Conny Kirsten

Die Kriegerin

In einem fernen Land kämpfte einmal ein Mädchen Seite an Seite mit den
mächtigen Rittern des Königs. Doch es war ein schwerer Kampf, denn es hatte
nur wenig Erfahrung und die Schlacht war hart. Es hatte ein winziges Schwert
und der Feinde Waffen waren so scharf.
Nach Beendigung des Kampfes setzte es sich an einen See um auszuruhen. 
Das Mädchen blickte sich im Spiegelbild des Wassers an und sah ein paar Schrammen
und Narben, die vorher nicht da waren. Sanft befühlte es diese und seufzte.
So schrecklich hatte es sich das Kämpfen nicht vorgestellt und trotzdem fühlte
es sich zu den großen Rittern hingezogen. So wie diese wollte es sein.
Furchtlos und stark. Die Kleine hatte Visionen, die das Leben zu diesem
Augenblick geführt hatten. Dies war der richtige Weg, das wusste sie jetzt.
In diesen Visionen sah sie sich als starke Kriegerin, die einmal ein ganzes
Heer anführen würde.
Ein Ritter kam zu dem Mädchen und betrachtete es abschätzend. Dass es bis
jetzt überlebt hatte, war ein kleines Wunder, denn eigentlich hatte es keine
Chance. Er überlegte, ob er es sofort ins Zelt schicken sollte, wo alle
Mädchen hingehörten. Im letzten Kampf war es zu Ausfällen gekommen, starke
große Ritter waren gefällt worden, Kerle wie Bäume. Warum also nicht diese
Kleine?
Er fragte sie, ob sie nicht zu den anderen ins Weiberzelt wollte. Der Kampf sei
nicht ihr Kampf und schon gar nicht ihre Bestimmung.
Das Mädchen schaute ihn entgeistert an und entgegnete, ob er wüsste, was
ihre Bestimmung sei?
Der Krieger grinste ein wenig abfällig und deutete mit dem Kopf zum Frauenzelt.
Da sprang die Kleine wütend auf und fuchtelte mit dem Schwert vor seiner Nase.
"Sage mir nie wieder was meine Bestimmung ist, ich habe eine Aufgabe zu
erfüllen. Nur weil ich ein Mädchen bin, muss ich nicht den üblichen Weg
gehen! Meine Bestimmung ist es, Seite an Seite mit Euch zu kämpfen. Gebt mir
ein besseres Schwert, damit ich mich besser schützen kann. Zeigt mir, wie ich
besser kämpfen kann und lasst mich meinen Weg gehen!“
Der Ritter war amüsiert, dachte aber zynisch, dass so viel Mut belohnt werden
müsse. Er gab ihr das Schwert eines gefallenen Mitstreiters und zeigte ihr,
wie die Kraft vom Arm aufs Schwert übergeht. Er trainierte mit der Kleinen
und sie erwies sich als äußerst lernfähig.
In den nächsten Schlachten holte sie sich weitere Narben, die sie stolz
trug, denn sie hatte wieder überlebt. Nach einer weiteren gewonnenen Schlacht
setzte sich der Ritter in das von dem Gemetzel noch blutige Gras und dachte nach.
Den letzten Kampf hatte er nur so gut bestritten, weil er die kleine Kriegerin
an seiner Seite hatte. Seine einst so spontane Entscheidung erwies sich als nützlich.
Er bewunderte ihre Stärke, denn sie schien unbesiegbar.
Die Jahre zogen ins Land. Die Wege des Ritters und des Mädchens hatten
sichmittlerweile getrennt, da er inzwischen eine Pilgerreise unternommen
hatte, um für seine schrecklichen Taten Buße zu tun.
Eines Tages erfuhr er von einer mächtigen Kriegerin, die ein ganzes
Heer mitbefehligte.  Er dachte noch, dass er diese unbedingt sehen müsse,
irgendeine Vorahnung bestimmte seinen Wunsch.
Ein paar Monate später stand der jetzt alt gewordene Ritter vor der stolzen Kriegerin.
Es war das kleine Mädchen von einst. Eine unglaubliche Stärke und Kraft gingen
von dieser Frau aus. Sie schaute ihn an und lächelte plötzlich. Ihre Augen
funkelten mit einer Intensität, die ihn innerlich aufwühlte. Ihre Rüstung
saß perfekt an ihrem Körper und ihr Schwert funkelte im Sonnenlicht.
"Wie kann aus einem kleinen Mädchen nur so eine starke Frau werden?"
dachte er noch.
"Welcher Lebenswille und welche Kraft müssen in ihr wohnen!"
Er war stolz, ihr damals geholfen zu haben.
Tage später, als er in einer wichtigen Angelegenheit mit ein paar Mannen auf
dem Weg zum König war, hörte er, wie seine Männer sich über diese Kriegerin
unterhielten. Keiner sprach abfällig über sie, aber alle waren verwundert
und fühlten sich von dieser kraftvollen Frau angezogen.
Und er hörte immer wieder ihren Namen, den er nie erfragt hatte.
Er war so sanft, wie sie stark.
Jeanne.
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.07.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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