetzt reicht´s“, schrie der erste Berater, sprang auf und knallte wütend seinen Löffel in den Teller mit Milchsuppe, der vor ihm stand, so dass der schicke Anzug  des zweiten Beraters über und über mit weißen Punkten bespritzt war, „mach deinen Kram doch alleine!“ Damit ließ er den zweiten Berater stehen, der ihm mit offenem Mund nachsah.
 
Während letzterer kurze Zeit später in seiner Kammer saß und grübelte, hockte der erste Berater in seiner Kammer und schmollte. Sollte der andere doch sehen, wie er ohne ihn zurechtkam. Er würde von nun an nichts mehr zu dem Thema sagen.
Jenen wiederum ergriff langsam die Panik. Es war Mittag. Morgen früh wurden die Gäste erwartet und es war nichts organisiert. Eben hatte er den Koch wieder wegschicken müssen, der sich nach der geplanten Speisefolge erkundigen wollte. Der Berater lief in seiner Kammer auf und ab und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn.  Bestimmt würde ihn der König  rauswerfen!
 
Als es Teezeit war, klopfte es zaghaft an die Tür des ersten Beraters, und der zweite Berater trat ein. „Was willst du?“, fragte der erste ungehalten. „Bitte, du musst mir helfen“, sagte der zweite Berater verzweifelt. „Der Koch fragt nach der Speiseabfolge, die Diener und Dienstmädchen wollen über das Programm informiert werden, und der Kapellmeister will wissen, ob er gebraucht wird!“ „Dann denk dir was aus, an meinen Vorschlägen hast du ja doch immer was auszusetzen“, bekam er zur Antwort. „Ja, weil ich wollte, dass alles hundertprozentig ist“, gab der zweite Berater zu und senkte den Kopf. „Ich wollte doch nur, dass es wirklich gut wird und allen gefällt!“
„Und jetzt habt ihr gar nichts“, kam plötzlich eine Stimme von draußen, und herein trat der Hofnarr, der heimlich die letzten Worte hinter der Tür belauscht hatte. „Nein“, seufzten die beiden Berater, der zweite etwas schuldbewusst, der erste immer noch beleidigt.
„Wie wäre es denn“, schlug der Narr vor, „wenn ihr die Ideen von Nummer eins umsetzen würdet und die Einwände von Nummer zwei immer dann berücksichtigen würdet, wenn eine Sache wirklich ernsthaft jemandem schaden könnte oder wenn der Einwand helfen könnte, eine Idee noch zu verbessern? Ihr findet sowieso nichts, was allen gefällt!“
 
Zunächst guckten die beiden Berater sich skeptisch und ein wenig unwillig an, aber schließlich hatten sie keine andere Wahl, wenn nicht alles abgeblasen werden sollte.
Und so gab es am nächsten Tag ein rauschendes Fest. Die Feier begann mit einem Theaterstück, bei dem die Tante des Königs in der ersten Reihe saß. Nachmittags gab es eine riesige Torte, die im kühlen Saal serviert wurde. Für die Kinder waren alte Anzüge und Gewänder zum Verkleiden herausgelegt worden. Abends, als es kühler wurde, wurde ein Wildschwein über einem Feuer gebraten, das dann die Kellner an einer festlich gedeckten Tafel servierten. Und während einige Gäste ihren Wein genossen, spielte die Kapelle zum Tanz auf. Letztlich war für jeden Geschmack irgend etwas dabei, und dem König brachte es sehr viel Sympathie beim Volk ein, dass Leute aus den umliegenden Dörfern eingeladen worden waren, ihren Geburtstag zusammen mit dem des Königs zu feiern.
Als die Gäste zu später Stunde langsam aufbrachen, schauten sich die beiden Berater am Rand des Festplatzes zufrieden an und fragten sich jeder für sich im Stillen, warum sie es sich eigentlich so schwer gemacht hatten!
 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.05.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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