Monika Peter

Der Tag, an dem Matthias starb...

...war ein Sonntag - der 30. Juni 1996.
Sein letzter Tag begann morgens um 11 Uhr.
Es war höchste Zeit,
denn wir, das waren mein Mann, Markus, Matthias und ich - feierten mit Tanten, Onkels, Cousins, Neffen und Freunden den 75. Geburtstag der Oma. Sie hatte die ganze Verwandtschaft zum Mittagessen in ein Restaurant eingeladen. Wir waren zum ersten Mal seit Stephan`s Beerdigung wieder in dieser Runde beisammen.
Ich war überrascht und glücklich, wie sich Matthias mit seinem Bruder und seinen Cousins unterhielt, so unbeschwert und gutgelaunt hatte ich ihn schon lange nicht mehr gesehen.
Die letzten drei Jahre waren für uns alle sehr schwer und ich machte mir vor allem um Matthias große Sorgen. Zwei Wochen vor dem Tod des Bruders hatte er einen  Unfall, bei dem er schwere Verletzungen davon trug. Er hatte diese Schmerzen, die Angst und den Schock nie richtig verarbeiten können,weil die Trauer um den Bruder alles verdrängte. Unser Jüngster wurde still und wortkarg, lachte selten und sprach nie über dieses Geschehen.
Zum Glück hatte er gute Freunde, die ihn immer wieder besuchten oder ihn mitnahmen. An diesem Sonntag aber, war er fast wieder wie früher und ich schaute immer wieder erleichtert meine fröhlichen Söhne an. Es schien, als ob wir das Schlimmste überstanden hätten. 
 
Alle drei Brüder hatten Motorräder und obwohl Stephan bei einem Motorradunfall ums Leben kam, hatte Matthias mit großem Eifer ein "Oldtimer-Motorrad" restauriert. Ich war zwar froh, dass er während seiner Verletzungspause überhaupt an etwas eine Freude hatte, hoffte aber gleichzeitig, dass er nie wieder fahren würde.
Zwei Wochen vor diesem Sonntag war er dann fertig und zeigte uns voller Stolz "seine Maschine". Natürlich machten mein Mann und ich uns Sorgen, aber als ich davon Markus erzählte, fragte er mich: "Wenn Stephan mit dem Auto verunglückt wäre, sollten wir dann nicht mehr Autofahren...?"
Außerdem - ES würde - konnte - durfte - nicht noch einmal passieren.
 
Matthias besuchte an diesem Abend seinen Freund Achim und wollte spätestens um 22 Uhr 30 zu Hause sein. Im Fernsehen wurde die Fußball-Europa-Meisterschaft übertragen und Deutschland gewann. Man hörte das Jubeln, Feiern und Autohupen bis ins Haus.
Um 23 Uhr wurde ich unruhig - er wollte doch schon da sein. Manfred und Markus beruhigten mich: "Die Freunde feiern halt noch ein bißchen..."
Aber ich hatte Angst, große Angst und ich wußte jede Minute mehr, dass etwas Fürchterliches, dass ES wieder geschehen war.
Mein Kopf, mein Körper, meine Seele und mein Herz - sie waren gelähmt von diesem Wissen.
 
Um 23 Uhr 30 hörte ich Autotüren zuschlagen, ich hörte Männerstimmen und sah das Taschenlampenlicht, das unser Namensschild suchte.
Mir wurde eiskalt, ich wollte diese Menschen nicht sehen und schon garnicht hören. Ich wußte ja, was sie mir sagen würden:
MATTHIAS IST TOT...!
Und sie sagten es: Matthias ist tot.
Ich wollte wissen - wie - wo - wann - warum - und verstand nichts -
Ich wollte schreien und blieb stumm -
Ich suchte Trost und wollte trösten -
Ich wollte allein sein und klammerte mich an Markus und Manfred -
Irgendwann würde ich aus diesem Alptraum erwachen - bestimmt
und alles wäre wie vorher.
Das konnte doch nicht sein,
wir halten das nicht noch einmal aus!
Freunde kamen und Verwandte -
sie versuchten zu trösten -
aber alle waren fassungslos...
 
Ich wollte wissen, wie mein Kind starb und ein Polizist erklärte uns vorsichtig:
...er war auf der Straße nach Hause
...ein LKW-Fahrer übersah ihn
...er schleifte ihn auf seinem Motorrad 35 m mit
...das motorrad fing Feuer
...Matthias verbrannte unter dem LKW
 
Keiner aus unserer Familie konnte ihn noch einmal sehen,
niemand hat ihn gestreichelt,ihm einen letzten Kuß gegeben.
Keiner hat ihm Liebesworte ins Ohr geflüstert
oder ihm etwas mitgegeben, auf seine letzte Reise...
 
Ich weiß nicht, was Matthias dachte oder fühlte
in den letzten Sekunden seines Lebens.
Hatte er Schmerzen oder  Todesangst?
Wußte er, dass er jetzt sterben würde
und dachte da er an uns?
Meine Vorstellung übertrifft wahrscheinlich die Wirklichkeit...
 
Als diese endlose nacht vorbei war,
sind wir an die Stelle gefahren, wo Matthias starb.
Wir sahen die lange Schleifspur
und den geschmolzenen Asphalt.
Wir fanden Kleiderfetzen, Scherben, Splitter...
Und wir fanden seine Haare - Büschel verbrannter Haare,
sie lagen im Gulli und am Straßenrand...!
Die Taschenuhr, das letzte Weihnachtsgeschenk ,
zeigte unter dem gesprungenen Glas die Uhrzeit an:
Es war 22 Uhr 30 als Matthias letzter Tag zu Ende ging.
 
Er wurde 21 Jahre und 10 Monate alt...
 
 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.06.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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