Debabrata Mukherjee

Diesen Brief hätte ich an dich lieber nicht schreiben sollen.

Lie........!

Erst jetzt merke ich, wie schwer es ist, einen einfachen Brief zu schreiben. Besonders, wenn man ihn an einen Bekannten schreiben will, den man nicht richtig kennt. Man behauptet zwar, ihn gut zu kennen oder glaubt fest daran, ihn gekannt zu haben, aber gar nicht so gut kennt. Ob wir überhaupt jemanden in unserem Leben kennenlernen können, ist eine philosophische Frage.
 
An einen Unbekannten schreibt man einfach >sehr geehrter oder sehr geehrte<. Ob man aber dabei tatsächlich den Briefpartner zu ehren gedenkt, wage ich nicht nachzuforschen. Noch einfacher ist es, wenn man jemanden nicht kennt. Man schreibt unpersönlich und auch sehr sachlich. Damit keiner sich beleidigt fühlt, schreibt man >sehr geehrte Damen und Herren<. Man glaubt oder nicht, die Damen haben immer noch den Vorrang. Dabei ist es vollkommen Wurst, ob ein Geschlechtsgenosse überhaupt existent ist oder nicht. Die Männer haben es angenommen, weil die Frauen es so durchgesetzt haben. Und damit herrscht die Ruhe. Glaubste! Komisch klingt es mir, wenn ich bei den Versammlungen von Frauen höre >sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! < Und die Männer dürfen genau das Gegenteil tun.
 
Dir aber einen Brief zu schreiben, fällt mir unheimlich schwer, weil ich vorhabe, Dir einen extravaganten Brief zu schreiben. Mit viel Humor, Romantik und Erotik, ohne diese Dinge definieren zu müssen. Da hapert’s schon bei der Anrede. Wenn ich nun schreibe >Hi, < und danach Deinen Namen anhänge, wird das sprachlich in Ordnung sein, aber das erfüllt nicht meinem stilistischen Wunsch. Wenn ich nun schreibe >Liebe, <, dann ist es überhaupt nichts besonderes. So können doch alle schreiben. Und diese >Liebe< kann man nicht mit einer Steigerung schreiben, weil es dann gar nicht zu deklinieren möglich wäre. Die deutsche Grammatik verbietet uns das. Wenn ich nicht >liebere< schreiben darf und nur >lieber< ohne Deklination schreiben muß, dann weiß man nicht, ob ich dabei eine Frau als Ansprechpartner habe oder ob es sich um einen Mann handle. Wie wäre es nun mit >Hi< und dann die Superlativform? Ich möchte gerne mit >Hi, liebste! < versuchen, weil ich Dich nie mit niemanden vergleichen will, außerdem bist Du nach meiner Meinung unvergleichbar. Du sollst immer so sein, wie Du bist. Darin liegt Deine Stärke. Da diese Briefe über die persönliche Beziehung hinausgehen werden, können wir den Namen ruhig weglassen. Es ist zwar ein bißchen übertrieben, aber es schließt gleichzeitig jede Möglichkeit zum Vergleich aus.
 
Bevor ich zum Hauptthema komme, eine kurze philosophische Bemerkung von mir. Solange ich Geduld habe, kritikfähig zu sein, lerne ich immer was vom Leben und ziehe Konsequenzen daraus. Ich kann nicht selber beurteilen, wie ich eigentlich bin. Dafür bist Du da. Ich versuche, soweit wie möglich nett zu sein. Und Du findest mich nett, solange Du mich mit niemandem vergleichst. Alles ist relativ. Ich darf nie behaupten, dass das auch für Dich nett sein soll, was ich persönlich für nett halte. Die Geschmäcker sind halt anders und das hat mit Harmonie nichts zu tun. Nun komme ich zum Hauptthema. Paß bitte gut auf!
 
