Norman Boos

Halbbrüder II

Kapitel 4

(Herbst, 27. Oktober 924, 4. Zeitalter)

Es begann gegen Nachmittag zu regnen und Teljahn bedauerte es mittlerweile sehr das er nur mit einem Rucksack, in dem er seine Vorräte und sein Geld aufbewahrte, unterwegs war. Er hatte sich zwar neu mit blauem Seidenmantel, teuren braunen Lederstiefeln, einem feinem blauen Kaschmirhemd über dem er eine reich mit goldenen Stickereien verzierte rote Brokatweste trug und in robuste braune Leinenhosen eingekleidet, jedoch war es nicht gut so angezogen bei Regen zu wandern. Kleidung zum Wechseln hatte zwar auch noch Platz in seinem Bündel Platz gefunden, der größte Teil seiner Einkäufe stand jedoch immer noch in der Herberge. Sollte es dem Wirt gehören, es war ihm schließlich egal er hatte es eilig.

Der junge Mann marschierte mittlerweile stark ermüdet seit der gestrigen Nacht und aß im Gehen. In dunkler Nacht war er die Straße blind in die ungefähre Richtung gelaufen und hatte sich auf sein Gefühl in seinen Füßen verlassen die Straße nicht zu verlieren. Er hatte seines Erachtens reinen Tisch mit Nielle gemacht und sein Gewissen war rein genug sich den Gedanken an sie aus dem Kopf zu schlagen, was ihm aber nur selten gelang. Zu Fuß würde er noch den ganzen Tag und wahrscheinlich auch noch die beiden darauf Folgenden für seine Reise benötigen. Bei diesem Wetter war es aber klüger nach einem Unterschlupf umzusehen in dem er sich trocknen und einige Zeit rasten konnte. Zu seinem Pech gab es in dieser Region des alten selentischen Kaiserreichs kaum Waldgebiet und Bäume, weshalb er sich darauf einstellte noch einige Zeit nass zu werden. Teljahn hielt sich zwar den neuen Mantel so gut es ging über den Kopf, für die dicken Tropfen die vom Himmel fielen war die Seide jedoch kaum ein Hindernis. So kam er mehr schlecht als recht ununterbrochen fluchend voran. Das Essen bereitete ihm am meisten Probleme, denn wenn er im Gehen aß konnte er sich kaum vor dem Regen schützen. So fand er übel gelaunt, mit einer wegen der ununterbrochen laut ausgeschrienen Flüche brüchigen Stimme, gegen späten Nachmittag endlich unter einer kleinen Baumgruppe Schutz. Nun ja, es waren eher ein Schößlinge als ein Bäume denn sie waren kaum größer als Teljahn. Feuerholz hatte er keins und die paar Bäume zu fällen war wohl eine eher schlechte Idee. Also setzte er sich hin, aß eine Kleinigkeit und lehnte sich gegen den Stamm eines Bäumchens und wartete in seinen Mantel eingewickelt bis der Regen vorbei war, was anscheinend nicht so schnell passierte. Mit der Kapuze über den Augen wurde er langsam müde. Er konnte kaum die Augen aufhalten und so schlief er nach wenigen Momenten ein während es weiterhin auf ihn durch das laublose Dach des Bäumchens einregnete. So bemerkte er den Zug von einem knappen Dutzend Pferden nicht welcher in seiner Sichtweite im Eiltempo die Straße in seiner Wegrichtung passierte. Hätte er es bemerkt wäre er sehr wahrscheinlich umgekehrt. So jedoch wachte er mit dem Einbruch der Dämmerung auf und beschloss kurzerhand seinen Weg erneut im dunklen fortzusetzen - obwohl es regnete und er nicht die Hand vor Augen sah. Nahezu kriechend fand er jedoch bald durch vorsichtiges Vorantasten die gepflasterte Straße wieder und ging weiter seines Weges. Er hasste es im Freien zu nächtigen. Vor allem hasste er es jedoch alleine zu nächtigen und das war jetzt mittlerweile schon viel zu oft in letzter Zeit geschehen.

Teljahn lief einige Meilen trottend die Straße entlang als er abseits des Weges ein paar kleine Lichter entdeckte auf die er sogleich zuhielt. Nach kurzer Zeit erkannte er die Umrisse eines kleinen Hauses. Einzelheiten konnte er nicht erkennen, es war allerdings ein kleiner Hoffnungsschimmer. Teljahn verließ sich auf die Gastfreundschaft der Menschen und klopfte mit der Faust gegen die einfache Holztür. Nach wenigen Augenblicken öffnete ein Mann mittleren Alters leicht verwundert ob des späten Besuchs die Tür. Nach kurzem Geplänkel gab der Bauer ihm einen Schlafplatz in der Scheune, denn ins Haus wollte er den Fremden nicht einlassen. Er gab Teljahn eine Laterne in die Hand und wies ihm den Weg.

Die Scheune war klein genug um als Hütte bezeichnet zu werden und beherbergte einen alten angeleinten Ackergaul, zwei Boxen mit Milchkühen und mehrere Schweine. Der Junge durfte es sich auf dem Heuberg neben dem Pferd bequem machen. Mit den Worten „Und das du mir ja nichts klaust!" verließ der Mann die Scheune wieder. Was gab es auch hier schon zu stehlen dachte sich Teljahn. Der Pflug war unrentabel, das Pferd nichts Wert und Kühe wie Schweine konnte er sowieso nicht leiden, mit Ausnahme wenn sie auf dem Teller lagen. Außerdem roch es hier drin wie in einem Misthaufen, was wohl am Misthaufen in der gegenüberliegenden Ecke lag. Teljahn entkleidete sich und legte sich splitternackt in eine verfilzte Decke auf dem Heuhaufen zur Ruhe nachdem er seine Kleidung zum Trocknen an einer Leiter aufgehängt hatte. Er fror und das Stroh juckte wie die Hölle aber er schlief trotzdem bald ein.

Am nächsten Tag wurde er von seinem Gastgeber geweckt mit der Aufforderung „Verschwinde jetzt verdammter Rumtreiber!". Teljahn entgegnete der höflichen Aufforderung selbstverständlich mit einer höflichen Antwort „Ich bin ja schon weg verdammter Geizkragen!". Er kleidete sich ein und verließ den kleinen Gutshof, wie er nun bei Tageslicht feststellen konnte, mit müdem jedoch schnellem Schritt. Es war noch ein langer Weg nach Garnet und er hatte vor am morgigen Abend dort anzukommen.

*

Es war ein harter Ritt gewesen und sie mussten noch einmal bei strömendem Regen rasten, doch hatten die Diener und Soldaten einige Zelte dabei die sie rasch aufgebaut hatten. So fanden sie in der Nacht noch ein wenig Ruhe. Ilven überließ Nielle gegen ihren höflichen Einwand sein Zelt und verbrachte die Nacht im bei seiner Leibwache, großen Männern Ilvens Prinzenfarben weiß und blau gekleidet. Die Diener hatten sich zu viert ein Zelt geteilt das wohl für zwei Mann ausgelegt war, aber sie wussten das es unter diesen Umständen nicht besser zu machen war. Das Gepäck war für einen schnellen und unbequemen Marsch ausgelegt und die Vorräte bestanden aus Soldatennahrung und trockenem Brot. Nielle wäre am liebsten die Nacht durchgeritten um Fürst Messien ihren Vorschlag zu unterbreiten damit ein Bote nach Aenil gesandt werden konnte der Arent davon abhielt ein Massaker anzurichten. Sie hatte die Geschichten gehört wie er in den Scharmützeln an der Nordgrenze zu Sanden damals ganze Dörfer abgeschlachtet hatte. Er hatte schon immer einen großen Drang zur Gewalt gehabt und ihr Eindruck hatte sich bei ihrer kurzen Begegnung mit ihm nicht verbessert. Er schien nahezu beleidigt zu sein sie lebend zu sehn.

Schließlich war die kleinen Gruppe am Nachmittag des zweiten Tages ihres Gewaltritts in Garnet angekommen und Ilven führte sie in das Fürstenhaus. Er wies ihr ein Zimmer zu und schickte Diener los um ihr eine Mahlzeit aufzutischen und anschließend ein Bad einzulassen. Er würde ebenfalls ein Bad nehmen und Essen, meinte jedoch das er vorher noch in den Flusstempel gehen musste. So ließ er sie allein und bezahlte einige Diener dafür das ihre Anwesenheit unbemerkt bleiben konnte. Nielle genoss das Bad, die guten Speisen aus Rindfleisch, Kartoffeln und frischen Bohnen, und auch den würzigen Wein den sie auf ihrem Zimmer nehmen durfte. Es ging ihr gut und sie fühlte sich fast schon wohl. Wären die Umstände besser gewesen hätte sie sich Gedanken über eine Verbindung zum Fürstenhaus Messien mit Ilven gemacht. So wartete sie in dem wundervollen Gemach das Messien wohl normalerweise ihren Ehrengästen überließ, sprich ihren Verbündeten aus Garlir, Helestos und Wisselt. Sie saß noch eine Weile auf dem Bett bis Ilven zu ihr stieß und ihr einige Sachen mitbrachte. Unter anderem ein weißes Hofdamenkleid in welches er sie drängte. Es stand ihr laut Ilven gut, war jedoch oben rum etwas zu weit. Sie vertraute aber seinem Urteil und behielt es trotzdem an.

„Ich werde dich anmelden lassen und sie vor vollendete Tatsachen stellen. Glaub mir sie werden nicht sehr erfreut sein das du hier bist aber die Etikette wird eingehalten werden, dafür sind meine Eltern berühmt." Erklärte Ilven.

„Ich bin aufgeregt." meinte Nielle „Ich meine, dass ging alles so schnell und bei deinem Plan kann so viel schief gehen. Was ist wenn sie beschließen mich einfach umzubringen und sich trotzdem Aenil einverlaiben? Was ist wenn sie den Vorschlag schlichtweg ablehnen und Aenil nicht wieder aufbauen? Was ist wenn Arent sich nicht zügeln kann und mittlerweile alle Überlebenden abgeschlachtet hat?"

„Reg dich nicht auf." Versuchte Ilven sie zu beruhigen. „Ich weis das viel schief gehen kann doch glaub mir, mein Bruder wird kein Massaker anrichten da es ihm meine Eltern untersagt haben. Auch musst du dich nicht um dein Leben fürchten den ich verbürge mich für dein Wohlergehen. Wir müssen zusammenarbeiten und wohlüberlegt vorgehen. Sei einfach die Erbin des Throns die bei ihren Nachbarn Hilfe ersucht und sich Freundschaft wünscht und überlass mir das reden. Ich kenne ihre schwachen Stellen und ihre Absichten gut genug um sie um den Finger zu wickeln."

Nielle sah ihn an und überlegte einen kurzen Augenblick.

„Ich vertraue auf dich Ilven. Danke"

*

Ilven war innerlich ziemlich aufgeregt. Nielle hatte ihm mit Ihrer Schwarzmalerei ziemlich die Ruhe genommen und er versuchte die Möglichkeiten zu überdenken. Er traute seinen Eltern nicht zu Nielle etwas anzutun. Nun ja, er traute ihnen nicht zu ihr etwas öffentlich anzutun weshalb er schon verfügt hatte das sich demnächst zwei fähige Männer seiner persönliche Leibwache um sie kümmern sollten. Solange sie unter seinem persönlichen Schutz hier war konnten seine Eltern lange versuchen ihr etwas anzutun. Er würde es zu verhindern wissen.

Sie schritten beide den langen Flur aus den Quartieren entlang um über die Empfangshalle in den Herrschaftssaal zu begeben. Es würde förmlich werden und da machte man am besten nichts anders als bei jedem anderen Bittsteller. Seinen Vater hatte Ilven schon die Kunde des Gastes den er einquartiert hatte ausrichten lassen. Es war schade das er dies nicht persönlich machen konnte denn Nielle drängte zur Eile. Jedoch hätte es ein Vorteil sein können seine Reaktion auf diese Nachricht zu erfahren. Da nur die persönlichen Diener seines Vaters ihm derartige Nachrichten überbringen durften, konnte er auch niemanden danach fragen denn der Hofstaat war außerordentlich loyal - zum Missfallen seiner Absichten. Er rechnete nicht mit Komplikationen. Wenn Ilven seinen Vater mit dem Vorschlag konfrontieren würde und ihm noch einmal in aller Deutlichkeit darauf hinwies was der Plan seines Vaters auslösen würde, konnte dieser doch gar nicht anders als zustimmen. Er traute ihm einfach nicht zu einen Krieg zu riskieren.

Sie standen nun vor dem Portal und Ilven bedeutete der Wache mit einer knappen Handbewegung es zu öffnen. Nachdem er Nielle noch einen aufmunternden Blick mit seinem schelmischsten Grinsen zugeworfen hatte, traten sie ein.

Das erste was Ilven auffiel war das sein Vater keine Stühle aufgestellt hatte. Er machte also schon vorab klar das hier eine Audienz für Bittsteller gewährt wurde und es nicht sein direkter Wille war Nielle zu sehn. Dies war zwar anderen Herrschern gegenüber unverschämt jedoch traf es leider vollkommen die Situation. Sie waren Bittsteller. Seine Eltern saßen auf dem Podest auf ihren thronähnlichen Stühlen am anderen Ende des Saales. Außer vier Wächtern welche das Podest flankierten war sonst niemand im Saal. Wie bei einem Gericht, dachte Ilven. Da er sich seiner Position bewusst genug war bemühte er sich einer souveränen Haltung um nicht vollkommen klar zu machen das er für den Vorschlag war den Nielle unterbreiten würde. Sie hatten alles abgesprochen und er würde ihr bestimmte Fragen stellen und sie in eine Position bringen in der ihr der Kompromiss nicht zusagte, sie jedoch ja keiner andere Wahl habe. Nielle machte einen kurzen, höflichen Knicks und blieb einige Schritte hinter ihm stehn.

„Ich grüße Euch Vater, Mutter." Begann Ilven als er nur noch wenige Schritte von den beiden entfernt stand. „Ich habe auf meinem Weg zu unseren Nachbarn leider eine schlechte Botschaft erfahren. Aenil liegt in Trümmern und die Stadt sowie das Herrschaftsgeschlecht sind verblichen. Jedoch fand ich auf meinem Weg die Erbin des dortigen Throns und konnte sie überreden sich in unserem Hause vorstellig zu machen und dem Haus Messien zu gewähren seine Hilfe anzubieten. Über die genauen Details der Hilfeleistungen wird Prinzessin Nielle nun selbst zu euch sprechen." Übergab er und stellte sich rechts von seinem Vater zu ihm aufs Podest. Als er oben angekommen war nahm seine Mutter jedoch das Wort auf.

„Es gibt hier nichts zu besprechen." Stellte sie mit kühler Miene fest.

Ilven lief es eiskalt den Rücken runter.

„Selbstverständlich gibt es etwas zu besprechen" beeilte sich Ilven zu sagen bevor Nielle, deren Hände sich gefährlich in Richtung ihrer Schläfen bewegten, etwas sagen konnte.

„Spiel keine Spielchen mein Sohn!" fuhr sein Vater dazwischen „Arent wird Aenil für uns einnehmen und das Herrschaftsgeschlecht dieser Person die hier vor uns steht und bettelt ist nicht mehr."

Ilven stand der Mund offen. Sein Vater würde so etwas nie sagen. Sogar von seiner Mutter hätte er mehr Weitsicht zugetraut. Er beugte sich zu seinem Vater und flüsterte ihm zu.

„Was tut ihr da Vater. Ich führt uns in einen Krieg!"

„Still!" fuhr ihn sein Vater an. Ilven fuhr zurück. Der Herr des Hauses Messien erhob sich.

„Ihr meine Dame verbleibt in euren Räumlichkeiten bis wir entscheiden was weiterhin mit euch zu tun ist."

„Das könnt ihr nicht tun!" schrie Nielle „Ihr Diebe ihr hundsgemeinen. Schurken seid ihr und nichts weiter."

„Ilven, bring diese Person bitte zu ihrer Unterkunft. Die hier anwesenden Wächter werden für ihren... Schutz sorgen."

„Wenn ihr erlaubt Vater, meine persönliche Garde kann..."

„Nein, ich erlaube es nicht!"

Ilven wusste im Moment nur eins, dass er nichts wusste. Was war hier los?

 

*

(Herbst, 28. Oktober 924, 4. Zeitalter)

Teljahn kam in Garnet wie geplant in der Abenddämmerung an. Die Stadt gefiel ihm eigentlich auf Anhieb denn er fand sogleich ein Gasthaus nach seinem Geschmack. Sogar mit Fensterblick auf einen kleinen Amüsierbetrieb welchen er nach einem ausgiebigem Bad, einer warmen Mahlzeit und einem Schluck Branntwein besuchen würde. Es war mal wieder Zeit.

Als er den Schankraum betrat musste er zu seinem Bedauern feststellen das nur Soldaten und Söldner an den Tischen saßen. Niemand also mit dem man um die Wette trinken konnte ohne sich den Schädel breit schlagen zu lassen. Er hatte noch nie gute Erfahrungen mit dieser Art Gesellschaft gemacht und war auch nicht bereit sich eines Tages eines besseren belehren zu lassen. Also ging er zur Theke und kramte schon mal ein wenig Silber aus seinem Beutel. Vor ihm stand ein gut beleibter, kahlköpfiger Wirt in den mittleren Jahren der gerade zufrieden ein Glas abtrocknete und seine Schankmaiden beim argwöhnisch Geldverdienen beobachtete.

„Ich grüße Euch mein Herr" sprach Teljahn ihn blumig an und nickte dabei knapp mit dem Kopf. „Habt ihr noch ein gutes Zimmer, ein heißes Bad und eine warme Mahlzeit für einen erschöpften Wandersmann?"

Natürlich hatte der Wirt das alles und stellte es seinem neuen Gast mit Freuden gegen gutes Silber zur Verfügung. Eine üppige Schankmaid in Teljahns Alter geleitete ihn sodann zu seinen Räumen und führte ihn von seinen anzüglichen Bemerkungen grinsend in den Baderaum. Auf sein wiederholtes Angebot das Bad mit ihm zu teilen reagierte sie jedoch etwas ungehaltener mit einer schallenden Ohrfeige, lächelte aber trotzdem als sie das Zimmer mit der Messingwanne auf dem Kohleherd verließ und meinte während der Arbeit keine Zeit dazu zu haben. Teljahn rieb sich die Wange und fragte sich ob er es mit einer Frau aufnehmen konnte die ihm mit Leichtigkeit die Nase brach. Nielle ist in der kurzen Zeit in der er mit ihr zusammen war nie handgreiflich geworden, was er ihr sehr zugute hielt. Bei dem Gedanken an sie schaltete er jedoch lieber gleich den Leerlauf in seinem Kopf ein. Er würde sie sich nach dem Essen aus dem Kopf „herausarbeiten" - egal wie viel Geld, Schweiß und Mühe es ihn im Bordell kosten würde.

Nachdem er sich rasch gewaschen hatte legte er seinen zweiten Mantel an und ging in den Schankraum um zu essen. Leider war dieser mittlerweile ziemlich voll. Zu seinem Missfallen immer noch nur mit Soldaten und Söldnern. Sie verhielten sich jedoch noch relativ friedlich. Nun ja, das ein paar sich gerade gegenseitig anschrien und drohend einander mit den Schwertern drohten war unter solchen Menschen ja selbstverständlich, jedoch blieb es vorerst dabei denn der Wirt konnte sie noch auf die Straße bitten. Er bot sodann Teljahn einen Tisch zum Speisen an der von drei Söldnern besetzt war. Sie trugen verwahrloste braune Mäntel und schulterlanges, ungekämmtes Haar. Jeder von ihnen hatte sich einen Reisebart wachsen lassen und sie machten den Eindruck als wären sie von der selben Hündin geworfen worden. Erst wollte Teljahn sagen ihm sei auf einmal übel und er bräuchte jetzt ein wenig Ruhe. Sein Hunger war jedoch größer und die Tatsache das die drei nur Wasser tranken und keine Waffen trugen ließ ihn sich setzen. Er grüßte die ungewollte Gesellschaft mit einem knappen Nicken und einem höflich gemurmelten Satz den sie ebenso gemurmelt erwiderten. Teljahn konnte in Ruhe essen während die Söldner die Köpfe zusammensteckten und leise miteinander sprachen damit der nichts von ihrem Gespräch mitbekam. Ihn interessierte es auch nicht wirklich was sie zu besprechen hatten denn er war während des Essens bereits mit seinen Gedanken auf der anderen Seite der Straße.

Nachdem er gegessen hatte, und einige Soldaten und Söldner sich gerade durch Tür und Angel im ganzen Wirtshaus prügelten, wand er sich um etwaige Hindernisse wie Bewusstlose, zerbrochenes Mobiliar oder Fausthiebe den Weg zu seinem ganz persönlichem Tagesabschluss quer über die Straße. Die beiden Türsteher vor dem Bordell waren gerade dabei ein paar extrem betrunkene Männer mit eisenverstärkten Knüppeln am Einlass zu hindern. Er konnte jedoch unbehelligt passieren. Drinnen überflutete ihn ein extremes Rot mit dem Teppiche, Wände, etwaiges Mobiliar und sogar Tische bestrichen oder mit Samt bezogen waren. Es waren viele Frauen und kaum Männer zu sehn und einige der Mädchen sahen ihn etwas verwundert an. Vielleicht war dies hier ein „rein weiblicher Betrieb". Teljahn ging zu einer größeren Ansammlung von Damen die sich zu siebt auf einem dreisitzigen Sofa gezwängt hatten um nachzufragen. Als er nahe genug stand stellte er fest das in der Mitte unter den Frauen ein Mann saß der ihm bekannt vorkam.

„Hallo Meister Tjen!" begrüßte er den Mann.

Tjen sah erst etwas verwundert nach oben und schien zu überlegen. Dann als ob er Teljahn erst jetzt erkannt hätte, sprang er auf, warf dabei drei der Mädchen zu Boden, sprang auf ihn zu und rief „Meister Teljahn! Welch glückliche Umstände führten euch zu mir!". Dabei umarmte er ihn und wollte ihn wohl vorerst nicht mehr loslassen. Nach einigen Momenten konnte Teljahn ihn jedoch durch Aufbietung seiner ganzen, zugegeben geringen, Kraft von sich lösen.

„Habt ihr das Haus gemietet weil ihr fast als einziger Mann hier seid?" fragte er belustigt.

„Viel besser. Viiiieeeel besser! Nachdem ich meinem Fürsten die Nachricht von der Katastrophe in Aenil überbracht hatte belohnte er mich in höchster Form."

„Ihr meint.."

„Richtig, das hier alles hier" er legte die Arme um die zwei Mädchen die er eben umgeworfen hatte „gehört alles mir!"

„Was?"

„Du hast richtig gehört. Und als Teilhaber meines hohen Verdienstes kannst du gerne solange mein Gast sein wie du möchtest! Was hälst du davon?"

Was Teljahn davon hielt? Eine rhetorische Frage. Er holte seine Sachen aus dem Gasthaus und quartierte sich als Tjens Gast auf unbestimmte, jedoch bestimmt längere Zeit ein. Er hatte das Gefühl das die Pforten des Paradieses vor ihm aufgeschwungen wären.

(Herbst, 30. Oktober 924, 4. Zeitalter)

Paland war schon seit einigen Wochen im ehemaligen selentischen Reich unterwegs. Seine bisherige Reise war zu seiner Überraschung ohne Zwischenfälle verlaufen und er kam rasch voran. Mittlerweile war er nur noch eine knappe Woche Wegmarsch von der großen Stadt Aenil entfernt. Er hatte sie sich als erstes Ziel seines Weges gesteckt da sie die einzige Stadt war in der die Silberschwerter noch nach dem großen Krieg Männer stationiert hatten. Mittlerweile gab es sie nicht mehr, doch er hoffte noch Überreste von ihnen zu finden um mehr über die Wurzeln der Lehren seines Vaters zu erfahren. Angeblich sollten im Palast des Königshauses noch Artefakte von ihnen gehütet werden, doch das waren wohl nur Gerüchte. Jedoch war jedes Gerücht eine Möglichkeit die er angehen wollte. Es würde eine lange Reise werden die fast schon einen Lebensinhalt darstellen könnte. Er träumte zwar davon große Entdeckungen zu machen, gab sich aber keinen großen Hoffnungen hin. Die Silbernen gab es nun immerhin seit fast 800 Jahren nicht mehr.

Derzeit war er seit einem halben Tagesmarsch auf einer gottverlassenen Landstraße nach Norden unterwegs. Mehr ein Pfad als eine Straße. Paland hatte am gestrigen Abend ein weiches Bett und eine warme Mahlzeit in einem kleinen Gasthaus eines Örtchens, dessen Name er mittlerweile schon wieder vergessen hatte, genießen können. Zwar war seine Börse bei der Ankunft fast leer gewesen, doch sein mittlerweile nahezu berechenbares Würfelglück konnte diese Lücke am selben Abend noch schließen. Die beiden Händler die er ausgenommen hatte waren zwar der Meinung er hätte betrogen, doch konnten sie es ihm nicht nachweisen und auch nicht erklären, denn die Würfel gehörten ihnen. Sie sagten noch bei seinem Verlassen am Morgen er würde sein Glück noch bereuen, doch Paland hielt es für eine leere Drohung und grinste sie nur an. Kein Mensch kann so nachtragend sein wegen ein paar Münzen. Komischerweise folgte ihm ein dunkel gekleideter Mann der einen roten Wallach, wohl ein Fuchs, am Zügel führte und trotz des wunderschönen Herbstwetters die schwarze Kapuze seines Mantels tief ins Gesicht gezogen hatte. Es wunderte ihn schon das der Mann sein Pferd führte anstatt darauf zu reiten, doch brachte es ihn nicht aus der Ruhe - obwohl er langsam näher kam. Als er nur noch wenige Schritte entfernt war spürte Paland eine seltsame Präsenz. Eine Art Kribbeln im Nacken. Vergleichbar mit einem Duft den er kennen müsste sich jedoch nicht mehr daran erinnerte. Es fühlte sich unheimlich jedoch warm und familiär an. Er drehte sich herum um den Mann anzusprechen als dieser gerade einen Rapier aus der Scheide zog und fluchte. Er hatte wohl vorgehabt ihn hinterrücks zu erstechen, doch Paland konnte schnell genug zurückspringen und seine beiden Kurzschwerter ziehen. Der Angreifer wich zurück und das Pferd wieherte auf.

„Was sollte das?" fragte Paland wütend.

„Nun, sagen wir dein Glück hat den Händlern noch ein wenig Geld entlocken können. Sie scheinen dich nicht zu mögen und ich soll das für sie, nun ja, aus der Welt schaffen."

Der Mann grinste als ob er einen Witz über das Wetter gemacht hätte. Er streckte die Klinge in Palands Richtung und ging so auf ihn zu. Paland wich einen Schritt zurück.

„Was haben sie dir gegeben? Ich kann dir auch noch etwas geben und du bist noch besser raus. An erster Stelle steht jedoch für dich das du den Tag überleben würdest." Meinte Paland trocken - worauf sein Gegenüber nur kurz auflachte. „Lass nur, wenn du tot bist gehört es mir ja sowieso alles. Außerdem hab ich einen Ruf zu verlieren."

„Einen Ruf zu verlieren? Den eines Hundes?"

Nun ja, er fing zumindest an zu knurren wie ein Hund. Paland fand den Anblick irgendwie lustig. Er stichelte weiter. „Was ist das überhaupt für ein Zahnstocher in deiner Hand? Willst du..." weiter kam er nicht. Der Mann kam stürmisch auf ihn zu und brachte mehrere Attacken an. Paland hatte Mühe zu widerstehen. Der Kerl war wirklich begabt, das musste man sagen. Er kämpfte wie eine Schlange. Die meisten Angriffe waren wirklich komplizierte Finten die mit einem normalen Schwert kaum möglich gewesen wären. Hätte er seinen Anderthalbhänder geführt wäre er jetzt vermutlich schon tot, doch die Klingen seines Onkels waren für solche Kämpfe gut geeignet. Nach einer weiteren Finte deren abschließender Stoß auf seinen Hals zielte konnte er jedoch den Rapier durch seine linke Klinge über seine Schulter abwehren, so dass sein Angreifer mitten in sein rechtes Kurzschwert hineinstürzte. Eigentlich wollte Paland ihn nur verwunden, doch die Schneide traf knirschend und Knochen zerberstend genau in der Mitte des Brustkorbes seines Gegners ein. Nach einem kurzen überraschten Hecheln sackte dieser sodann in sich zusammen und starb blutend und röchelnd auf dem Pfad.

Paland stand keuchend da und blickte herab zu dem Mann dessen Augen weiterhin aufgerissen und starr zu ihm aufsahen. Er stellte den Fuß auf den Brustkorb des Toten und zog mit Mühe seine Klinge heraus. Wohin er auch ging, irgendwie wollten ihm alle ans Leder. Es war wie ein Fluch. Die Präsenz war jedoch weiterhin vorhanden, und da sein Vater ihm schon immer praktisches Denken gelehrt hatte, durchsuchte er die Habseligkeiten des Mannes und fand zu seinem Erstaunen ein Buch mit einem vertrauten Siegel und einen Brief dessen Inhalt ihm Rätsel aufgab. Er schien in einer Art Geheimschrift verfasst worden zu sein. Um weiterhin seiner Intuition zu folgen zog er dem Toten das Hemd aus und untersuchte dessen Oberkörper. Nach kurzer Musterung fand Paland wonach er suchte. Eine Schwarze Tätowierung auf dem linken Schulterblatt des Mannes. Er war wohl ein Meuchler gewesen. Die Zeichnung sollte wohl einen Falken darstellen und Paland versuchte es sich zu merken um mehr darüber herauszufinden. Er würde sich darum kümmern, er hatte derzeit sowieso nichts anderes vor und das Buch gab ihm allen Grund dazu. Das einzig Gute an diesem Morgen war sein neues Pferd.

Er setzte seine Reise bei einem goldenen Herbsttag fort. Paland kam nun schnell voran und erreichte am späten Nachmittag ein weiteres kleines Dorf. Da derzeit keine Eile für ihn galt, machte er hier wieder Halt, fand nach kurzer Zeit das Gasthaus „Zum Roggenbrand" und quartierte sich und sein Pferd, welches er mittlerweile Andurlan getauft hatte, ein. Beim Betreten des Schankraumes hatte er ein Deja-vu-Erlebnis. An einem Tisch an der gegenüberliegenden Wand saßen zwei bunt gekleidete Männer mit einem Dritten Herren, wohl ein Einheimischer, und würfelten. Zwei Tische links davon im etwas dunkleren Bereich des Schankraums saß ein Mann mit einem schwarzen Kapuzenmantel der vorsichtig über seinen Becher gebeugt die Spielrunde beiläufig beobachtete. Nachdem Paland die Augenbraue wieder heruntergenommen hatte bestellte er eine Kanne Wein und zwei Becher. Das konnte kein Zufall sein. Er ging auf den Tisch mit dem dunkel gekleideten Mann zu und setzte sich ohne nachzufragen ihm gegenüber. Nachdem er beide Becher unter den misstrauischen Blicken seines Tischnachbarn vollgeschenkt hatte, stellte er einen vor dem anderen Mann ab, welcher ihn grimmig musterte. Paland schätzte ihn zu seiner Verwunderung noch sehr jung ein. Er konnte nicht älter als 20 sein.

„Ich grüße euch mein Freund" sprach er ihn höflich an und grinste überheblich dabei. „Habt ihr Lust einen Becher mit einem talladrischen Reisenden zu trinken und ein wenig zu plaudern?"

„Warum?" antwortete der Junge.

„Nun, ich wüsste gerne einige Neuigkeiten. Ich bin erst seit einigen Wochen im Süden mit einem Schiff eingelaufen und würde gern ein wenig mehr über das alte Kaisserreich erfahren." Meinte Paland beiläugig. Er bekam ein komisches Gefühl. Es ähnelte dem Gefühl welches er bei dem Assassinen fühlte bevor dieser ihn angegriffen hatte. Vielleicht lag es an dem Buch.

„Sehe ich wie jemand aus der sich für so was interessiert? Nehmt euren Wein und geht an einen anderen Tisch bevor ich euch benehmen einprügle."

Paland grinste. Irgendwie hatte er sich die selentische Gastfreundschaft anders vorgestellt. Er musste subtiler vorgehen, also nahm er das Buch aus seinem Bündel welchers er neben seinem Stuhl abgestellt hatte und legte es geradewegs auf den Tisch. Sein Gegenüber wurde blass. Diese Reaktion ließ Paland nicht mehr daran zweifeln das der Mann auch etwas damit zu tun haben musste.

„Ich würde gerne mit euch hierüber reden mein Freund" er flüsterte noch hinterher „Assassinen und schwarze Falken lesen ganz gern so was, oder?"

„Schwarze Falken? Wie...wie kommt ihr zu der Annahme das ich..." flüsterte der Junge bis Paland ihn zornig aber leise unterbrach.

„Ein Mann hat heute versucht mich zu töten und ich hab ihm das da abgenommen. Ich weis das ihr ebenfalls mindestens eines der Bücher bei euch tragt."

„Woher.."

„Ich weis es einfach."

Der Junge schüttelte den Kopf.

„Was habt ihr damit zu tun?"

„Wisst ihr überhaupt was das ist?"

„Etwas schlimmes mit großer Macht. Diese Bücher richten Unheil an. Ich wusste nicht das es zwei davon gibt."

„Es gibt vier davon" meinte Paland.

„VIER?!" entfuhr es dem Jüngeren.

„Ja mein Freund. Doch wisst ihr überhaupt was es mit ihnen auf sich hat?"

„Erzählt es mir und ich werde zuhören."

„Ich habe bei dem Mann der mich angegriffen hat einen verschlüsselten Brief gefunden. Ich hatte früher...nun ja, mit ähnlichen Dingen zu tun. Wenn ihr wollt erzähle ich euch meine Geschichte und ihr erzählt mir die eure Herr..."

„Firnald, mein Herr..."

„Nennt mich Paland."

Paland würde ihm natürlich seine Geschichte stark gekürzt erzählen in dem er sich als einfacher Wanderer ausgab der früher am Hofe des Königshauses von Talladran angestellt war. In gewisser Weise stimmte das ja auch, aber eben nur in gewisser Weise. Vielleicht konnte dieser Firnald ihm ja auch helfen den Brief zu entschlüsseln. Wenn es ihm möglich wäre die Bände des Zorns zu sammeln wäre das.....eine gigantische Sache!

Kapitel 5

(Herbst, 5. November 924, 4. Zeitalter)

Silbern stand der Mond am sternenleeren Firmament. Wie eine Bastion des Lichts in der Leere der allgegenwärtigen Dunkelheit die nunmehr keinen Glanz mehr ertragen konnte, und es schien als wollte die verschlingende Schwärze das Gestirn nun ganz und gar in sich aufnehmen. Kaum etwas konnte Fandales von dem hohen Nordturm der Trotzfeste Grimmfels unter ihm ausmachen. Die Belagerer der nunmehr vereinigten erethischen Stämme die mittlerweile seit vier Tagen und Nächten vor den Toren lagen hatten alle Fackeln gelöscht. Im fahlen Licht des Mondes konnte er nur Umrisse des Lagers mit den runden, flachen Zelten erkennen, doch Menschen waren bestenfalls schemenhaft wahrzunehmen. Er hatte schon daran gedacht in der schützenden Finsternis einen Ausfall mit der schweren Kavallerie zu unternehmen, doch waren seine Reiter nach vier blutigen Tagen auf den Mauern und am durchbrochenen Westtor nun nicht mehr zahlreich genug um den Angreifern schwere Verluste zuzufügen. Es ging mittlerweile auch nicht mehr darum diese Schlacht zu gewinnen. Nein, er hoffte in dieser Nacht nur das einer der Boten der letzten Nächte durchgebrochen war und die südlich gelegenen Städte und Dörfer warnen konnte. Welch Massaker würde es geben wenn diese Streitmacht ohne Vorwarnung in Gelden einmarschierte. Dort lebten über 12000 selentische Bürger und diese wurden nur von einer Freiwilligenmiliz aus gut tausend Mann verteidigt die von einer kleinen Bruderschaft der Silbernen geführt wurde. Gegen eine Armee von geschätzt 30000 erethischen Stammeskriegern konnten sie sich nur mit Unterstützung zur Wehr setzen, jedoch fehlte es derzeit überall an Männern. Wie er vor einigen Wochen noch gehört hatte waren die Jinderee am Pass im Eisengebirge durchgebrochen und Fürst Hendir hatte alle waffenfähigen Männer um sich gescharrt um einen erbitterten Kampf gegen das Heer der Eindringlinge zu führen. Der Konflikt war eskaliert und das Kaisserreich hatte die Kontrolle über die Situation verloren. Wenn nur nicht alles auf einmal passiert wäre. Nie hätte sich jemand träumen lassen das der Pass fällt. Nie hätte man sich denken können das jemand in der Lage wäre alle Stämme der Feueranbeter zu vereinigen und ein solches Heer gegen die Selenten aufzustellen. Mit ihnen nicht zugetrauter Raffinesse waren sie vorgegangen und hatten sich Belagerungsgeräte gebaut. Lange Leitern mit Haken, große Sturmrammen mit eisernen Pechschilden darüber. Es waren hart umkämpfte Schlachten auf den Mauern gewesen in denen Fandales mittlerweile die Hälfte seiner ehemals viertausend Krieger verloren hatte. Seither hatte er jedem Kind, jeder Frau und jedem Greis ein Schwert geben lassen. Niemand sollte kampflos sterben und keiner würde sich ergeben, dass hatte er befohlen und es sich von allen schwören lassen. Gefangene waren in Händen der Feinde oft eine nützliche Waffe. Er wusste noch als vor einigen Jahren noch der lange Friede gegolten hatte da die Selentee den südlichsten Häuptling der Ereth, Tartek, gefangen genommen hatten und ihm Gnade gewährten. Doch die Zeit der Schonung war vorbei. Zu groß war der Hass der Barbaren seit Tamliets großem Fehler.

Fandales fürchtete sich nicht mehr davor das es hier für ihn enden würde, doch fürchtete er sich davor wie es enden mochte. Die Passage des durchbrochenen Westtores wurde jeden Tag teuer erkauft und die Mauern konnten nur noch dürftig besetzt werden. Es war vielleicht noch eine Frage von ein oder zwei Tagen bis sie unterlagen, doch er würde noch einige von seinen Feinden mitnehmen. Für den guten Illander, der durch eine kurze, geworfene Axt in seinen ungeschützten Nacken starb und von der Mauer fiel und nun immer noch in Stücke gehackt zwanzig Schritte unter ihm lag. Für den zornigen Mealic, der mit seinem gefürchteten Zweihandschwert Kassander das Tor im Westen mit nur zwei Dutzend Mann fast eine halbe Stunde hielt bis endlich neue Männer zur Verstärkung eintrafen. Aus tausend Wunden blutend hielt ihn Fandales am Abend in seinen Armen als er ihm sagte, dass so zu sterben keine Schande sei und seine Schuld nunmehr bezahlt sei. Doch konnte Fandales seine Tränen nicht zurückhalten und weinte bis die Dämmerung des nächsten Morgens hereinbrach. Er schätzte an diesem Abend das wohl fünftausend Feinde bisher ihr Leben an der Feste gelassen hatten, doch fürchtete keiner von ihnen einen neuen Ansturm. Ihr Zorn war der Verzweiflung der Verteidiger um vieles überlegen. Und so ging der Mond in sich wie Jahre zählenden Stunden in der Dunkelheit unter und der feuerrote Ball der Sonne stach hervor und die Schlacht begann von neuem. Vier weitere Tage konnte Fandales die Ereth noch aufhalten bevor er durch die Hand des Herren aller erethischen Stämme am Westtor in einem Zweikampf seinen rechten Arm verlor um danach von ihm geblendet zu werden und elendig mit seinen Wunden und der Blindheit geschlagen an das Tor der Feste gekettet zu sterben. Er wusste nicht das keiner seiner Boten angekommen war und zwei Tage nach diesem die Stadt Gelden in Flammen aufging. Das die Kinder an den Füßen an einer langen Leine aufgehängt wurden und man ihre Kehlen nacheinander durchtrennte, die Frauen geschändet und verstümmelt wurden und die Männer ebenso blutig und grausam starben. Keiner entkam, doch wurde die Bluttat gerächt und das Heer der Ereth besiegt. Doch bis dahin war es noch eine lange und traurige Zeit die an anderer Stelle erwähnt werden soll. Morgen vielleicht.

Es dauerte ein paar Momente, dann erhob sich Beifall von den Männern und Frauen in der Taverne. Teljahn stand oben auf einem Tisch in der Ecke, von dem er die Geschichte von Fandales Fall erzählt hatte und grinste. Er machte großzügige Verbeugungen und Tjen ging mit einem breitkrempigen Hut umher um einige Münzen zu sammeln. Tjen hatte ja auch die Idee gehabt das Teljahn einige Geschichten vortragen sollte um ein wenig Zubrot zu verdienen, denn ihr gemeinsames Unternehmen warf leider nicht genug ab um ihren mittlerweile sehr erhabenen Lebensstil zu decken. Vor allem deswegen nicht weil die meisten Dienstleistungen unter dem Buchungsvermerk „Eigenbedarf" abgeschrieben werden mussten. Als Teljahn ihm dann in einer langumzechten Nacht die ausführliche Geschichte seines Namensgebers erzählte war Tjen so begeistert das die Beiden sofort ein Geschäft daraus machten. So zogen sie nun seit einigen Tagen in den Tavernen herum und Teljahn erzählte seine Geschichten während Tjen mit dem Hut herumging. Der Junge aus dem einigen Norden hatte mittlerweile schon einen guten Namen hier, zum ersten Mal in seinem Leben hatte er irgendwo einen guten Namen und er genoss es spürbar.

„Das war ziemlich gut" meinte Tjen und reichte seinem Geschäftspartner einen großen Krug Met. Normalerweise trank Teljahn ja härtere Sachen, doch es war erst kurz nach der Dämmerung. Die Beiden würden erst mal mit sanften Getränken beginnen, wie fast jeden der vergangenen Abende auch. In der Vernunft liegt die Kraft oder so ähnlich.

„Danke." Nahm Teljahn den Krug entgegen und trank einen großen Schluck. „Morgen abend nehm ich mir was zu trinken mit hoch." Er trank erneut. „Eine trockene Kehle ist so was von" und schon wieder „schlimm. Glaub mir lieber würde ich" und noch mal „ein Jahr lang abstinent leben als" und noch mal „mir so lange den Mund fusslig zu reden" der Krug war leer „wie eben".

Tjen schüttelte kurz den Kopf und trank seinen Krug auf einen Zug leer.

„Ist ganz gut gelaufen" sagte er dann während sie Richtung Theke liefen um Nachschub zu holen. „Vierundzwanzig Silberstücke und ein paar Dutzend Kupfermünzen. Die Kupfermünzen werden wohl für die Zeche draufgehn."

„Meinst du das reicht?" beäugte Teljahn misstrauisch den Hut mit ihren Einkünften.

„Nein, aber ich hab schon was für das Restgeld von gestern bestellt." Beruhigte Tjen ihn während er mit dem leeren Krug auf eine Schankmaid zeigte die in ihre Richtung mit zwei randvoll gestellten Tabletten und vielen großen und mittelgroßen Bechern unterwegs war. Nach einigen Schritten hatte sie die beiden erreicht und drückte jedem eins der Tablette in der Hand.

„Was ist da alles drin?" fragte Teljahn.

„Keine Ahnung. Ich hab gesagt wir würden gern mal alle Wein-, Bier- und Schnapssorten testen die es hier so gibt."

„Und die speisen uns nur mit je einem Dutzend Becher ab?" empörte sich Teljahn.

„Sieh mal zur Theke" meinte Tjen nur und wies mit dem Kopf in die Richtung eines überlasteten Schankwirts welcher der gleichen Bedienung die gerade bei ihnen gewesen war nochmals zwei Tablette in die Hand drückte.

„Ahhh. Das klingt doch vernünftig" lobte der Jüngere der Beiden.

Sie hatten sich einen kleinen Tisch, der für drei Personen bestuhlt war, freihalten lassen und ließen sich nieder um den „harten Arbeitstag" entsprechend ausklingen zu lassen. Bevor sie tranken fragte Teljahn „Wie lange noch bis zur Morgendämmerung?"

„Weis nicht. Zwölf Stunden?"

„Was! Wir gehen schon in zwölf Stunden? Zum Wohl."

Als es ungefähr noch zehn Stunden dauern sollte und die ersten vier Tablette bald Platz machen mussten, gesellte sich ein Mann zu den beiden, welcher wohl zu einem Adelshaus gehörte. Er trug eine Tunika mit einem Wappen auf dem Herzen und einen kurzen, grauen Mantel den er beim setzen mit einer übertrieben eleganten Bewegung hinter die Stuhllehne warf.

„Guten Abend werte Herren" grüßte er. Da die beiden gerade jeweils einen großen Krug im Ansatz leerten, kam kein Gruß zurück. Der Mann fuhr daraufhin einfach fort.

„Meine Herren, ich habe von euren großen Kenntnissen in den Geschichten des alten Kaiserreiches gehört und möchte ihnen etwas einmaliges anbieten." Falls er auf eine neugierige Antwort gewartet hatte täuschte er sich. Teljahn setzte seinen Krug als erster ab und rief halblaut „achunschwantzisch su schwansisch".

Tjen zog es vor besser gar nichts zu sagen. Statt dessen fiel er nach dem Abstellen nach rechts von seinem Stuhl herunter und riss gut ein Dutzend Becher mit vom Tisch. Der Mann erkannte wohl das er momentan keinen klaren Ton von einem der beiden erhalten würde, also nahm er zwei zusammengerollte Zettel aus einem Gürtelbeutel und schob je einem der beiden Kampftrinker einen in die Geldbörse. Das niemand daran dachte sie auszurauben war fast schon ein kleines Wunder. Der Mann ging unbemerkt wie er gekommen war ohne darauf zu achten das Teljahn sich mittlerweile auf dem Tisch lautstark übergab.

Die Beiden erwachten ungefähr zehn Stunden später vor der Tür der Schenke. Zeit nach Hause zu gehen. Im heimischen Bordell angekommen teilten sie die Mädchen ein. Jeder hatte inzwischen eine Lieblingsmaitresse die ihn badete.

Auf ihr allmorgentliches Lustbad folgte sodann die Buchhaltung.

„Fienna und Isa haben gestern gut was eingenommen" meinte Tjen beim Einstreichen des Gewinns.

„Ja, und das obwohl Isa im zweiten Monat schwanger ist"

„Meinst du es war einer von uns beiden?"

„Keine Ahnung. Und wenn ja werden wir nie herausfinden wer."

Nach einer genauen Studie und einer Überbeanspruchung des Rechenschiebers stellten sie fest das sie dringend noch einiges mehr an Geld brauchten damit sie ihre Silberreserven unangetastet lassen konnten. Sie könnten auch kürzer treten, aber diese Möglichkeit kam keinem von beiden in den Sinn.

„Für die Restauration der Zimmer und des Daches müssen wir noch sechzehn Talente Silber zahlen." Meinte Tjen nachdem das Ergebnis feststand.

„Oder vier Talente Gold." Meinte Teljahn. Das war genau die Summe die sie vor ihre Probleme stellte.

„Leer deinen Handbeutel aus. Vielleicht können wir damit ne Anzahlung machen."

Insgesamt waren 31 Silberstücke darin. Kupfermünzen führten sie nur so lange mit sich bis sie eine Taverne entdeckten.

„Uns fehlen also fünfzehn Talente. Oder genauer gesagt vierzehn und 29 Silberstücke." Das klang positiver. „Was sind das für Zettel?"

„Keine Ahnung. Ich kann nicht lesen, warum sollte ich so was mit mir rumtragen." Meinte Teljahn gleichgültig.

Tjen war neugieriger. Als ehemaliger Kundschafter hatte man ihm Lesen beigebracht damit er Depeschen oder Botschaften ja auch richtig überbrachte. Er entfaltete beide und schmunzelte. Als Teljahn ihn fragte was drin steht las er ihm den kleinen Text vor:

Werte Barden, Minnensängerm, Erzähler und Historiker,

zum Zeichen der Einheit des Zentralen Bundes findet am folgenden 9. November in unserem bescheidenen Hause ein Wettbewerb statt, auf dem Sie dazu angehalten sind die Heldenepen der zweiten Epoche des selentischen Kaisserreiches zu erzählen.

Wir hoffen auf Ihr Kommen da Ihr hervorragender Ruf und Ihr wohlgenährter Verstand Ihnen zu dieser Einladung verholfen haben. Wir möchten Ihnen eine einmalige Chance bieten nach einem erfolgreichen Abschneiden Ihren wohlbekannten Namen in noch mehr Mündern erklingen zu lassen.

Als kleinen Anreiz stellt das Fürstenhaus Messien einen Preis von 10 Talenten Gold für den Gewinner. Juroren werden Ilven Messien, der Sohn des Fürsten, Endur Bindek, Stadthalter und Hofverwalter von Garnet, Dravik Kand, Hofdichter und Philosoph sowie Juviene Ihwes, Leiterin des fürstlichen Archives und Generalhistorikerin des Hauses Messien sein.

Für Ihr Kommen und der Bereitstellung Ihres Talents bedanken wir uns bereits im Voraus.

 

Haus Messien

Unterschrieben in Vertretungsvollmacht Endur Bindek, Stadthalter und Hofverwalter von Garnet

 

„Na so ein Zufall." Meinte Teljahn.

*

(Herbst, 7. November 924, 4. Zeitalter)

Paland kam mit seinem neuen Weggefährten gut voran. Der Mann hatte ihm nur wenig über sich erzählt, und das was er gesagt hatte waren meist nur Bruchstücke. Das Einzige was er sicher wusste war das er das Buch hatte und das der Kerl damit eher aus Versehen ganz Aenil verwüstet hatte. Das Firnald das Buch zufällig in die Hände bekommen hatte und das dieser nur ein einfacher Wächter eines Kaufmannes in Aenil gewesen war schien für Paland jedoch fragwürdig. Nicht das er ihm in allem misstraute. Zumindest nicht mehr als jedem anderen. Paland war sich bei vielen Dingen unsicher was Firnald betraf, doch war er sich sicher das er die vier Bücher vernichten wollte. Er ließ ihn in dem Glauben das dies auch sein Wille sei, doch um ehrlich zu sein wollte er die vier Bücher für, nun ja, eigene Zwecke verwenden. Doch das würde sein derzeitiger Gefährte nicht verstehen. Zumindest hatte er ihm die Wahrheit über die Bücher erzählt, so wie er sie kannte. Dies war auch ein Thema voller Ungewissheiten, doch als erstes wollte er die beiden anderen Bände in seinen Besitz bringen, dann konnte er Klarheiten herausfinden.

„Ist das da vorne schon Garnet?" meinte Firnald vom Rücken seines Pferdes.

Paland hatte dem Mann ein paar Reitstunden unterwegs gegeben und obwohl Firnald immer noch der Meinung war das Laufen besser sei, ritt er mittlerweile recht gut. Naja, recht gut für jemanden der es immer noch nicht konnte. Das Pferd hatte zumindest genug Vertrauen in seinen Herren. Wie ist ein Mann der nicht reiten konnte nur zu so einem Pferd gekommen? Ein Thema das die Ungereimtheiten in Firnalds Geschichte deutlich unterstrich. Ebenso wie das Silberdepot das er in Lirett abgeholt hatte. Wie kam ein einfacher Wächter zu so viel Geld? Die einzige Antwort die Paland bekommen hatte war „Familienersparnisse".

Für soviel Geld mussten sich mehrere Generationen von Wächtern die Beine in den Bauch gestanden haben.

„Ja, das muss es sein." Meinte Paland abwesend.

„Wie wollen wir eigentlich herausfinden ob die schwarzen Falken mittlerweile fündig geworden sind und ein anderes oder sogar alle zwei verbleibenden Bücher nun in ihrem Besitz sind?" meinte Firnald auf ein Thema das sie bis jetzt gemieden hatten.

„Wir schlafen uns erst mal aus, essen und baden. Es ist schon spät am Mittag, es lohnt sich heute nicht mehr etwas sinnvolles zu tun. Wir werden erst einmal die Gegend ein wenig auskundschaften."

Firnald runzelte die Stirn.

„Dann suchen wir eben erst mal ein Gasthaus. Aber morgen früh fang ich an mich umzuhören." Meinte er sodann.

„Ja ja, eins nach dem andern" beendete Paland die Unterhaltung und trieb sein Pferd an. Firnald behielt das Tempo nicht bei. Schnell reiten war noch nicht so seine Sache.

Paland ritt in die Stadt ein. Von weitem hatte er sich schon gewundert das die Stadt nicht ummauert war. Ein Zeugnis davon das sie noch nicht sehr alt sein konnte. Die alten selentischen Städte waren besser befestigt als die Jungfräulichkeit der Königstochter von Tallad, und das sagte eine ganze Menge darüber aus. Er konnte ein großes Gebäude etwas weiter östlich gelegen ausmachen das vermutlich eine Kaserne war. Die moderne Kriegsführung hielt kaum mehr etwas von befestigten Städten. Feldschlachten waren mehr oder weniger in Mode gekommen. Es war einfach wirtschaftlich tragbarer eine Entscheidung auf dem Felde zu suchen als teuer eine Belagerung in Kauf zu nehmen in der man die Bevölkerung durchfüttern musste und das Land trotzdem verwüstet wurde. Diese neue Einstellung passte irgendwie viel mehr zu den Selenten als sie freiwillig bereit waren zuzugeben. Als er auf Firnald am Stadteingang wartete sah er sich ein wenig eingehender um. Die meisten Gebäude schienen solide gemauert zu sein und hatten flache, begehbare Dächer. Es gab hier und da auch Holz- und Bretterbauten oder mit Schindeln oder Stroh gedeckten Dächern. Gemäß der Art des Architekturstils waren alle Bauten eckig angelegt, so dass die Stadt aussah wie eine große Ansammlung von alten grauen Kisten. Paland rümpfte die Nase angesichts der überlegenen und ästhetisch vollendeten Bauart seiner Landsmänner.

Bei der Betrachtung des gut bepflasterten Straßenbaus erkannte er jedoch das die Tallad hier noch nachholen mussten, denn das Pflaster wies kaum Makel wie Schlaglöcher auf. Die Bevölkerung kümmerte ihn eher weniger als die Bauart, jedoch vermerkte er sogleich in seinem Hinterkopf das hier fast jeder bewaffnet war. Sogar viele der Frauen trugen Zierdolche an der Seite und fast jeder Mann verfügte über mindestens ein Schwert oder eine Fechtwaffe. In den anderen Dörfern und Städten war ihm solches nie aufgefallen - zumindest nicht in solcher Menge. Firnald kam nunmehr neben ihm an und beide ritten nebeneinander in die Stadt ein.

„Mir ist gar nicht aufgefallen das dein Volk so Waffenvernarrt ist." Meinte Paland.

„Ist es auch nicht." Gab Firnald zurück. „Sieh dich doch mal hier um, die meisten Männer die hier rumlaufen sind Soldaten oder Söldner. Schau dir die abgetragenen Harnische, die Rundschilde und die verbeulten Kürasse der Kerle doch mal an. Würdest du als einfacher Mann in einer Stadt ohne Waffe herumlaufen wollen in der sich derart viel Söldnergesindel herumtreibt? Als Krieger hast du bestimmt schon deine Erfahrung mit solchen Leuten gemacht, oder?"

Paland zog eine Augenbraue hoch. „Bei uns gibt es so was nicht. Entweder man entscheidet sich als Krieger oder Soldat zu leben oder man tut was man tut. Es ist doch nichts ehrenhaftes sein Leben für Geld zu opfern."

„Das nicht, aber es ist allemal besser als zu hungern. Das aber so viele sich hier rumtreiben ist aber äußerst merkwürdig. Hier gibt's demnächst eine Schlacht oder einen Marsch zu einer, aber das ist nicht unser Problem."

„Du hast recht. Lass uns ein Gasthaus suchen. Ich muss mich waschen und mal was warmes essen."

Es dauerte einige Zeit bis sie etwas geeignetes gefunden hatten. Die meisten Zimmer der Stadt waren belegt und sie mussten etwas mehr Geld lassen da nur noch die Suiten der wirklich noblen Gasthäuser frei waren. Firnald hatte wohl auch keine Lust zu feilschen. Er schien müde zu sein. Paland grinste ein wenig über die Weichheit des Mannes der es nicht gewohnt war auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen. Er konnte sich kaum beherrschen als er Finralds geweitete Gangart bemerkte. Als die Beiden sich gewaschen hatten und im Schankraum ein nach Firnalds Meinung eindeutig überteuertes Mahl zu sich nahmen, betraten zwei Männer den Tavernenteil des Hauses und sprachen den Wirt an, worauf hin der Eine einen Tisch in der Ecke bereitstellte und sich als Barde vorstellte. Paland bemerkte das sich Firnald beim Erblicken des Mannes verschluckte und wie ein kranker hustete bis es ihm wieder gut ging.

„Kennst du den Mann?" fragte er.

„Ja."

„Wer ist es?"

„Ein alter Bekannter. Ich hab ihn zuletzt in Aenil gesehn. Ich freu mich das er nicht tot ist."

„Gibt es einen bestimmten Wunsch unter meinem verehrten Publikum?" fragte der Mann auf dem Tisch. „Eine bestimmte Geschichte des alten Kaiserreiches die ich erzählen soll?"

„Was kennst du denn alles?" rief Paland dem Mann zu worauf dieser in seine Richtung sah. Er schien Firnald erkannt zu haben da er den Kopf ein wenig schief legte und wohl kurz überlegte ob er ihn ansprechen soll. Jedoch grinste er kurz darauf und antwortete in wirklich arrogantem Tonfall „Frag lieber was ich nicht kenne, das geht schneller."

Ein paar der Gäste lachten leise über die Art wie der Mann sich daraufhin über Gebühr verbeugte.

Paland überlegte. Was würde er wohl gerne hören.

„Erzähl mal die Geschichte der Bruderkriege." Rief er herausfordernd in dem Wissen das die richtige Geschichte nicht unter einer Länge von zwei Tagen erzählt werden konnte.

„Na gut. Das kann etwas dauern." Meinte der Mann.

„Tjen, wo bleibt mein Denkanstoß?"

Der Mann mit dem er gekommen war brachte einen großen Humpen und reichte ihn dem „Barden". Dieser trank einen großen Schluck, räusperte sich grinsend und begann zu erzählen. Und wie er erzählte. Seine Zunge rollte und schlug Saltos so schnell wie er berichtete. Er brauchte nicht mal eine Pause - außer um zu trinken. Er erzählte, und erzählte, und erzählte. Es ging stundenlang. Der selentische Bruderkrieg, der so genannt wurde da aus diesem Krieg das einst geeinte selentische Volk entstand, dauerte seinerzeit fast zwölfhundert Jahre an und selbst wenn man nur die wichtigsten Details wie die Eroberung der Bucht von Seldar durch die Freiherren aus Firnheim oder die Erbauung und Verwüstung und Wiedererrichtung von Selentee der einstigen Hauptstadt, welche mittlerweile eine imposante doch verfallene Ruine war, erzählte benötigte man viele Stunden. Es dauerte auch viele Stunden. Nachdem er ungefähr das erste Drittel beendet und seinen siebten Krug geleert hatte, machte der Barde eine Pause um auszutreten. Firnald folgte ihm hinaus und sagte Paland er würde sich nach dessen Wohlergehen erkundigen. Schließlich sei es doch ein Bekannter aus alten Tagen und es war ein Akt von Respekt und Höflichkeit. Paland ließ ihn gewähren und wartete. Trotz der Neugier welcher Natur diese Bekanntschaft war.

Firnald hatte vergessen das Garnet ihr nächstes vereinbartes Reiseziel gewesen war. Er war froh das sein Bruder wohlauf war, doch musste er ihn dazu bringen von hier zu verschwinden. Wenn die Bücher wirklich hier waren hing diese Stadt am seidenen Faden des Schicksals. Hoffentlich kannte sich Paland so gut mit den Bänden aus wie er meinte.

Teljahn hatte sich auf den ersten Blick nicht wirklich geändert. Zumindest suchte er immer noch keinen Abort auf wenn er nur klein musste. So stand er da, zwei Schritt neben der Schenkentür und urinierte gegen die wand. Das er dabei direkt vor einem gut beleuchteten Fenster stand interessierte ihn wohl nicht.

„Teljahn, Bruder bist du wohlauf?" fragte er.

Teljahn drehte den Kopf zu ihm ohne seine Tätigkeit einzustellen.

„Jaja, mir geht's gut. Und dir?"

„Kann nicht klagen. Bin heil aus der Stadt rausgekommen. Du auch, was?"

„Du kennst mich doch. Im Weglaufen hab ich Talent."

„Ich weiß. Was ist eigentlich aus der Prinzessin geworden?"

Teljahn war fertig, hatte seine Sachen wieder eingepackt und in dem Moment als er sich mit diesem bestimmten Lächeln seinem Bruder zuwandte wusste Firnald was jetzt kommen würde.

„Ich hab sie aus der Stadt gerettet. Das hättest du sehn sollen, ich bin umstürzenden Häusern und herabfallenden Felsbrocken ausgewichen, hab die Stadtwächter in dem Getümmel abgehängt, im Vorübergehen noch ein zwei Leute vor dem sicheren Tod bewahrt und mich letztendlich heldenmutig ohne auf mein eigenes Wohl zu achten über sie geworfen um ihr Leben zu retten."

„Aha." Meinte Firnald nur der um die Übertreibungen seines Bruders nur allzu gut wusste. Vielleicht ein Grund warum die Menschen so gern seinen Geschichten lauschten. Firnald selbst hatte noch nie viel dafür übrig gehabt. Teljahn hatte sich die Geschichten ja immer noch als erwachsener Mann, nun erwachsen oder ein Mann würde der Typ wohl nie werden, erzählen lassen.

„Hör zu Teljahn, ich hab hier einiges zu erledigen und ich weis aus sicherer Quelle das es hier bald ziemlich übel scheppern wird. Es ist wohl das Beste wenn du nach Firnheim gehst oder von dort aus auf die Bardoninger Inseln. Da wolltest du doch immer mal hin und ich kann dir auch noch ein paar Silbermünzen mit auf den Weg geben."

Teljahn schüttelte den Kopf. „Das stimmt schon, aber ich glaub ich bin sesshaft geworden."

„Wer? Du? Natürlich." Lachte Firnald.

„Jetzt hör doch mal zu!" unterbrach Teljahn das Hohngelächter. „Ich lebe mit einem Bekannten zusammen in einem netten kleinen Betrieb den wir selbst verwalten und führen. Komm doch heut abend mal vorbei und bring den Kerl der mit dir unterwegs ist mit, es lohnt sich bestimm."

Nach einem kurzen verblüfften Blick schüttete sich Firnald vor lachen auf den Knien aus. Er faselte immer wieder was von „Betrieb" und „verwalten". Hahaha.

Teljahn schüttelte den Kopf und ging an ihm vorbei um die Schenke zu betreten, doch Firnald hielt ihn an der Schulter fest und kriegte sich kurz darauf wieder ein.

„Na gut, wir kommen später mit."

Teljahn nickte und fragte beiläufig nach Firnalds neuem Reisebegleiter. Als Antwort bekam er nur das der Mann Paland hieß, aus Tallad stammte und zufällig den gleichen Weg hatte. Mehr wollte er auch gar nicht wissen. Er ging rein und erzählte die Geschichte weiter, mit einem neuen Krug natürlich…

Als Firnald dem Mann den er als Tjen kennengelernt hatte folgte während er seinen wie nur allzu oft total betrunkenen Bruder stützte, fragte Paland um was es sich bei dem Betrieb handele. Als Firnald hörte es sei ein Bordell zog er die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf.

„Was hätte sonst aus dir werden sollen wenn nicht ein Zuhälter." Meinte er ernster als es klang.

„Muscht du graad saaan, Asslasieene."

Paland hatte es gehört, dessen war sich Firnald sich. Aus der Wut des Moments heraus schlug er Teljahn mit der Faust in die Magengrube, so dass dieser sich lautstark mitten auf die Straße übergab. Paland grinste ihn an. „Mach dir keine Sorgen, wir reden morgen darüber."

*

Nielle saß gelangweilt auf ihrem Zimmer, wie all die letzten Abende die sie als inoffizielle Gefangene und offizieller Gast des Fürsten von Messien verbrachte. Sicher, man gestattete ihr nachmittags ein paar Stunden im Wintergarten spazieren zu gehen, mehr aber auch nicht und auch dies nur unter strenger Bewachung. Ilven hatte des öfteren versucht sie zu sprechen und sich zu entschuldigen, doch sie traute ihm kein Stück mehr über den Weg. Wahrscheinlich hatte er das Ganze geplant und versuchte nun weiterhin sie als Marionette zu verwenden. Er war schon immer ein begeisterter Marionettenspieler gewesen. Schon als Kind konnte er seinen Eltern fast alles verkaufen damit diese seinen Bruder oder sogar seine beiden jüngeren Schwestern bestraften. Sie traute ihm kein Stück mehr über den Weg. Jedoch war er hartnäckig. Seit Tagen brachten seine persönlichen Diener jeden Morgen Blumen und Briefe, Bücher und Spielereien, Süßigkeiten und weiteren Krimskram. Er hatte ihr sogar einen Zierdolch geschenkt der allerdings nicht wirklich als Waffe zu gebrauchen war. Selbst kleine Feste und Empfänge hatte er für sie arrangiert um sie zu locken. Wie er das mit seinen Eltern hätte hinkriegen sollen wenn diese gegen ihn waren erschien ihr schleierhaft. Dies ließ sie endgültig zur Überzeugung kommen das er das Ganze geplant hatte und nun versuchte ihr Vertrauen zurückzuerlangen um sie weiterhin für seine Pläne einzuspannen.

Als sie gerade im Gedanken seine Gliedmaßen von einem Scharfrichter mit einer großen schweren Axt abtrennen ließ, klopfte es an der Tür. Sie hatte jedoch von innen abgeschlossen da sie sich vorgenommen hatte jeglichem Umgang mit den Hausherren aus dem Wege zu gehen. Jemand schob ein wohlverziertes Briefkuvert unter der Tür hindurch. Sie ließ es einige Zeit links liegen, da ihr jedoch langweilig war und sie diesen Zustand mehr als hasste nahm sie ihn auf. Es waren feine Goldlinien auf dem Rücken des Kuverts und er duftete nach Rosenduft. Ein Liebesbrief? Von Ilven? So subtil ging er doch nicht vor, dass war nicht seine Art. Falls er es doch versuchte würde sie den Brief seiner Wache zum lesen geben. Vielleicht machte er die Runde und er konnte in seinem eigenen Haus nicht mehr auf und ab gehen können ohne unter den belustigten Blicken seines Haushofstaates mit roten Wangen umherzulaufen. Eine amüsante Vorstellung fand Nielle. Sie öffnete den Brief. Es war eine Art Einladung zu einem Wettbewerb von Barden und Minnensängern der in zwei Tagen stattfinden sollte. Ilven wusste das Nielle Poesie sehr mochte und schätzte, doch da nur Geschichten des alten einigen Reiches vorgetragen werden sollten war für sie klar das es sich um eine Art Propaganda handelte. Die Landesherren und Verbündeten des Fürstenhauses sollten an diesem Abend von Heldenmut und Ehre der alten Geschichten begeistert werden. Ein Krieg stand wohl kurz bevor, dass sah sogar ein Blinder ohne Krückstock. Es lag sogar eine Liste der Schausteller bei deren Namen sie auch zum großen Teil kannte. Irgendetwas kam ihr komisch vor und beim zweiten Durchlesen der Namen fiel es ihr endlich auf.

Teljahn Edion, ein neues aber in kürzester Zeit außerordentlich angesehenes Gesicht unter den Barden Garnets.

Teljahn ein Barde? Naja, er kannte sich gut aus mit der Geschichte, aber ein Barde? Sie dachte nach. Es könnte auch einfach jemand mit dem gleichen Namen sein, aber der Name war eher selten. Hätte sie nur während ihrer kurzen Reise nach seinem zweiten Namen gefragt wüsste sie jetzt Bescheid. Eine Möglichkeit diesem ganzen hier zu entfliehen schloss sich ihr urplötzlich auf und sie hatte eine kleine Hoffnung das es gut gehen könnte. Wenn Teljahn hier war, konnte es gut sein das auch sein Bruder hier war. Sie musste Teljahn überzeugen ihr zu helfen, was ihr bei seinem Verhältnis zu ihrem Geschlecht als ziemlich sicher einstufte. Zur Not würde sie etwas mit Alkohol nachhelfen müssen. Es gab seit Tagen endlich wieder mal einen Lichtblick und damit wieder etwas zu tun. Die Langeweile war endlich vorbei doch das Warten sollte ihr länger vorkommen als ihre gesamte Kindheit.

*

(Herbst,9. November 924, 4. Zeitalter)

Teljahn erwachte. Eines der Mädchen, Alienna oder so glaubte er hieß sie, lag neben ihm. Er war glücklich und zufrieden. Da heute der große Wettbewerb war, von dem er überzeugt war das er gewinnen würde, hatten sie sich gestern abend frei genommen. Es hatte sich gelohnt. Allerdings wollte er nach seinem Beischlaf mit Alienna, Helen und Bearlinde erholungsreif und schickte zwei der Mädchen wieder nach unten um ein wenig Profit zu machen. Er mochte Alienna und sie mochte ihn wohl auch. Sie war zwar sieben oder acht Jahre älter als er, aber trotzdem mochte er es mit ihr zusammen zu sein, ein paar tolle Sachen im Bett zu machen und manchmal reichte es ihm sogar einfach nur sie zu küssen. Klar, er küsste gern, aber für ihn war vorher ein Kuss nur ein Pfad ins Bett gewesen, nichts weiter. Sie hatte leicht die Augen geöffnet und er begann sie noch einmal zu küssen und streichelte sie noch ein paar Minuten lang bevor er aufstand und sich von fünf Jahre jüngeren Schwester baden zu lassen. Ach ja, die war auch nicht schlecht. Lag wohl in der Familie.

Nach dem Bad saß er in dem kleinen Privatraum den Tjen und er meist für ihre Gelage genutzt hatten. Tjen, Paland und Firnald saßen beisammen und frühstückten. Firnald hatte ihnen die ganze Geschichte von den Büchern erzählt und nebenbei noch seinen Beruf gegenüber Tjen und Paland benannt. Keiner der beiden schien sich dabei unwohl zu fühlen das er ein Assassine war, jedoch verwirrte es Tjen wohl eher das er sich nicht in seinem Haus bediente. Paland war da seiner Meinung nach besser gelaunt. Der Kerl war fast jeden Abend da und ließ sogar immer etwas springen. Teljahn war er bis dahin sympatisch. Vor allem hatten sie einen ähnlichen Sinn für Humor. Sie machten sich beide über Firnald lustig. Da Teljahn als auftretender Barde sogar ein paar Freunde mitbringen durfte, er hatte extra nachgefragt, kam Paland sogar mit. Tjen wollte sich am Abend um den Laden kümmern und Firnald war fast die ganze Zeit unterwegs um Informationen zu sammeln. Teljahn hatte schon von einigen Morden in Schenken gehört in denen betrunkene Söldner verschwunden waren um friedlich schlafen auf den Stufen des Tempels neben dem Fürstenhaus gefunden zu werden. Da die Söldner scheinbar noch keinen Vertrag hatten kümmerte sich kaum jemand darum. Tja, manchmal geriet man beim Saufen an den falschen, besonders bei seinem leicht reizbaren Bruder. Keine gute Eigenschaft für einen Assassinen, aber er kannte seine Grenzen.

Nachdem die Vier gefrühstückt hatten legte sich Teljahn wieder hin und schlief bis abends. Ausnahmsweise mal alleine. Er wollte einen guten Eindruck bei dem Wettbewerb machen.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.06.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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