Ellen Lenk

Den Schmetterlingen hinterher


                       Momentaufnahme aus dem Leben eines glücklichen Menschen
 

 
- den Schmetterlingen hinterher -
 

 
„Fang mich doch“, rufe ich neckend über die Schulter zurück. „Du bekommst mich sowieso nicht!“
 
„Wetten wir doch?“
 
Und Raoul sprintet los. Mir hinterher, durch das kniehohe, saftig grüne Gras.
 
Streift mit seinen muskulösen Waden ein paar Margaritenblüten, und knickt hin und wieder eine Butterblume zu Boden.
 
Zwei Schmetterlinge auf Paarungsflug fliehen vor seinen Füßen, die wirbelnd über die Halme fliegen.
 
Raoul ist schnell, doch kann er mir nichts anhaben.
 
Ich lache, breite die Arme aus und segle mit dem Wind über die Wiesen. Fühle mich mit einem mal eher einem Kind gleichgesetzter als einer erwachsenen Frau.
 
Den Duft der Freiheit und der Weite in der Nase, lache ich aus vollem und glücklichem Herzen.
 
Einfach das  Leben genießen, das zählt.
 
Ich drehe mich um, um zu sehen wo Raoul bleibt, sehe, dass er nur noch einige Meter hinter mir ist, stolpere und ‚platsch!’ liege ich in einem kleinen Bachbett, das urplötzlich vor mir aufgetaucht war.
 
Da liege ich nun, mit pitschnassem Rock und Schweißperlen auf der Stirn und warte mit einem breiten Strahlen um den Mund auf Raoul, der auch schon, nach einigen Sekunden mit besorgtem Gesicht zu mir herunterblickt.
 
„Ist dir was passiert?“, keucht er.
 
„Nein, mir geht’s gut! Komm doch auch herein. Das Wasser ist wunderschön erfrischend.“
 
Mit beiden Händen schöpfe ich davon und spritze es in Raouls Richtung.
 
Im Nu ist eine jauchzende Wasserschlacht im Gange.
 

 

 
Ausgezogen bis auf die Unterwäsche liegen wir am Abend im warmen, freundlichen Licht des Sonnenunterganges.
 
Wie auf einem Gemälde zeichnen sich die Konturen des nahen Waldes vom bunten Himmel ab.
 
Mein Herz droht wegzuflattern.
 
Weit weg, den Wolken hinterher und mit den Schmetterlingen um die Wette.
 
Meine Brust zerspringt fast vor Glück, Geborgenheit und Liebe.
 
Ich möchte meine Gefühle zum Ausdruck bringen, doch nicht einmal der lauteste Schrei scheint mir annähernd dafür geeignet.
 
Deshalb seufze ich nur leise und drehe mich auf die rechte Seite um Raoul besser betrachten zu können.
 
Sein Gesicht ist wunderschön gleichmäßig geschaffen, doch nicht makellos.
 
Zum Glück.
 
Wenn etwas perfekt ist, habe ich immer Angst Spuren der Zerstörung darauf zurücklassen zu können und traue mich nicht mehr als auf  einen Meter Sicherheitsabstand heran.
 
Raouls Nase aber lässt zu, dass ich keine Angst zu haben brauche, sein Gesicht kaputt zu machen.
Sie ist riesengroß und hat einen leichten Knick in der Mitte.
 
Seine Nase ist mir das Liebste an seinem Gesicht; danach folgen aber sofort seine tiefgrünen Ich-Kann-Kein-Wässerchen-Trüben-Augen  mit den kräftig geschwungenen Brauen.
 
Sein markantes Kinn und die schmalen Lippen geben den letzten Schliff
 
Raoul hat die Augen geschlossen.
 
Ich pflücke ein Gänseblümchen und streiche mit den weißen Blättchen über seine Wangen, hinauf zur Stirn.
 
Dann kitzle ich ihn mit dem dünnen Stiel in den Ohren, bis er die Augen aufschlägt, mich an den Oberarmen packt und mich als kreischendes Bündel auf den Rücken wirft und mir einen langen, feuchten Kuss verpasst.
 
Ich fahre mit den Händen durch sein zerwühltes Haar und drücke mich an ihn.
 
Als er mich wieder freigibt sauge ich gierig die warme Luft in meine Lungen.
 
Raoul grinst mich breit an, krabbelt über mich hinweg und beginnt alle möglichen Blümchen auszurupfen.
 
Glücksseelig schaue ich ihm zu, wie er nach und nach jede Blume aneinanderknüpft und mir schließlich das vollendete Werk auf meiner Haarpracht platziert.
 
„Jede Prinzessin benötigt eine Krone.“, lächelt er so verschmitzt, dass es in meinem Inneren wieder zu Brodeln beginnt.
 
„Ach Liebster, wie hinreißend diese Geste der Liebe doch ist, doch sagt: kann mein zerbrechlich Herz darauf setzten?“, gehe ich neckend auf das Spiel ein.
 
„Meine Verehrteste. Niemals sollte nur ein Hauch von Zweifel die Seele meiner Angebeteten beflecken, aus doch so entferntester Sorge, die völlig abwegig mir erdeucht.“
 
Ich pruste los.
 
„Meine Getreuste finden meine Worte zum Lachen?“, empört sich Raoul aufgebracht.
 
„Stell dir mal vor die haben früher wirklich so geredet!“
 
„Wieso denn nicht? Ich finde diese Sprachweise genau richtig, jemanden die Liebe zu gestehen.“, zwinkert er mir zu.
 
Mein Ausdruck verändert sich plötzlich.
 
Kummervoll schaue ich Raoul in die Augen.
 
„Meinst du, dass wir zu glücklich sind?“
 
Fragend erwidert er meinen Blick.
 
„Ich meine, kann man unser Glück noch steigern? Wenn nicht, dann haben wir schlechte Zeiten vor uns.“
 
„Meinst du nicht, dass einem hin und wieder schlechte Tage ganz gut tun? Damit man die schöne Zeit wieder zu schätzen weiß. Stell dir vor du wärst die ganze Zeit nur glücklich. Hättest keinen Kummer, keine Sorgen – auf Dauer wirst du dich doch sicher fragen: Wann war ich eigentlich am glücklichstem? Dann wirst du in die Vergangenheit schauen und wirst feststellen, dass dir kein solcher Moment einfällt.
 
Dein ganzes Leben war so ebenmäßig, ohne Hügel und Steine, über die du hättest fallen können.
 
Im Grunde war dein Leben langweilig.
 
Du hattest keine besonderen Gefühlsschwankungen, hast am Ende wahrscheinlich gar nicht richtig wahrgenommen, dass du glücklich warst – einfach, weil dir die Traurigkeit ab und zu mal gefehlt hat, um dir zu zeigen, dass dein Leben wunderschön ist. “
 
„Vielleicht hast du Recht. Trotzdem möchte ich in nächster Zeit lieber glücklich bleiben.“
 
„Ich werde alles dafür tun, damit das auch geschieht.“ Zärtlich drückt er mir einen Kuss auf die Nasenspitze.
 
Dann fallen wir wieder zurück ins Gras und schauen den Wolken hinterher bis die Dunkelheit den Tag einholt und uns die nun nächtliche Kälte nach Hause treibt.
 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.07.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Wörterworte von Iris Bittner



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