Anette Esposito

Verirrt

Die Sonne schien schon  warm vom Himmel.
Peter rieb sich die Augen. „Oh  Mann, klasse“, rief er laut, „wir haben ja Ferien!“ Flugs sprang er aus dem Bett, lief zu seinem kleinern Bruder und rüttelte ihn. „Hey Tom, los du Langschläfer, wach auf! Heute ist unser erster Ferientag und den wollen wir doch nicht verpennen.“ Tom blinzelte ihn aus verschlafenen Augen an. „Bin aber noch müde“, murmelte er und drehte sich zur anderen Seite. „Komm du Faulpelz, steh auf. Wir wollten doch heute mit Rocky im Wald eine Hütte bauen, oder hast du keine Lust mehr?“ Peter riss ihm einfach die Bettdecke weg. „Jaaa, ich steh ja schon auf, immer mit der Ruhe.“ Tom erhob sich langsam und blieb auf der Bettkante sitzen. Er schaute zum Fenster. „Na das Wetter sieht ja nicht schlecht aus“, sagte er und fuhr sich mit den Fingern durch seine zerzausten Haare. „Nicht schlecht? Du spinnst ja. Es ist herrlich, einfach ideal“, entgegnete ihm Peter munter.
Tom war mit einem knappen Jahr jünger als sein großer Bruder, der vor einem Monat seinen zwölften Geburtstag gefeiert hatte. Seitdem war auch die Familie um ein Mitglied gewachsen. Peters Wunsch hatte sich erfüllt einen eigenen Hund zu besitzen. Nach langem Hin und Her hatten die Eltern Rocky, einen Terriermischling mit großen schwarzen Augen, aus dem Tierheim geholt und ihn Peter geschenkt.
Peters Freude war riesengroß gewesen und nun durfte der kleine Vierbeiner sogar bei ihnen im Zimmer schlafen. Aber aufs Bett durfte er nicht, was Struppi natürlich nicht befolgte. Er sprang jedes Mal, sobald die beiden eingeschlafen waren, auf das Fußende von Peters Bett und macht es sich dort gemütlich. Das wussten natürlich beide, aber sie verpetzten den armen Rocky nicht bei ihren Eltern.
Peter und Tom liefen ins Bad, wuschen sich und zogen sich schnell an. Dann hüpften sie aufgeregt die Treppe hinunter, gefolgt von Rocky, zur Küche, wo die Mutter schon mit dem Frühstück wartete.
„Guten morgen ihr beiden“, rief ihnen die Mutter entgegen, „ihr habt aber lange geschlafen.“ Peter sah auf die Uhr. „Was, schon halb elf?“ Erschrocken blickte er zu Tom. Der winkte ab. „Macht nichts, heute ist der erste Ferientag und wir haben doch Zeit.“ „Was habt ihr beiden denn heute vor?“ wollte Mutter wissen. „Wir wollen mit Rocky im Wald eine Hütte bauen, das dürfen wir doch, oder?“ Peter schaute seine Mutter fragend an. „Von mir aus, aber seid vorsichtig und geht nicht zu tief in den Wald hinein, damit ihr euch nicht verirrt.“ Die Mutter machte ein etwas besorgtes Gesicht als sie ihren beiden Sprösslingen ihr Vorhaben erlaubte. „Keine Bange Mum, wir passen schon auf“, erwiderte Tom ganz cool. Die Mutter schmunzelte als sie den beiden den Kakao eingoss.
Nachdem sie gefrühstückt hatten holten sie sich aus Vaters Werkzeugkiste Hammer und Nägel und stopften sich damit ihre Taschen voll. Gemeinsam mit Rocky, der ihnen bellend hinterherlief, zogen sie los.
Sie gingen zu dem nahen Waldrand und fingen an nach geeignetem Holz für ihre Hütte zu suchen.
Doch sie fanden nichts was ihnen zugesagt hätte. So liefen sie immer tiefer in den Wald hinein. Sie kannten sich dort eigentlich ganz gut aus, denn sie waren oft mit ihren Eltern dort spazieren gegangen. Die Vögel zwitscherten vergnügt von den Bäumen und die beiden pfiffen fröhlich, lachend mit und Rockyi bellte natürlich dazu, wie es sich für einen anständigen Hund gehörte.
Sie waren so eifrig mit der Suche nach dem Holz für ihre Hütte gewesen dass sie nicht bemerkten wie weit sie sich von dem Weg entfernt hatten. Plötzlich hielt Tom inne: „Peter, weißt du wo wir sind?“ Die Frage kam ziemlich ängstlich. Peter sah sich um und antwortete erschrocken: „Nein, ich glaube wir sind zu tief in den Wald gegangen. Hier waren wir noch nicht.“ Die beiden schauten sich an. Sie drehten sich nach allen Seiten, aber der Weg war nirgendwo zu sehen. Tom’s Stimme klang ein wenig weinerlich:
„ Jetzt haben wir uns verirrt und kommen nicht mehr zurück. Was sollen wir nur machen?“ Peter beruhigte seinen jüngeren Bruder: „Keine Angst, Tom, wir werden schon wieder zurückfinden. Komm wir gehen einfach wieder in die Richtung aus der wir gekommen sind.“
Die beiden gingen los, Hand in Hand. Ein wenig mulmig war ihnen schon zu mute.
