Germaine Adelt

Kurierdienste

    Die Situation war wirklich zu blöd, aber der Chef hatte gesprochen. Die Unterlagen mussten her, die Stadt war groß, der Kurierdienst schaffte es nicht. Also wurde ich, Praktikantin, zur S-Bahn geschickt. Wo er, Praktikant aus der anderen Kanzlei, mir die besagten Unterlagen übergeben würde. Nur so war es zu schaffen, dass die Papiere in vierzig Minuten auf dem Schreibtisch vom Chef lagen.

   Da der Praktikant kein Schild um den Hals tragen konnte, auf dem „Kanzlei Markert“ stand, sollte er eine Zeitung unter dem Arm haben. Ich kam mir vor wie in einem Spionagefilm. Natürlich war die Aktion schon angelaufen und der Praktikant vermutlich schon am Bahnhof. So lief ich dann los mit dem Ziel, den Zehn-Minuten-Fußweg in der Hälfte der Zeit zu bewältigen, was angesichts der vielen Abkürzungen, die es gab, sicherlich zu schaffen war. Von daher reduzierte ich nach den ersten hundert Metern doch mein Schritttempo. Immerhin wollte ich nicht allzu derangiert aussehen. Und wenn schon die Sonne schien, sollte man sie auch genießen.

   Alles andere war absurd. Ich kam mir vor wie bei einem Blind Date und wusste nun endgültig warum ich derartige Treffen nie gewollt hatte. Wie sollte ich einen Menschen einschätzen, der in einem Café oder einer Bar auf mich wartet, womöglich mit einer Nelke im Knopfloch.

   Der arme Kerl würde doch von Anfang an auf das Aussehen reduziert. Keine Möglichkeit mit Charme, Witz oder was auch immer, zu brillieren. Wenn er nicht aussah wie Adonis persönlich, hatte er von Anfang an kaum eine Chance, beachtet zu werden, und umgekehrt genauso. Aber es war müßig, darüber nachzudenken. Es galt, eine Arbeit zu erledigen, und das schnell.

   Er war tatsächlich schon da und stand wie verlassen vor dem Eingang, mit der Zeitung unter dem Arm. Er wirkte von weitem sehr mager, selbst sein Gesicht erschien knöchern, und er hatte schon verloren, bevor ich überhaupt in seiner Sichtweite war. Es war, als ob er mich aus der Menge heraus erkannte, und er sah mich fragend an.

   Ich versuchte ein Lächeln: „Kanzlei Markert?“

   Er nickte nur und übergab mir schweigend die Unterlagen. Ich sah demonstrativ zur Uhr und zog wieder los. Als ich mich noch einmal umsah, war er schon wieder im Menschengetümmel verschwunden und ich beschloss, ihn noch heute unter einem Vorwand anzurufen. Einfach so, da er mir doch ein wenig Leid tat.

   Ich war kaum zurück, als der Chef nach mir rief und verkündete, ich müsse noch einmal Kurierdienst spielen. Der gleiche Praktikant, ein anderer Fall, daher andere, neue Akten. Treffpunkt diesmal auf dem Bahnsteig „Bornholmer“. Dort solle ich jetzt und sofort hinfahren, um auf den Praktikanten zu warten, dessen Namen niemand kannte, der aber erst wieder zurückgeschickt werden musste.

   „Ich will eine Monatskarte gesponsert haben“, brummte ich eher aus Spaß.

   „Bekommst du!“, versprach der Chef. Dann schob er mir zwanzig Euro über den Schreibtisch und drängelte: „Jetzt mach, dass du loskommst. Die Akten sucht dir Silvie schon raus und Markert muss die Papiere in spätestens einer Dreiviertelstunde auf seinem Tisch haben.“

   Also zog ich erneut los und langsam machte mir das alles irgendwie Spaß. Als ich dann jedoch ganz allein auf dem Bahnsteig stand, mit einem dicken Aktenordner unter dem Arm, kam ich mir endgültig vor wie in einem dieser Hollywood-Filme. Die Züge kamen und fuhren wieder und ich machte mir langsam Sorgen, ob ich auch alles richtig verstanden hatte. Doch dann stand er vor mir, lächelte verschmitzt und tippte sich mit seinem Zeigefinger kurz an seine Nasenspitze wie einst Redford in „Clou“.

   „Was meinst du? Ob es noch mehr Treffen geben wird?“, fragte ich lachend.

   „Ich hoffe doch sehr“, meinte er vielsagend. „Wenn das hier alles vorbei ist, könnten wir zum  Beispiel ein Bier trinken gehen.“

   „Ich weiß nicht“, zögerte ich. „Wie heißt du überhaupt?“

   „Peter, schlicht und einfach Peter.“

   Seine Bahn kam und er musste einsteigen, um den Zeitplan einhalten zu können. „Sag ja“, bat er. „Nur ein Bier. Heut Abend um acht im ,Nexus‘ “.

   Ich kannte den Laden, der nur ein paar hundert Meter von meiner Wohnung entfernt war, und so sagte ich tatsächlich ja, bevor er hastig in die S-Bahn stieg.

 

   Als ich vor meiner Haustür stand, bereute ich fast die Verabredung. Ich war müde und hatte einfach keine Lust auszugehen. Aber dann sah ich diese trostlosen Hochhäuser. Drei an der Zahl, jedes achtzehn Stockwerke und pro Etage acht Wohnungen. In einer dieser Wohnungen lebte ich und fand die Idee nun doch nicht mehr so schlecht, dieser Einöde zu entfliehen. Immerhin war es kein Date, sondern einfach nur ein Bier, ein Absacker.

   Müde trottete ich in den Fahrstuhl und hoffte wie so oft, dass dieser auch heute seinen Dienst tat. Die Türen waren fast geschlossen, als sich noch jemand reindrängelte. Ich hasste diese Typen, die nicht die zwei Minuten auf den anderen Aufzug warten konnten. Aber der hier entschuldigte sich wenigstens und dann starrten wir uns fragend an.

   Es war Peter und er war der erste, der seine Sprache wieder hatte. „Nicht wirklich, oder? Welche Etage?“

   „Elfte. Und du?“

   „Achte. Ist ja ein Ding, dass wir uns noch nie getroffen haben.“

  Der Fahrstuhl hielt und er strahlte mich an.

   „War nett mit dir zu plaudern, aber ich habe noch eine Verabredung zum Bier, auf die ich mich sehr, sehr freue und die ich auf keine Fall verpassen möchte.“

   Dann verschwand er lächelnd, nicht ohne sich erneut an die Nase zu tippen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.08.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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