Evelyne Weissenbach

Geburtstag auf Ischia

Die Terrasse von 'Luisella's' war menschenleer. An der Brüstung waren einige Tische mit bunten Tischtüchern bedeckt und Lena setzte sich genau in die Mitte. Von hier hatte sie einen wunderbaren Blick, über die Weinberge hinab, auf die Bucht, in der bereits vereinzelt einige Lichter aufblinkten. Den Horizont bildete ein rosa Streifen, der sich zu einem satten Violett verdichtete, bevor er im Dunkel des Wassers versank.
Sie saß einige Minuten und genoss den Ausblick, als aber niemand kam, ging sie in das Lokal hinein und machte sich bei einer jungen Frau bemerkbar, die hinter einer Theke stand, vor der einige Arbeiter aus den Weinbergen, wie es schien, noch ein paar Gläschen tranken, bevor sie sich auf dem Heimweg machten.
Nach einigen weiteren Minuten, sie merkte wie ihre Augen bereits begannen, sich zusammen zu ziehen, er-schien plötzlich ein kleiner vornehmer älterer Herr mit einem höchst hochmütigen Gesichtsausdruck und einer Speisekarte unter dem Arm. Er trug eine bunt bestickte Weste über einem weißen Hemd und eine schwarze Hose mit akkurater Bügelfalte und ausgeprägtem Spiegelglanz. Um den Hals hatte er ein kleines Tuch geknotet. Die schwarzen Haare schienen eingeölt zu sein, sie lagen dicht an seinem Kopf und waren altmodisch mit mathematischer Genauigkeit gescheitelt. Sein ebenfalls kohlschwarzer Schnurrbart war an den Enden sorgfältig gezwirbelt und in der Mitte des Kinnes befand sich ein klitzekleiner Spitz-bart. Er hatte bogenförmige schmale Augenbrauen, sie sahen aus wie aufgemalte Striche.
"Buona sera", begrüßte ihn Lena freundlich, doch die pedantische Erscheinung nickte nur mit herablassender Miene und reichte ihr wortlos die Karte. Abwartend blieb er mit über dem Bauch gefalteten Händen neben ihr stehen.
Lena liebte italienische Antipasti und deshalb fiel ihre Wahl rasch auf Alici, Oliven, Pomodori secchi, Pecorino mit Kapern und etwas Proschiutto.
"Vino? Gibt es ... Vino rosso della casa?" radebrechte sie.
Der Mann zog die Augenbrauen in die Höhe und nickte gönnerhaft. Dann tippte er mit einem Finger auf eine Zeile in der Karte, die einen Wein des heurigen Jahrgangs be-zeichnete. Dabei sah Lena, dass seine Hände grob und abgearbeitet waren. Es handelte sich also scheinbar nicht nur um den Herrn der Wirtschaft, sondern auch um den der Weinberge.
"Si, und bitte ... prego ... Aqua minerale ... und Brot, äh-hm, Weißbrot ... pane, ja ... pane, prego!" Lena glaubte nicht, dass sich der Mann die Mühe machen würde, auch nur ein einziges deutsches Wort zu verstehen.
Hoheitsvoll drehte er sich um und schritt von dannen. Lena spürte, wie ihr allzeit bereites Lachen sich in ihr ausbreitete.
Oh! Sie würde doch nicht mutterseelenallein zu lachen beginnen. Aber sie schmunzelte noch immer, als der Signore wieder zurückkam und auf einem Tisch hinter Lena, außerhalb ihres Gesichtskreises einige Utensilien abstellte.
Dann näherte er sich von links und breitete mit elegan-tem Schwung eine weiße Mitteldecke über das Tischtuch. Er entzündete ein Windlicht und stellte es mit konzen-trierter Würde genau in die Mitte, daneben schön abgezirkelt Salz und Pfeffer, auf die andere Seite Essig und Öl. Dann legte er exakt symmetrisch das Besteck auf, stellte die Mineralwasserflasche hinter das Windlicht, das Wasserglas ordentlich rechts über die Serviette. Zwei-, dreimal rückte er den Brotkorb zurecht, bis er seinen Standort genehmigte. Dann machte er einen Schritt zurück und betrachtete kritisch seine Komposition.
Sie schien zu seiner Zufriedenheit ausgefallen zu sein, denn nun stellte er ein hohes Weinglas genau vor Lena und holte die Rotweinflasche an den Tisch. Er zeigte sie Lena höflich, hüllte sie in eine schneeweiße Serviette und begann mit überheblichem Gesichtausdruck an dem Verschluss zu drehen. Hier auf Ischia hatte Lena bereits mehrmals die Erfahrung gemacht, dass die Bauern ihre Weine nicht mit Korken verschlossen, sondern Plastikverschlüsse verwendeten, die denen in billigen Sektflaschen ähnelten.
Kein Wort war gewechselt worden. Der Mann hatte alles mit manierierter Grandezza abgewickelt und blickte auch jetzt mit gelangweilter Überheblichkeit an Lena vorbei, während er an dem Verschluss drehte und den Stöpsel langsam aus dem Flaschenhals ziehen wollte.
Die Kraft des jungen Weines machte ihm aber einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.
Mit einem lauten Zischlaut machte sich dieser unsanft selbständig und der Vino rosso della Casa ergoss sich in einer schäumenden Fontäne über das sorgfältige Arrangement und bespritzte Lenas Jeans und ihre weiße Bluse.
Nachdem Lena dem arroganten Mienenspiel des Mannes die ganze Zeit höchst beeindruckt gefolgt war, wurde sie nun Zeugin des faszinierenden Momentes, als das Malheur sein Gehirnzentrum erreichte und seine selbstgerechte Maske in tausend Splitter fassungsloser Hilflosigkeit zerfiel. Die Augenbrauenstriche verschwanden beinahe unter dem geölten Haaransatz, seine Augen begannen vor Entgeisterung zu schielen, seine Kiefer klappten herab und zeichneten hohle Löcher in die Wangen. Sogar seine Bartspitzen schienen sich nach unten zu krümmen.
Im nächsten Augenblick stürzte der Uccello auf Lena zu und - als stünde sie in Flammen - tatschte er mit der Serviette in kleinen Schlägen auf ihr herum. Natürlich grapschte er ihr dabei unwillkürlich an den Busen, worauf ihm seine Augen vor Bestürzung beinahe aus den Höhlen fielen.
"Signora, Signora!" schrie er. Er hatte tatsächlich eine Stimme. "Signora, scusi", und noch einiges mehr, das Lena logischerweise nicht verstand. Er wischte sich erschöpft mit der Serviette über die Stirn, schüttelte den Kopf und zuckte mit den Augenlidern.
Nun aber war es mit Lenas Beherrschung vorbei. Sie begann zu lachen und konnte sich gar nicht mehr ein-kriegen. Sie prustete und röchelte und der Kleine stand mit belämmertem Gesichtsausdruck vor ihr und wusste nicht, was er tun sollte. Er fuchtelte mit den Händen herum und bedeute Lena, sie solle sich an den Nebentisch setzen. Lena stand auf, hielt die Luft an, nickte ihm freundlich zu und machte sich glucksend auf die Suche nach der Toilette.
Als sie zurückkam, war er bereits wieder dabei, an dem Nachbartisch sein Ritual zu wiederholen. Beim Öffnen der neuen Bouteille, hielt er sie in Richtung Terrasse und zwinkerte Lena nun kumpelhaft zu. Diesmal ging aber alles gut und er schenkte Lena mit einer eleganten Drehung der Flasche eine Kostprobe in das Glas, das Lena nun genauso elegant ein bisschen hin und herschwenkte und sich dann unter die Nase hielt, bevor sie es zum Mund führte. Auch dieser Wein moussierte noch immer stark, aber dennoch schmeckte er ausgezeichnet. Sie würde ihn halt ein wenig stehen lassen müssen. Offenbar war er etwas zu früh abgefüllt worden, aber der Geschmack war vorzüglich. Sie schmatzte ein paar Mal mit dem Gaumen und lächelte den Padrone zustimmend an.
Nun also konnte ihr Fest beginnen.
Und es wurde ein wunderbarer Abend. Alles war ruhig, der Abend lau und sternenklar, das Ambiente stimmungsvoll, die Antipasti schmeckten, wie Antipasti schmecken sollten. Lena knabberte genüsslich an dem Brot, tunkte es in das auf den Tellern verbliebene Öl, schlürfte den noch immer leicht prickelnden Wein und spürte wie er sie beschwipste, sie herrlich sentimental werden ließ.
Sie hob ihre Augen zum Himmel.
"Herr!" sagte sie nachdrücklich. "Ich habe einen sitzen!" Und nickte dabei weise.
"Aber ich sage dir eines: Danke! Danke für sowieso alles, aber heute ganz besonders für diesen Geburtstag."
Sie wackelte mehrere Male bekräftigend mit dem Kopf.
"Ja!"
Dann ballte sie beide Hände zu Fäusten mit in die Höhe gestreckten Daumen und ruckte sie ihrem göttlichen Gesprächspartner, zum Zeichen ihres Einsseins mit ihm, entgegen. Sie verdrehte die Augen erleuchtet und sagte noch einmal aussagekräftig:
"Ja!"
 
 
Mein Text ist eine kleine, wie ich denke, auch in sich abgeschlossene Geschichte, der aus meinem Roman "... und Lena liebt" entnommen ist.
Der Roman handelt von einer Fünfzigjährigen, die mit Hilfe ihres göttlichen Gesprächspartners und Dialogen mit ihrem inneren Kind, über den Umweg einer höchst erotischen Beziehung zur "wahren" Liebe findet.
Aber, wie man lesen kann, auch der Humor kommt nicht zu kurz dabei....
 
 
"... und Lena liebt", Evelyne Weissenbach
ISBN 3-9501961-0-2
hs-LiteraturverlaG Wien

weitere leseproben oder nähere infos:
http://www.lyrik-prosa-illustrate.com

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.05.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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