Sie liefen eine Zeitlang in die Richtung aus der sie meinten gekommen zu sein, aber der Weg war nirgendwo zu sehen. Seufzend setzten sie sich auf einen Baumstumpf. Rocky sah sie aus großen Augen fragend an. Peter streichelte den Hund und sagte zu ihm: „Wir sind bald wieder zu Hause.“ Tom’s Stimmer zitterte: „Ich habe Angst, Peter“, flüsterte er leise. „Ich auch Tom.“ Peter war nun nicht mehr so sicher dass sie wieder nach Hause finden würden. Im Wald war es plötzlich so still geworden. Kein Vogel zwitscherte mehr, keine Fliege flog noch umher. Es war alles so unheimlich um sie herum.
„Wir können aber nicht hier sitzen bleiben, wir müssen es versuchen, Tom.“ Peter erhob sich von dem Baumstumpf und zog seinen Bruder mit. „Peter, lass uns beten, bitte.“ Tom schaute seinen großen Bruder an. Der nickte nur und dann falteten sie die Hände.
„Lieber Gott, mach dass wir wieder nach Hause finden. Amen“, sagte Tom laut. Dann gingen sie etwas mutiger weiter. Sie waren sicher dass der liebe Gott sie nicht im Stich lassen würde.
Als sie eine Weile gegangen waren, sahen sie vor sich eine Lichtung, auf der eine kleine Holzhütte stand.
Aus dem Kamin rauchte es.
„Peter, da wohnt jemand, schau mal.“ Tom blickte seinen Bruder an und zeigte mit dem Finger in die Richtung wo die Hütte stand. „Hier im Wald? Wer kann da wohnen?“ Peter schüttelte ungläubig den Kopf. „Aber vielleicht hast du Recht und man kann uns den Weg zeigen. Komm wir schauen nach.“ Tom zögerte: „Wenn da die Hexe aus dem Märchen von Hänsel und Gretel wohnt, dann will sie uns am Ende noch braten.“ Seine Stimme klang nun nicht mehr mutig. „Ach quatsch“, antwortete Peter, „wer glaubt denn noch an Märchen. Außerdem passt der liebe Gott auf uns auf, hast du das vergessen?“ Doch sein Argument klang auch nicht sehr überzeugend. Aber was blieb ihnen anderes übrig, sie mussten es versuchen um wieder nach Hause zu kommen. Tapfer schritten sie auf die Hütte zu und klopften an. Es kam keine Antwort. Die schwere Holztür knarrte als Peter sie vorsichtig öffnete. Sie gingen in die Hütte und waren überrascht als sie sich umschauten. Alles dort sah ordentlich und sauber aus.
„Was macht ihr hier im Wald in meiner Hütte?“ Die Stimme hinter ihnen lies sie zusammenzucken. Sie sahen in ein bärtiges Gesicht aus denen zwei blaue Augen sie fragend anschauten. „Wir, wir haben uns verirrt“, stammelte Peter. Tom stellte sich hinter seinen großen Bruder und schaute ängstlich über seine Schulter. „Wir wollten Holz sammeln, für eine Hütte, und haben nicht gemerkt wie tief wir in den Wald gegangen sind. Bitte, können sie uns helfen?“ Peter blickte den Bärtigen bittend an. „Na dann will ich mal schauen was ich für euch tun kann“, sagte der Mann, bückte sich zu Rocky und streichelte ihn. „Merkwürdig“, dachte Peter. „Rocky lässt sich doch von keinem Fremden streicheln, und nun wedelt er sogar mit dem Schwanz“, aber er sagte nichts.
„Möchtet ihr was trinken?“ Die Stimme des Bärtigen klang freundlich. „Nein danke“, sagte Tom rasch, „wir möchten nur nach Hause.“ Der Mann nickte ihnen zu und winkte sie zur Tür hinaus. Peter hatte nun Zeit ihn etwas näher zu betrachten. Er war sauber gekleidet, trug ein kariertes Hemd und eine Jeans Hose. Die beiden folgten dem Mann. Er sprach kein Wort mehr auf dem ganzen Weg. Nachdem sie etwa eine halbe Stunde gegangen waren kamen sie an den Waldrand und erblickten erleichtert die Häuser ihres Dörfchens.
„So, nun seid ihr gleich zu Hause“, nickte der Mann freundlich, „aber seid demnächst etwas vorsichtiger und bleibt in der Nähe des Waldrandes. Und du, Rocky, musst besser aufpassen.“ Mit den Worten streichelte er das Tier noch einmal liebevoll und Rocky leckte ihm die Hand. Peter und Tom sahen sich an. Woher wusste der Fremde dass ihr Hund Rocky hieß. Sie hatten ihm mit Sicherheit den Namen nicht genannt.
Gerade wollten sie sich umdrehen und den Mann danach fragen, da war er weg, einfach verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.
„Merkwürdig“, sagte Peter nachdenklich und Tom flüsterte spontan: „Das war bestimmt ein Engel.“
Peter nickte: „ Ja, das glaube ich auch.“  Gemeinsam gingen sie nach Hause. Als sie ihren, mittlerweile in Sorge geratenen, Eltern ihr Erlebnis erzählten, sagte der Vater: „ Ja im Wald soll der alte Schuhmacher leben, als Einsiedler, aber der müsste eigentlich viel älter sein als ihr mir diesen Mann beschrieben habt.“
Peter und Tom sahen sich stumm an. Sie waren überzeugt dass es nicht der alte Schuhmacher gewesen war, der sie nach Hause geführt hatte. Denn woher hätte der wohl Rocky’s Namen wissen können?
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.06.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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