Maren Frank

Forscherglück

Gelangweilt nahm Jessica Farlan die alte Keramikkanne zur Hand und goß das abgestandene Wasser in die Blumentöpfe. Trotz der Bedingungen, die im Büro herrschten – mal sengende Hitze, weil die Klimaanlage nicht funktionierte, dann Kälte, weil sie plötzlich wieder lief – und sehr unregelmäßigen Wasserrationen ( Nellie, die kleine blonde Putzfrau pflegte die Pflanzen stets beinahe zu ertränken, der Professor dagegen vergaß sie meist gänzlich zu gießen ) gedieh das Grünzeug prächtig.

 

Jessica zog ein trockenes Blatt hervor und schmiß es auf dem Rückweg zum Schreibtisch in den Papierkorb. Der quoll fast über mit zerknülltem Papier, verworfene Berechnungen, abenteuerliche Theorien und abstruse Ideen, teilweise erstaunlich, aber alles gänzlich unbrauchbar.

 

Der Computer gab ein leise brummendes Geräusch von sich, Jessica nahm das schon gar nicht mehr war, denn überall in diesen Räumen surrte und brummte es. Die Klimaanlage war am lautesten, die Wärmelampe des Terrariums stand ihr allerdings in kaum was nach.

 

„Haben Sie die Berichte schon abgetippt?“ Mit raschen Schritten durchquerte Professor Vincent Liebermann die Strecke von der Tür bis zum Schreibtisch.

 

„Ich bin dabei, die hier sind schon fertig.“ Jessica reichte ihm einen ansehnlichen Stapel und beobachtete, wie er stirnrunzelnd die erste Seite überflog, dann die zweite. Die für sein adlernasiges Gesicht eigentlich zu große Brille war runtergerutscht, saß schief, doch das schien ihm gar nicht aufzufallen.

 

„Nein, nein, das ist alles nichts“, murmelte er und unter dem Blick von Jessicas größer gewordenen Augen zerknüllte er eine Seite nach der anderen.

 

Jessica hob den Rest seiner handschriftlichen Notizen in seine Brusthöhe. „Soll ich die auch gleich wegwerfen?“

 

Er brauchte einige Sekunden, um in die Realität zurückzufinden. „Wie? Ach, tippen Sie´s erstmal ab, dann sehe ich es mir durch, ich bin im Labor.“

 

Jessica sagte nichts, sie war als Sekretärin angestellt und ihr Gehalt war in Ordnung. Sie hätte ihm auch das Telefonbuch von ganz Kalifornien abgetippt, wenn er das gewünscht hätte. Außerdem war sie es seit dem halben Jahr, in dem sie nun schon hier arbeite, längst gewöhnt, daß Liebermann einen Großteil der frisch getippten Blätter zerknüllte.

 

Davon einmal abgesehen konnte sie sich wirklich nicht beschweren, Liebermann war kein cholerischer Chef sondern entsprach eher dem Bild des ewig zerstreuten Professor, wie es in Filmen und Büchern so gern dargestellt wurde. Als Sohn russisch-jüdischer Emigranten seit Jahrzehnten in den USA lebend hatte er sich seit mindestens ebensolanger Zeit mit seinem Lieblingsthema beschäftigt; außerirdisches Leben. Überzeugt davon, daß die Aliens längst hier waren und mit schöner Regelmäßigkeit die Erde besuchten, war er stets hinter neuen Beweisen für ihre Existenz her und stellte die phantasievollsten Theorien auf. Nur die Beweise fehlten.

 

Liebermann lebte nicht in Angst vor einer außerirdischen Invasion, nein, vielmehr sehnte er sie herbei. Um seine Entdeckungen – die er glaubte gemacht zu haben – nicht in falsche Hände fallen zu lassen ( denn, so fürchtete er, würde er die Außerirdischen vertreiben ), arbeite er allein, die einzigen Hilfskräfte, die seine heiligen Hallen betreten durften, waren Nellie, die dreimal pro Woche zum Saubermachen kam und sich in keinster Weise für außerirdisches Leben interessierte ( sie hatte nur Interesse an dem Leben ihrer Nachbarn, das dafür aber sehr ausgeprägt ) und Jessica, seine Sekretärin.

 

Jessica konnte sich noch gut an ihr Vorstellungsgespräch erinnern, Professor Liebermann hatte sie über ihre Meinung zu dem Thema UFOs ausgefragt und sie hatte zurückhaltend die diplomatische Antwort gegeben, daß wohl alles möglich wäre. Das hatte Liebermann gereicht, um sie einzustellen.