In meinem Traum habe ich nicht gewagt, daran zu denken, dass ich je in diesem Leben
ihr begegnen und dabei glücklich sein würde. Neulich ist es passiert, als ich am 7. März mit den Kindern bei Hertie am Hauptbahnhof war. Unerwartet befand ich mich vor ihr. Mein Herz schien plötzlich ganz still zu stehen. Ich bekam weiche Knie. >Das könnte es vielleicht gewesen sein, wonach ich mich lange sehnte<, dachte ich. Das ist eine lodernde Flamme für sich. Meine Flamme? Ich dachte in diesem Augenblick an Dich. Wenn Du zufällig dabei gewesen wärest, hättest Du mich sicher verwarnt oder ermahnt: “Was ist los mit dir? So glotzt man doch nicht. Das ist auf keinen Fall die feine englische Art.” Ich war so vertieft, ich hätte Dich wahrscheinlich überhört. Es brummte in meinem Schädel drin. Ich spürte deutlich einen inneren Drang, sie auf alle Fälle kennenzulernen. Ich musterte sie mit meinem scharfen Blick. Klein, aber robust gebaut. Mindestens hundert Kilo bringt sie locker auf die Waage. Der Umfang an der Hüfte ist sehr unhandlich. “Ich werde nie allein schaffen, sie über die Schwelle zu bringen.”, dachte ich. Sie sprach kein einziges Wort, hörte nur, was ich zu sagen hatte. Das war Liebe auf dem ersten Blick. Ohne zu zögern, wollte ich sie zu mir nach Hause einladen. Ich bin sowieso allein, für sie gibt es genug Platz. Ja, eine fulminante Flamme ist sie für mich. Moment mal! Ich bin trotzdem sehr vorsichtig. Sie darf aber nur unter einer Bedingung zu mir in die Wohnung. Sie soll mir gegenüber genug Leistung bringen und zwar nach meinem Begehren. Alles wollte ich mir von vornherein vertraglich festgelegen lassen. Ein Zusammensein auf Probe und unter Beobachtung, wie es halt bei Zeitverträgen vorgeschrieben wird. Laut Vertrag sollte es heißen, ein Jahr habe ich keine Verantwortung für sie. Was dann später daraus wird, ist es jetzt noch zu früh zu sagen. Und noch etwas, sie darf auf keinen Fall sehr temperamentvoll laut sein. Auf jeden Fall gibt es bei uns eine Hausordnung. Sie hatte nur drei Tage Bedenkzeit. Also, am Mittwoch müßte sie spätestens bei mir sein. Ich gab ihr meine Adresse und die Telefonnummer und bat am Mittwoch ab 11 Uhr vormittag zu mir zu kommen. Und sie kam. Seitdem bin ich mit ihr so beschäftigt, dass ich sogar kaum Zeit fand, Dich anzurufen. Sei mir bitte nicht sauer! Ich denke dennoch an Dich. Genau wie Du, merkte sie, dass ich mich verliebte. Nur der Unterschied, bei Dir bin ich eine Belastung und sie fand bei mir eine Befreiung. Egal, was ich mit ihr mache, sie bleibt ganz cool. Ja, sie kommt aus einer adligen Familie aus Goslar. Das war ein Zufall, dass ich 1981 das Geburtshaus ihres Urgroßvaters kennenlernte. Damals habe ich mir nie so ein Glück vorgestellt.
 
Du weißt genau, ich lege keinen Wert auf die äußere Struktur. Außerdem bin ich ein Weltbürger mit viel Toleranz. Für mich sind alle Menschen gleich. Die Hautfarbe und die Religionen können verschieden sein, das macht mir wirklich nichts aus. Aber wenn einer wegen der Hautfarbe oder der Religion diskriminiert wird, bin ich vehement dagegen. Nein, die Hautfarbe habe ich mir nicht ausgewählt. Es ist ein Zufall, dass sie weiße Farbe hat, übertrieben weiß, am Gesicht Sommersprossen, ich glaube so eine Hautfarbe viel mehr zärtliche Pflege braucht, damit der Teint aufrechterhalten bleibt. Mein Gott, hat sie aber Durst. Wenn sie so weitermacht, bin ich sicher irgendwann mal pleite. Seit letztem Mittwoch fällt mir auf, dass sie keinen Schmutz leiden kann, sie macht ihn sofort den Garaus.
 
Ich gebe zu, ich habe sie leidenschaftlich gestreichelt. Aber leider nur oberflächlich. Ich möchte so gerne ihr Innenleben gründlich kennenlernen, bis jetzt habe ich dazu keine Gelegenheit bekommen. Aber ich freue mich erwartungsvoll darauf. Ich möchte auf keinen Fall enttäuscht werden. Vielleicht wird sie ohne Hülle nicht so toll aussehen, lieber zügle ich meine Neugier und Gefühle und warte, bis es einfach dazukommt. Ich bin sicher, dass Du sie auch kennst. Nur bei mir hast Du sie vorher nie gesehen, aber Du kennst sie.
 
Sie hat leider nur ein Auge. Aber was für eins. Schaust Du ihr tief ins Auge (weil sie nur ein Auge hat, sonst hätte ich in die Augen geschrieben), so siehst Du ihr Lebensinnere, mal feucht, mal trocken. Ihre Gedanken kann man leicht voraussagen. Sie reagiert immer nach Deinem Wunsch. Du würdest sagen, wer nur „ja, ja, und nochmals ja” sagt, ist doch stink langweilig. Da gebe ich Dir Recht. Viele Ehen gehen kaputt, nicht weil die Ehepaare sich streiten, sondern weil sie das Zusammensein langweilig finden. Ich nehme an, dass Du mich vielleicht auch so langweilig findest, weil ich dich einigermaßen gezwungen habe, mein Schreiben zu lesen. Ich bitte dafür vielmals um Entschuldigung. Ich möchte Dich gerne zu mir nach Hause bitten, nachdem Du diesen Brief gelesen hast, damit ich Dir meine Flamme bekanntmachen kann. Und nicht vergessen, einen Bauchgürtel mitzunehmen. Es könnte sein, dass Du vor Lachen Bauchkrämpfe kriegst.

mit lieben Grüßen,
dein Verehrer.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.08.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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