Ulli Uetzmann

Unsere geschaffene Welt...

Es ist 22:13 Uhr, ich schaue aus meinem Fenster in die Großstadt. Lichter schauen mich an und bewegen sich unkoordiniert durch mein Sichtfeld. Autohupen, quitschende Reifen und die Sirene eines Rettungswagen dringen in mein Ohr.... ich fühle die Kälte draußen, obwohl meine Wohnung mir Wärme spenden sollte. Menschen laufen hastig aneinander vorbei und würdigen sich keines Blickes, jeder ignoriert jeden und versucht mit kleinen schnellen Schritten die jüngste Vergangenheit hinter sich zu lassen.... Es regnet und die Regentropfen klopfen wie verlorene Seelen an mein Fenster...sie möchten rein, aber ich lasse sie nicht...

Auf der anderen Straßenseite steht ein junge Frau, die ganz langsam läuft und den Regen scheinbar nicht registriert. Ihr Blick ist starr und nach unten gerichtet. Menschen huschen an ihr vorbei und nehmen sie nur als ein Hindernis auf ihrem (Lebens)Weg wahr, das durch einen kleinen Schritt zur Seite umgangen wird. Regentropfen klettern an ihrem Gesicht hinunter und springen von ihrem Kinn. Regentropfen? Wenn man mit dem Herzen schaut erkennt man, daß die Regentropfen in Wirklichkeit Tränen sind, die so viel mehr Gewicht haben als Tropfen des Regens... . Was für ein Schicksal hat diese Frau? Wurde sie verlassen? Ist sie arbeitslos geworden? Weiß sie nicht mehr weiter?... Habe ich das Recht über ihr Leben nachzudenken? Ich drehe mich um und laufe Richtung Badezimmer. Ich öffne den Wasserhahn und lasse kaltes Wasser in das Waschbecken laufen während ich mein müdes Gesicht im Spiegel betrachte... meine von Schlaflosigkeit gequälten Augen erzählen mir in Bruchteilen von Sekunden mein Leben... meine zitternden Hände greifen nach unten in das kalte Wasser. Mein Blick hat sich nicht vom Spiegel gelöst und ich gebe gedanklich meinen Händen die Anweisungen das kalte Wasser durch das Gesicht zu verreiben..... Ich sehe meine Hände, aber ich kann sie nicht richtig fühlen...meine Gedanken schweben woanders.. Ich denke wieder an die junge Frau. Ein letzter Blick in den Spiegel, in mein Leben, und ich laufe wieder schweren Schrittes zurück an mein Fenster. Ich schaue nach draußen und erblicke die Frau jetzt sitzend auf dem Bürgersteig, die Hände vor dem Gesicht haltend. Ich fühle ihren Schmerz in der Seele in meinem Herzen, was gelegentlich doch noch in der Lage ist zu schlagen. ... Die junge Frau sitz noch immer da, während Männer und Frauen an ihr vorbeilaufen und sich unter ihren Regenschirmen eine eigene kleine Welt aufgebaut haben, die für niemanden zugänglich ist... Ich schließe die Augen und gehe somit unterbewußt auch in meine eigene kleine Welt...aber ich schlafe...ja, zum ersten Mal seit 72 Stunden schlafe ich... als ich aufwache ist es jedoch nur eine halbe Stunde später und ich bin aus meiner eigenen Welt wieder vertrieben worden. Mein Blick wandert vom Fußboden über die Fensterbank durch das Fenster nach draußen und ein helles blaues Licht schießt in meine Augen... Auf der anderen Straßenseite steht ein Rettungswagen, ein beschädigter Lieferwagen und eine kleine Menschenmenge drumherum... Auf der Trage liegt leblos die junge Frau, ihr Blick ist erloschen und ihr Mund geöffnet als wenn ihre Seele dadurch nach draußen in die Freiheit gewichen wäre... sie ist tot und muß sich vor den Lieferwagen geworfen haben.. sie hat das Gewicht des Schmerzes, den sie in sich trug wohl nicht mehr ertragen können und keiner hat versucht ihr etwas von der Last abzunehmen... Die Menschenmenge um das Unfallereignis wird immer größer, die Leute kommen aus ihrer kleinen Welt heraus, damit sie mit ihren Augen sehen können, was tagtäglich in ihnen selber innerlich passiert... ..Jetzt wird die junge Frau beachtet, aber für was für einen Preis?!...ich schließe die Augen und schlafe wieder ein und habe Angst wieder aufzuwachen....

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