 

Jessica klemmte sich die fertigen Berichte unter den Arm und ging ins Labor. Liebermann hatte Amöben in unterschiedlichen Umgebungen leben, was wohl irgendwie mit dem Beweis von leben im Weltall zusammen hing. Wie wußte Jessica nicht und interessierte sich auch nicht besonders dafür. Ein riesiges Radioteleskop stand an einem der Fenster und Sternenkarten überdeckten die fleckigen Wände. Metallteile, die wie der Bausatz eines Fernseher wirkten, lagen auf Liebermanns Schreibtisch.

 

Bei ihrem Eintreten hob der Professor den Kopf. „Legen Sie die Berichte da hin, ich sehe sie nachher durch.“

 

„Sonst noch was zu tippen?“ fragte Jessica. Es kam keine Antwort, also ging sie langsam durch das Labor, nahm eine leere Kaffeetasse von einem Regal und blieb vor Cynthia stehen. Die Python hob den Kopf, sie war das einzige Wesen, daß Liebermann bei all seinen Forschungen und Experimenten nicht störte und das er dabei duldete.

 

Jessica hatte sich rasch mit der Schlange angefreundet und erkannt, daß Cynthia für den Professor so etwas wie eine Familie war. Ein anderes Tier hätte dieses Leben wohl nicht mitgemacht, aber Cynthia brauchte nur alle paar Wochen etwas zu fressen und nahm es nicht krumm, wenn sie stundenlang nicht beachtet wurde.

 

Professor Liebermann hatte ein Terrarium mit niedriger Einstiegsöffnung gebaut, so daß Cynthia sich jederzeit frei im ganzen Labor bewegen konnte und bei Bedarf unter ihre Wärmelampe zurück gleiten konnte. Gegenwärtig lag sie auf der Anrichte.

 

„Moment noch!“ rief Liebermann und winkte Jessica zu sich.

 

Erstaunt trat sie näher, sie konnte keine Papiere ausmachen. „Ja?“

 

„Dies ist ein Universalübersetzer, ich habe ihn selbst gebaut und er wird die Sprache der Außerirdischen entschlüsseln.“

 

Jessica lächelte leicht, was zum Himmel erwartete der Professor bloß von ihr? „Aber woher wissen Sie denn, welche Sprache sie sprechen?“

 

Liebermann hob die Hände und der träumerische Ausdruck trat wieder in sein blasses Gesicht. Jessica mußte unwillkürlich daran denken, daß er der blasseste Kalifornier war, den sie je gesehen hatte. Aber kein Wunder, er war ja den ganzen Tag nur in seinem Labor und ging nur nachts raus, um Sterne und Planeten zu beobachten. „Dieses Gerät kann alles übersetzen, jede Sprache. Los, sagen Sie etwas.“

 

„Was denn?“

 

„Irgendwas!“

 

Jessica tat ihm den Gefallen. „Hallo, ich heiße Jessica Farlan.“

 

„Doch nicht in englisch.“ Er rang erneut die Hände. „In einer anderen Sprache.“

 

„In welcher denn?“

 

„Egal, Sie werden doch irgendeine Fremdsprache können.“

 

Jessica erinnerte sich an ihr spanisches Kindermädchen, das mit ihr und ihrem Bruder aufgrund mangelnder Englischkenntnisse fast ausschließlich in ihrer Muttersprache geredet hatte. Im Laufe der Jahre hatte sie zwar englisch gelernt, aber den Kindern ganz gut spanisch beigebracht, so daß Jessica ihren Satz nun in dieser Sprache wiederholte.

 

Das Gerät vor Professor Liebermann knackte und knarrte – dann war es still.

 

„Funktioniert wohl nicht“, meinte Jessica und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.

 

„Natürlich funktioniert es, aber die Sprache ist zu einfach, dieses Gerät ist für höheres bestimmt.“

 

„Recht hast du.“

 

Liebermann sah Jessica an und zog eine dünne Braue eisgrauen Haars hoch. „Bitte, wie darf ich das verstehen?“

 

Jessica schaute ihn mindestens ebenso perplex an. „Ich habe doch nichts gesagt, haben Sie ein Radio an?“

 

„Ich besitze gar keines“, wischte Liebermann ihr Argument vom Tisch. Dann beugte er sich nah über das Gebilde und berührte vorsichtig eine der Antennen. „Vielleicht habe ich eben tatsächlich das Signal eines Raumschiffes empfangen.“

 

„Hör auf zu spinnen.“ Da war die Stimme wieder, sie klang weiblich, nicht unsympathisch.

