Alina Thiel

Die Grenze

 
„ Ich will“, sagte der Vogel und hüpfte einen Schritt zur Seite.
Der Aufprall kam schnell und benahm ihm den Atem, presste seine kleine Vogellunge zusammen und riss seinen Kopf gewaltsam zurück. Kein Ton konnte der schmalen Kehle des Federtieres entrinnen, es schmerzte überall in seinem mageren Körper, das Verlangen nach Sauerstoff brannte in ihm, brannte sich in seine Zellen ein, brannte ihn aus und markierte ihn für alle Zeit. Seine staksigen Beinchen strampelten, seine Flügel bebten.
Mit einem stummen Schrei durchbrach der Vogel die Wasseroberfläche und schrie, sobald sich seine Lungen mit Sauerstoff füllten: „ Ich kann’s! Ich kann’s!“
Auf seinem Gefieder perlten glitzernde Wassertropfen, während er sich schüttelte und erneut  untertauchte, um die donnernden Qualen ein zweites Mal zu durchleben.
Diesmal schmerzte es umso mehr, der kleine Vogel schluckte Wasser und war dem Ersticken nahe. Und wieder schoss er mit einem vor Pein stummen Schrei an die Wasseroberfläche und wieder brach ein jubelndes Geschrei aus ihm heraus, sobald er nach Atem gerungen hatte.
 
Mit einem einzigen, eleganten und zugleich kräftigen Flügelschlag erhob sich die Eule von ihrem Ast und glitt lautlos über das Wasser hinweg.
„ Tu es nicht!“, mahnte sie den kleinen Vogel, der nun bereits zum dritten Mal die Wasseroberfläche durchbrach, sichtlich erschöpft, aber mit einem stolzen Funkeln in den Augen, „ Tu es nicht. Es ist nicht gut!“
Doch das winzige, nasse Federbündel spreizte nur seine zarten Flügel und schrie zum wiederholten Male, sodass sein Echo in den Höhen der Berge widerhallte:
„ Ich kann es! Sieh nur, ich kann’s!“
Zum letzten Mal schöpfte er Atem, zum letzten Mal schüttelte er sein Gefieder, dass Wassertropfen in alle Richtungen  davon spritzen, dann stürzte er sich zum letzten Mal in die dunkle Tiefe unter ihm und ward nicht mehr gesehen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.07.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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