Irmgard Schöndorf Welch

Geschichten aus der Nacht 14 .... Die Künstlerin

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Die Künstlerin

Den Urlaub verbrachte ich an Siziliens Stränden. Auf der Promenade vor Taormina lernte ich eine Frau kennen. Jung war sie nicht. So zwischen fünfzig und sechzig. Doch sie erregte augenblicklich meine Aufmerksamkeit. Reife, exzentrische Erscheinungen haben es mir schon immer angetan. Nein, nein, ich bin kein Gigolo. Aber ich mag diese Art Frauen. Doch nicht so, wie Sie denken. Mein Interesse für die Dame war rein geistiger Natur. Sie ist nämlich eine - Schriftstellerin.

Außerdem kann man bei ihr von matronenhaften Formen nicht sprechen. Sie hat einen eher kargen, mageren, fast kindlich gebliebenen Körper von geradezu tänzerischer Eleganz. Deutsche ist sie, klein und zäh, ihr Blondhaar, aschfarben gesträhnt, zu einer Zopffrisur zusammengesteckt und um den Kopf gelegt.

Jeder kennt sie hier im südlichen Zipfel Italiens, denn sie war einst mit einem reichen Marquese liiert. Das erwähnte sie sogleich bei unserem ersten Zusammentreffen.
"Ich bin eine Berühmtheit", sagte sie bescheiden.
Auch dass ich ein Mann wäre nach ihrem Herzen, eine brüderliche Seele sozusagen, gestand sie mir schon nach einer Stunde, die wir am Meeresufer miteinander lustwandelnd verbrachten.

Sie lud mich zu sich ein.
Sie lebt in einer Ferienwohnung auf der Isola Bella mit Ätna-Blick, die, wie sich herausstellte, hauptsächlich aus jenem eindrucksvollen spiegelbestückten Raum besteht, in dem sie auch mich empfing.

Im Gespräch hatte ich es schon am Vortag erfahren: Den Höhepunkt ihres Lebens hat sie schon erreicht: sie hat einen Bestseller geschrieben!

Meine Spannung waren himmelhoch, als sie anfing, mir von ihrem Buch zu erzählen, das offensichtlich im Jahre 2003 mit großem Erfolg erschien und auf das sie sehr stolz ist.

"In diesem Roman schildere ich ein äußerst denkwürdiges Erlebnis", sagt sie, "nämlich: wie ich in einem Restaurant ausrutschte und unter den Tisch fiel."

"???"

"Die Leser finden es zum Schreien komisch. Auch Sie würden sich tot lachen, Maurice!", sagt sie. "Leider besitze ich nicht ein einziges Exemplar mehr, sonst würde ich es Ihnen jetzt signiert schenken. Man hat meinem Verleger das Werk geradezu aus den Händen gerissen!"

Das lässt mich nicht kalt, widme ich mich doch ebenfalls seit frühester Jugend mit Hingabe der Roman-Schriftstellerei, bin bisher aber bedauerlicherweise weder durch die Anerkennung des Publikums noch durch die Insider der Branche belohnt worden.

Sie hingegen hat es schon mit ihrem ersten Roman geschafft.
Aber ... dieses spektakuläre Stück Weltliteratur ( so ergaben spätere Recherchen ), ist leider kein Buch geworden, sondern ein Büchlein und schien im Kioskverkauf unter den sizilienurlaubenden, deutschsprachigen Hausfrauen und Kegelvereinsbrüdern tatsächlich Furore gemacht zu haben. Das Werk soll sogar zu einem gewissen Kultstatus gelangt sein. Wohl der Nackt-Aufnahmen unserer exzentrischen Dame wegen, deren antike Köstlichkeiten anscheinend sehr apart von den Umschlagseiten herunter leuchteten. Auch habe sie allerlei Ratschläge für eine erfolgreiche Autorenkarriere zwischen den Zeilen versteckt, schrieben die Kritiker.

Ich habe leider nie ein Exemplar ihres Buches zu sehen bekommen. "Sie waren alle in nullkommanix vergriffen", sagte meine Gastgeberin und so weiter - siehe oben.

Wir sitzen also in dem mit Empire-Möbeln geschmückten Salon und sie serviert mir einen Martini. Geschüttelt, nicht gerührt, versteht sich.

Zwei hübsche, umtriebige Italiener undefinierbaren Alters sind immer in unserer Nähe und verfolgen mich mit interessierten Blicken. Ich bin ja auch - ich kann es ohne Übertreibung sagen - ein rundum wohlgeratenes Exemplar von Mann. Von dem Moment an, wo ich mich neben meiner Gastgeberin auf ihrer Recamière niedergelassen habe, verlieren die beiden mich nicht aus den Augen. Niedliche Racker. Hin und wieder blinzele ich ihnen zu. Sie halten sich, häusliche Handgriffe vorschützend, wie selbstverständlich im Zimmer auf. Immer wuselt der eine oder andere um uns/ mich? herum wie die Katze um den heißen Brei. Später höre ich sie in der Küche singen. A Capella. Italienische Arien. Im Duett.

Ich fühle mich nicht sehr wohl, denn lustvoll lächelt mir die Frau unter lila-blau gemalten Augendeckeln zu, streckt mir ihren schwarzrot gemalten Silikonmund entgegen.
Ich werde zappelig.

Nun legt sie mir auch noch ihre beringte Hand auf den --- Schenkel, flüstert mit neckischem Blinzeln: "Sie gefallen mir sehr!" Und dass sie sich heute wie dreiundzwanzig fühle, wo sie doch schon zweiunddreißig sei. Olé.

Das ist zuviel. Eine so plumpe Anmache zeigt mir, dass ich den rechten Weg gewählt habe, wenn ich mich von jeglicher Art Weiblichkeit möglichst fern halte.

Unter Ausflüchten schnappe ich mein Handtäschchen und schreite energisch davon.

Verwundert reißt sie ihre barbieblauen Augen auf:
"Was ist nur in Sie gefahren, Viellieber?", ruft sie mir nach. "Warum sind Sie denn plötzlich so sehr in Eile?"

O Gott - fast hätte ich es vergessen - ich muss ja noch den Flieger erhaschen, habe ich doch morgen früh eine Kleideranprobe bei meinem Freund Karl, der mir das kleine Schwarze schneidert. Er ist ein so begnadeter Couturier, dieser Karl.

 

 

 



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