 

„Hallo, hallo, wer spricht da, könnt ihr mich hören, ihr lieben kleinen Außerirdischen, ich bin Professor Liebermann, ich möchte euch kennen lernen. Ich habe keine Angst vor kleinen grünen Männchen.“

 

Jessica wollte ihm eben gerade sagen, daß er vermutlich auf die Sendefrequenz von Amateurfunkern gekommen war, als die Stimme erneut erklang: „Ich bin weder klein noch richtig grün, außerdem kenn ich dich seit Jahren.“

 

Liebermanns Augen wurden größer. „Sie beobachtet mich! Von welchem Stern sie wohl kommt. Hallo, bist du noch da?"“

 

“Ich bin doch die ganze Zeit hier.“

 

„Eine unsichtbare Außerirdische!“ Liebermanns Stimme war nahezu ekstatisch. „Hallo, gib mir doch ein Zeichen, bitte.“

 

„Wenn du mir anders nicht glaubst.“ Die Stimme verklang und stattdessen glitt Cynthia von der Anrichte und schlängelte sich an Liebermanns Beinen hoch. „Bitte schön.“

 

Liebermann starrte auf die Schlange auf seinem Schoß. „Cynthia?“

 

„Ja, wer denn sonst. Endlich hast du ja mal was vernünftiges erfunden.“

 

Jessica starrte auf die Schlange, sie war schon immer davon überzeugt gewesen, daß Cynthia Intelligenz besaß, aber konnte sie das hier wirklich glauben? „Wie ist das möglich?“

 

Cynthia wies mit einer knappen Kopfbewegung zu dem Gerät. „Seine Erfindung. Sie ermöglicht die Entschlüsselung meiner komplizierten Sprache.“

 

„Geht das mit jedem Tier?“ wollte Jessica wissen und dachte an ihren fetten faulen Perserkater zu hause, der den Tag schlafend auf dem Sofa zubrachte.

 

„Vermutlich nicht, da muß schon eine gewisse Intelligenz vorhanden sein. Aber bevor du weiter fragst, ich bin keine richtige Schlange.“

 

„Dann bist du eine Außerirdische?“ Liebermann strich ehrfürchtig an ihrem hübsch gezeichneten Kopf entlang.

 

„Ja, wir kamen schon vor vielen Jahren auf die Erde und als Schlange ist das Leben nicht leicht, zumal nicht alle so ein Glück hatten wie ich.“

 

„Sind noch mehr von deiner Sorte hier?“ fragte Liebermann.

 

„Meine Mitreisenden sind alle tot und ich habe ein Signal an meinen Heimatplaneten gesandt, daß sie der Erde fern bleiben sollen. Für Schlangen ist das kein geeigneter Planet.“

 

„Warum bist du dann hiergeblieben?“ erkundigte Jessica sich.

 

„Raumschiff kaputt, wir mußten es zu unserer eigenen Sicherheit selbst zerstören. Jetzt ist es Staub in der Wüste von Nevada. Ich hab mich dann in einem Zoogeschäft eingeschlichen und nach einer Woche kaufte Vincent mich, zum Glück.“

 

„Also werden keine Außerirdischen mehr auf die Erde kommen?“ Die Enttäuschung klang deutlich in Liebermanns Stimme mit.

 

Cynthia schmiegte sich an seinen Arm. „Von meinem Planeten jedenfalls nicht, aber wer weiß, vielleicht gibt es irgendwo noch andere bewohnte Planeten.“

 

Der Professor seufzte. „Schade, war also alles umsonst.“

 

„He, was bin denn ich?“ protestierte Cynthia. „Ich bin schließlich eine echte Außerirdische.

 

„Ja.“ Er lächelte strahlend. „Und ich bin wahnsinnig froh, daß ich dich habe und wir uns jetzt unterhalten können.“

 

„Ich auch“, gab die Schlange trocken zurück.

 

Liebermann nahm die ungelesenen Papiere und steckte sie in den Papierkorb. „Keine Weltraumforschungen mehr, ich widme mich einem anderen Thema.“

 

„Brauchen Sie dafür eine Sekretärin, Professor?“

 

Er nickte. „Aber natürlich, was glauben Sie, wieviel es über Schlangen zu schreiben gibt.“

 

 

 

 

 

Ende

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.08.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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