Silvia Pree

Einfach ein Mann...

Theres kam aus dem Büro des Abteilungsleiters.
Er war zufrieden gewesen mit ihrem Dossier.
Sie  war es auch.
Und das erfüllte sie mit Stolz.
Flucht in Arbeit.
Seit mehr als vier Monaten.
Sie bremste ihre Gedanken.
Nicht daran denken.
Setzte sich an den Schreibtisch.
Speicherte die Datei noch einmal ab.
Schaute ihre neuen Emails durch.
Eine Kollegin kam vorbei.
Grüßte.
Theres nickte nur kurz.
Vertieft in ihre Arbeit.
Die Kollegin ging in das Büro nebenan.
Also die Theres.
Arbeitet nur mehr.
Keine Zeit mehr für ein Tratscherl.
Der Kollege zuckte die Achsel.
Lass ihr Zeit…   
 
Theres wurde wach.
Da läutete doch tatsächlich jemand an der Tür.
Halb zwölf.
Verschlafen rieb sie sich die Augen.
Zog den Schlafrock über das kurze Nachthemd.
Ging langsam zur Tür.
Zwei Polizisten standen draußen.
Es tut mir Leid…
Der ältere der beiden rang nach Worten.
Theres schüttelte den Kopf.
Sie hörte zu.
Aber sie begriff nicht.
Sie wollte nicht begreifen.
Wortfetzen.
Stefan.
Glatteis.
Beherrschung über das Fahrzeug verloren.
Tot…
Irgendwann hörte sie sich selbst hysterisch lachen.
Und dann brach sie in Tränen aus.
 
Theres erwachte mit einem stummen Schrei.
Der Druck im Bauch.
Die Übelkeit.
Der furchtbare Albtraum.
Seit jener Nacht.
Dann erkannte sie, dass sie nicht daheim war.
Mein Gott.
Was hab ich getan!
Richtig.
Sie war aus gewesen.
Mit Florian.
Einem Kollegen.
Groß.
Dunkelbraunes Haar.
Stahlblaue Augen.
Wie Pierce Brosnan.
Und sie hatte getrunken.
Mehr als ihr gut tat.
Und sich schließlich von Flori abschleppen lassen.
 
Theres setzte sich auf.
Am liebsten hätte sie erbrochen.
So groß war der Ekel.
Vor ihr selber.
Wenigstens fehlte ihr jede Erinnerung.
Jede Erinnerung an diese Nacht.
Die sie nicht gewollt hatte.
In diesem Moment riss Flori die Tür auf.
Guten Morgen!
Mein Schatz, weißt, was wir jetzt machen?
Florian trug Boxershorts und einen Schlafrock.
Aus Seide.
Der Schlafrock war offen.
Lässig.
Theres konnte kein Härchen auf seiner durchtrainierten Brust entdecken.
Glatt rasiert.
Am liebsten hätte sie gelacht.
Aber dann kamen ihr fast die Tränen.
Weil sie an Stefan denken musste.
Und seine dunkle behaarte Männerbrust…
 
Oliver brachte Theres wie immer die Druckabzüge.
Oliver war groß.
Dunkelblond.
Hinter dem hellen Sakko verbarg er geschickt einen kleinen Bauchansatz.
Na, du siehst aber nicht fröhlich aus.
Sanft legte er die Hand auf ihre Schulter.
Weißt du was?
Wir gehen mal essen miteinander.
Du musst auf andere Gedanken kommen.
Theres seufzte.
Sie hatte keine Lust.
Sie öffnete den Mund.
Eine Phrase auf den Lippen.
Ihr Handy unterbrach sie.
Flori.
Der Herr Kollege.
Schon wieder.
Fast jeden Tag.
Mehrmals.
Er begriff nicht.
Dass sie einmal mit ihm geschlafen hatte
War kein Zeichen ihrer Liebe gewesen.
Theres blickte auf.
Sie fühlte Olivers neugierigen Blick
Und musste schmunzeln.
Diese blonden Locken…
Oliver fing ihr Lächeln auf.
Was hältst du von Freitag?
Freitag war kein schlechter Tag dafür.
Ganz sicher nicht.
 
Theres war in Gedanken versunken.
Es war dunkel.
Aber sie fühlte eine Leichtigkeit in ihr wie lange nicht.
An diesem Abend hatte sie auch immer wieder an Stefan denken müssen.
Doch ohne Bitterkeit.
Ohne Tränen.
Auch nicht ansatzweise.
Und Oliver war so nett.
Einfach normal.
Einfach Mensch.
Und er konnte über sich selbst lachen.
So wie Stefan.
Nein.
Er sah ihm nicht im Geringsten ähnlich.
Aber neben ihm fühlte sie sich wohl.
Einfach ein Mann…
Sie erwachte wie aus einem Traum, als sie Olivers Hand an ihrer Schulter spürte.
Sanft und doch kribbelig.
Oliver lächelte sie an.
Du, wir sind bei dir daheim.
Seit fast zehn Minuten.
Er machte eine Pause.
Legte den Arm um sie.
Gehen wir nach oben?
Zu dir?
 
Theres wachte auf.
Ein warmes Gefühl hat von ihr Besitz ergriffen.
Sie konnte nichts denken.
Nur fühlen.
Die ganze Zeit beobachtete sie wie die Sonne durch den Spalt am Vorhang ein Muster an die Wand malte.
Wenn der Wind den Vorhang durch das gekippte Fenster bewegte, änderte sich das Muster.
Halb verschlafen verfolgte Theres dieses Spiel.
Bis der Schlaf wich.
Theres setzte sich auf.
Die Erinnerung an die vergangene Nacht kehrte wieder.
Ihre Augen leuchteten.
Sie spürte es richtig.
Oliver lag neben ihr.
Schnarchte leise.
Und auf seiner Brust ein Wald von dunkelblonden Haaren.
Leicht gekräuselt…
Einfach normal.
Einfach Mensch.
Einfach der Mann, den sie wieder lieben konnte…
Sachte schob sie ihre Hand in seine.
Und hielt sie fest.
 
 
 
Vivienne

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Silvia Pree).
Der Beitrag wurde von Silvia Pree auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.06.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Silvia Pree als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Sehnsuchtstage: Poetische Gedankenreise von Rainer Tiemann



Der rheinische Autor Rainer Tiemann unternimmt mit seinem Buch „Sehnsuchtstage“ gereimt und ungereimt eine sehnsuchtsvolle, poetische Gedankenreise durch das Leben. Liebe und Leid spielen dabei eine wichtige Rolle. Auch Impressionen der Fußball-EM 2012 in Polen und der Ukraine wurden zeitnah festgehalten.

Es appelliert daran, sich dankbar an das zu erinnern, was jedes Leben so facettenreich und einzigartig macht.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Lebensgeschichten & Schicksale" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Silvia Pree

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der alte Mann von Silvia Pree (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)
Ich muß wohl damit leben von Rüdiger Nazar (Lebensgeschichten & Schicksale)
Muschi von Norbert Wittke (Freundschaft)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen