Gerda Schmidt

Im einsamen Landhaus

Die Kinder waren bereits aus dem Haus ausgezogen und dieses Jahr wollten Ruth und Herbert das erste Mal alleine in Urlaub fahren. Da sie nur zu zweit waren und nach dem hektischen Jahresbeginn ein Termin den anderen jagte, entschieden sie sich für einen zurückgezogenen Urlaub in einem Landhaus. Über das Internet suchten sie sich ein paar Objekte aus, die sie dann im Reisebüro überprüfen lassen wollten, um dann eines zu buchen. Beide liebten die Provence. Deshalb wollten sie sich eine Mas im Herzen des Luberon wählen. Die ganze Region schimmerte im Mai lavendelblau und verströmte einen Duft, der einen in eine andere Welt versetzte. Da die Lavendelblüte in die Vorsaison fiel, war die Auswahl an schönen, gemütlichen Häusern recht groß. Sie fanden ein geeignetes Domizil, das ihren Ansprüchen entsprach. Ein großes, altes Haus aus gebrochenem Granitstein der Region hatte alles zu bieten, was man für die Einsamkeit brauchte. 5 Schlafzimmer im oberen Stock, von denen sie nur eines benutzten, waren romantisch ausgestattet und gaben einen Blick auf Lavendelfelder und Weiden frei. Die Küche und der Salon führten beide auf eine sonnendurchflutete Terrasse, die links von einem Bauerngarten umrahmt wurde und von der man rechts über eine kleine Treppe zum Swimmingpool gelangte. Daneben lag das beachtliche Gästehaus. Das ganze Grundstück maß gut 70a und lag etwa 1km vom nächsten Haus entfernt. Bis zum Dorf zog sich eine 4km lange unbefestigte Landstrasse. Gerade als sie das Haus verließen, um ins Reisebüro zu gehen, klingelte das Telefon. Da es an diesem Donnerstag schon spät war und sie nicht mehr viel Zeit hatten, ignorierten sie das Läuten und zogen die Haustür hinter sich zu.

„Sie haben sich bereits ein Objekt aus dem Katalog ausgesucht. Gut dann wollen wir mal sehen, ob es zum entsprechenden Zeitpunkt frei ist. Das ist schon etwas knapp, wenn sie bereits am Wochenende losfahren wollen.“

Der Sachbearbeiter des Vermittlungsbüros gab den Code aus dem Katalog ein und bekam sofort die Daten geliefert.

„Vom 28.05.05 – 04.06.05 können Sie die Mas noch mieten. Das Haus habe ich vor 3 Jahren besichtigt und kann dazu nur sagen, es ist eines unserer besten Objekte. Allerdings finde ich es für zwei Personen doch etwas zu groß.“

„Wir suchen Ruhe und Abgeschiedenheit in einer ländlichen Umgebung. Meine Frau und ich wollen spazieren gehen, die Natur genießen, und entspannen. Die Geräusche der Natur können uns voll in Anspruch nehmen. Grillen sollen uns ganze Konzerte geben. Und falls der Mistral bläst setzen wir uns mit einer Flasche Rosé gemütlich vor den Kamin.“

„Da haben Sie sich genau das richtige ausgesucht. Ich würde Ihnen aber empfehlen den Rotwein der Region zu versuchen. Der Rouge der Provence ist kaum bekannt, aber ganz vorzüglich. Er wird auch nur in kleinen Mengen angebaut und kann dementsprechend nicht vertrieben werden. Sie müssen vor Ort bei den Weinbauern einkaufen gehen.“

Nun hatte Ruth noch eine Frage, die die Annehmlichkeiten des Urlaubs erhöhten.

„Apropos einkaufen. Ist es bei Ihnen möglich einen Service über die tägliche Lieferung von Baguette, Croissant und Milch zu buchen? Ansonsten ziehen wir es vor abends Essen zu gehen. Nur ab und zu können wir selbst auf der Terrasse grillen.“

„Kein Problem. Ein Lieferant wird Ihnen früh morgens alles frisch an die Haustüre liefern.“

Der Berater notierte den Zusatz und gab es auch gleich im Computer ein.

„Bleibt nur noch die Frage offen, ob Sie das Gästehaus mitbuchen. Das kostet nochmals 700€/Woche.“

„Das ist nun wirklich nicht nötig, da wir ohne Kinder Ferien machen. Was sollen wir mit soviel Platz. Sagten Sie nicht selbst, das Haus sei etwas groß für zwei Personen?“

Herbert fand es unnötig noch das 2. Gebäude dazu zu buchen. Er benötigte auch zu Hause kaum mehr Platz als eine Statue.

„Das ist nur zu Abklärung des Zugangs. Sie erhalten keine Schlüssel für das Gästehaus. Somit wäre alles klar. Bezahlen werden Sie unten bei unserer Vermittlerargentur. Ich wünsche Ihnen erholsame Ferien.“

Auf dem Weg zu ihrem Urlaubsdomizil fuhren Ruth und Herbert gemächlich durch das Rhonetal und genossen die immer wärmer werdende Sonne. Ein kleiner Umweg führte sie durch die Alpillen und gab ihnen die ersten Eindrücke des Urlaubs. In dem kleinen Ort des Luberon erwartete sie eine Mitarbeiterin der Agentur und brachte sie zu ihrem Ferienhaus. Sie ging alle Räume mit ihnen durch und zeigte hier und da eine Besonderheit. Dann ließ sie die beiden alleine. Zur Feier der glücklichen Ankunft öffnete Herbert eine Flasche Cremant aus der Region und sie genossen den frühen Abend am Pool. Die smaragdblauen Mosaiksteine luden zum ersten Bad ein. Beide zogen sich aus und sprangen nackt in das Becken, da sie völlig alleine waren. Erst als die Sonne hinter den Hügeln verschwand zogen sie sich nach drinnen zurück. Jeder genoss den Ausklang des Tages auf seine Art. Herbert suchte eine CD von Dvořák aus dem gut sortierten Musikschrank und legte sie in den CD-player, während Ruth ein Buch las. Sie tranken dazu die unterwegs gekaufte Flasche Rotwein, die ihnen tatsächlich vorzüglich mundete. Erst nach Mitternacht gingen sie zu Bett.

Nachdem sie spät aufgestanden waren holte Ruth die Lebensmittel ins Haus, die für das gemütliche Frühstück auf der Terrasse geliefert wurden. Heute entschieden sich beide für Faulenzen. Der Garten bot viele Möglichkeiten der Zerstreuung. Von einem Blütenmeer aus Bougainville schlängelte sich ein kleiner Pfad zum Rhododendrengarten. Darauf folgte ein kleiner Olivenhain, dem sich ein wilder Kräutergarten mit Rosmarin, Lavendel, Zitronenmelisse und anderen Pflanzen anschloss. Passierte man die Lorbeer- und Buxbaumhecke, stand man vis-a-vis des Gästehauses. Das alles ließ das Herz eines jeden Gärtners höher schlagen.

Der nächste Tag war zur Erkundung der Umgebung geplant. Ein stundenlanger Marsch durch Lavendel- und Getreidefelder war genau das richtige für einen gestressten Stadtmenschen. Auf einer kleinen Wiese ruhten sie sich nach einem ausgedehnten Picknick aus. Herbert legte sich ins hohe Gras und beobachtete die einzelnen Wolken, die ab und zu vorbeizogen. Ruth lief barfuss über die Wiese und pflückte Blumen für einen Strauss. Sie hatte ihre Malutensilien dabei und wollte eventuell etwas zeichnen. Mit Geschick steckte sie Kornblumen und Margeriten zusammen. Vereinzelt nahm sie ein paar Mohnblumen dazwischen. Akelei und wilder Knoblauch gaben dem Strauss ein mediterranes Aussehen. Unterdessen hörte man die Grillen zirpen, was ein Zeichen von Ruhe und Sicherheit war. Nach einer langen Rast machten sie sich auf den Rückweg.

Als sie das Grundstück mit der halbhohen Mauereinfassung erreicht hatten, hörten sie aus dem Garten laute Rockmusik. Ein Blick über die Mauer verriet ihnen die Anwesenheit mehrerer jungen Leute, die sich auf dem Rasen tummelten. Entsetzt schaute sich das Paar an. Wer war denn das? Sie beschlossen das Haus ganz normal zu betreten. Als sie in die Küche kamen, standen dort zwei junge Frauen, die am Herd herumhantierten. Ein Blick auf die Terrasse bestätigte die Annahme, dass jemand den Grill in Betrieb genommen hatte.

„Was machen Sie denn in unserem Haus? Wir haben das ganze für sieben Tage gebucht!“

„Nein, das Gästehaus war noch frei. Wir sind dort für eine Woche eingemietet. Da es dort keine Küche hat, sollen wir uns bei Ihnen bedienen. Leider konnten wir sie nicht fragen, da Sie nicht hier waren.“

Die kleine Brünette gab das wie selbstverständlich von sich.

„Das ist ja die Höhe. Wir wurden nicht darüber informiert. Ich werde mich gleich darüber beschweren.“

„Ach ja, und die Poolbenutzung steht auch im Vertrag.“
Herbert ging mit Ruth zum Telefon und wählte verärgert die Nummer der Agentur.

„Hören Sie mal, Herr Walker. Wir haben hier eine Horde Wilder bei uns im Haus. Das ist eine eindeutige Belagerung. Ich verlange auf der Stelle, dass sie die Leute sofort rauswerfen.“

„Jetzt mal ganz ruhig, Herr Müller. Ich habe Sie gefragt, ob Sie das Gästehaus mitbuchen wollen. Sie waren nicht daran interessiert.“

„Meine Frau sagte doch eindeutig, dass wir Ruhe und Erholung suchen. Und dann finden wir hier eine Disco vor.“

Herr Walker setzte an Herrn Müller die Problematik zu erklären.

„Herr Müller, wir sind nicht die einzige Agentur, die dieses Haus vermietet. Das Gästehaus kann separat gebucht werden. Deshalb ist der Preis auch eher niedrig angesetzt. Im Vergleich zu den anderen Angeboten liegen wir mit 1.500.-€/Woche für ein Haus mit 5 Schlafzimmern weit unter dem Durchschnitt.“

„Wenn ich das gewusst hätte, wären wir niemals hierher gekommen.“

Herbert legte wutentbrannt den Hörer auf die Gabel. Inzwischen saßen vier Personen am gedeckten Tisch, während man lautes Geschrei aus dem Swimmingpool hörte. Da waren doch noch mindestens 3 weitere Personen. Das Gästehaus beherbergte aber doch nur 5 Gäste.


„Setzen Sie sich doch einfach zu uns an den Tisch und essen mit. Wir haben genug Fleisch und Salat für zwei weitere Personen. Verderben Sie sich doch nicht selbst den Urlaub.“

Dann rief die junge Frau die anderen Leute zum Essen. Tatsächlich erschienen drei weitere Personen. Einer davon war der Sohn von Nachbarn aus ihrem Wohnort. Erstaunt sah das Ehepaar den jungen Mann den Weg entlang laufen.

„Das Haus hat doch nur 5 Schlafplätze,“ meinte Ruth.

„Aber wir drängeln uns schon irgendwie zusammen.“

Der junge Mann, der das sagte, begann herzhaft zu lachen als er Herberts entsetztes Gesicht sah.

„Keine Angst, wir sind weder eine Kommune noch haben wir andere seltsame Veranlagung. Uns fehlt lediglich das Geld für ein größeres Haus.“

Ein weiterer junger Bursche fügte hinzu: „Aber wir können uns ja absprechen, wenn Sie nicht mit uns zusammen sein möchten. Morgens stehen wir sowieso später auf und am Abend zieht sich jeder in seinen Bereich zurück.“

Matthias ergänzte noch: „Ich habe Sie auch nicht hier erwartet.“

Das war ein Angebot. Der Abend verlief sogar recht nett, zumal grillen mit mehreren Leuten mehr Spaß machte. Nachdem man sich auf die gemeinsamen Bereiche geeinigt hatte, verriet der Blonde, der vorher so gelacht hatte, gute Insidertipps. Da gab es spezielle Lustgärten, in denen man sich verweilen konnte. Kleine Parfümerien, die selbst Parfum herstellten, kannten nur die Einheimischen. Die Herstellung der Santons musste man auch einmal gesehen haben und nicht zuletzt luden diverse Weingüter zu einem Besuch mit Weinprobe ein. Ruth und Herbert wäre ohne diese Informationen das meiste entgangen.

Doch der nächste Tag verdarb die vorangegangene Einigung. Als Ruth gerade aufstand, um ins Bad zu gehen, hörte sie laute Schnarchtöne. Erschreckt weckte sie Herbert, mit dem sie das Zimmer, aus dem der Laut kam, inspizierte. Da lag doch tatsächlich ein fremder Mann und schlief halb angezogen und mit einer fast leeren Rotweinflasche in der Hand. Offensichtlich war es sogar eine ihrer Flaschen. Das reichte den beiden nun endgültig.

„Jetzt habe ich aber endgültig die Nase voll. Ruth, wir reisen ab.“ Wutentbrannt packten die beiden ihre Koffer und fuhren auf direktem Weg über die Autobahn nach Hause. Am nächsten Tag besuchten sie wieder das Reisebüro und stellten Regressansprüche.

„Oh, Herr Walker, das ist mir aber peinlich. Meine Kollegin hat mich bereits informiert. Der Herr, den sie sahen, war der Hauseigentümer, der nicht wusste, dass das Haus momentan vermietet ist. Sie werden einen Teil ihres Geldes zurückbekommen. Zwei Tage hatten Sie ja bereits ihren Urlaub genossen.“

„Wie bitte, genossen. Das ist ja wohl die Höhe. Ich verklage Sie.“

Kaum war die Ferienwoche um, rief eine gute Freundin sie an.
„Hallo Ruth, schade, dass ich Euch jetzt erst erwische. Ich hatte vorletzte Woche schon mal am Donnerstag versucht Euch zu erreichen.“
„Sicher war das um die Zeit, als wir gerade unsere versauten Ferien für die letzte Woche gebucht hatten“, sagte Ruth.
„Ach, das ist aber ärgerlich. Ich wollte Euch unser Ferienhaus in der Camargue für die letzte Woche kostenlos zur Verfügung stellen, weil ich dachte, Ihr hättet etwas Ruhe nötig.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.07.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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