Kaulo oder die Schlacht bei Cannae
Jeder Lateinschüler hat einmal im Gymnasium die Schlacht bei Cannae erarbeiten müssen, diese strategische Großleistung Hannibals, die erste Umfassungsschlacht der Geschichte, welche mit einer vernichtenden Niederlage für die Römer endete.
Mir erging es in der 11. Klasse genau so, das heißt ich durfte sie sogar zweimal erlesen, weil ich damals eine Ehrenrunde drehen musste.
In meiner Erinnerung ist allerdings nur die erste Übersetzung durch Kaulo geblieben. Kaulo nannten wir liebevoll unseren Lateinlehrer. Ein Koloss von etwa 250 Pfund Körpergewicht, aber mit der Seele eines weisen Kindes. Allerdings hatte er einen heftigen Schlag, obwohl Kaulo kein Schlägertyp war. Doch respektvoll seine fleischigen Hände betrachtend, nannten wir ihn Kaulo als Anspielung auf einen Keulenschlag.
Er stand dicht vor seiner Pensionierung und machte seinen Unterricht gottergeben mit einer Geduld, die seinesgleichen suchte. Wir akzeptierten ihn, wahrscheinlich auch deswegen, weil er unsere Streiche akzeptierte. Er konnte sogar lauthals über manchen Streich lachen. Die meisten tat er allerdings mit der Bemerkung ab: „ Kenn ich schon. Euch fällt doch nichts neues ein.“
Kaulo lebte als alternder Junggeselle, genoss sein Leben aber sichtlich. Besonders war er den Essgenüssen zugeneigt. Man sah es ihm auch an. Ich konnte ihn deshalb besonders gut leiden, weil er mir bei der Zustellung der Wochenillustrierten immer 50 Pfennig Trinkgeld gab. Damals verdiente ich mein Taschengeld mit Zeitungsaustragen.
Als Lateinlehrer war er ausgesprochen kenntnisreich. Er hatte ja mit anderen ein Lateinlehrbuch herausgegeben. Besonders liebten wir seine Darstellungsweise manch altrömischer Spezialität.
Doch am eindruckvollsten schilderte er uns die Schlacht bei Cannae.
Zurückgelehnt in seinen Lehrerstuhl, ein Arm auf der Lehne gelegt, ging zuerst ein sonniges Lächeln über sein Gesicht. Dann holte er tief Luft und begann mit seiner sonoren Stimme.
„Tja, Hannibal hatte ja was drauf. Ihr müsst euch mal vorstellen, mit Elefanten über die Alpen, heute schaffst du das ja nicht mal mit dem Auto bei dem Verkehr dort. Haben sich ganz schön quälen müssen die Karthager und ihre Hilfstruppen. Was heißt schon Hilfstruppen. Das war das, heute würde man sagen, das Kanonenfutter für die Römer. Hilfstruppen, ich muss lachen, die halfen, dass die Römer müde beim Abschlachten wurden. Dann kam Karthagos Elite. Na ja, heute ist das ja immer noch so.“
Kaulo lehnte sich in den Stuhl zurück, schloss ein wenig sinnierend die Augen und fuhr dann fort.
„Also übersetzen können wir es gleich, ich werde euch erst einmal einen Eindruck von der Schlacht geben.“
Erneut holte er tief Luft und ließ einen brummenden Ton erklingen.
„Ihr müsst euch das mal so vorstellen. Es war ein herrlicher Tag zum Sterben. Einige Tage schon war es in Italien trocken und heiß gewesen. Damals gab es auch noch keine Asphaltstraßen, fast alles Feldwege. Die Römer hatten zwar einige gepflasterte Straßen bauen lassen, aber Feldschlachten fanden eben wie der Name sagt auf dem Felde statt. Später haben mal Idioten daraus das Feld der Ehre gemacht, na ja.“
Er wurde in diesem Moment ein wenig nachdenklich und träumerisch. Wir fragten ihn: „Wie ging die Schlacht denn weiter, Herr Hartmann ?“ Das war sein richtiger Name.
„Ja, nun seid doch nicht so ungeduldig,“ brummte er.
„Wie gesagt fand die Schlacht auf einem großen Felde statt. Meist suchten sich die Feldherren, interessanter Name, Herren der Felder, könnte man auch Bauern nennen,“ er prustete vor Lachen los.
„Also die Feldherren,“ wieder grinste er, „suchten sich meist ein weites Feld zwischen zwei Wäldern aus. Im Walde versteckten sie meist ihre Reitertruppen. Das gemeine Fußvolk konnte vorneweg marschieren. Ganz vorne wie schon gesagt die Hilfstruppen, dann die Elitetruppen und hinten, damit er den Überblick behalten konnte, der Feldherr mit seinen Generälen. Die feinen Herren wollten sich doch um keinen Preis abschlachten lassen.“
Kaulo rekelte sich, beugte sich nach vorne und stützte sich auf dem Lehrertisch auf. Wieder holte er tief Luft, als wenn ihn die Erzählung anstrengen würde.
„Hannibal war eigentlich ganz pfiffig. Er schaute sich vor der Schlacht genau die Gegend an und achtete auf das Wetter. Der Tag der Schlacht fand bei einem mäßigen Wind und bei heißer Sonne statt. Hannibal stellte seine Truppen nun so auf, dass der Wind den Römern den Staub genau in die Schnauze pustete und sie gegen die Sonnen gucken mussten. Ihr müsst euch das mal so vorstellen, die Römer konnten vor Staub und gegen die Sonne gar nicht so schnell gucken, wie die Karthager ihre Schlachtordnung veränderten. Die hatten die Römer voll im Blick und konnten dazu auch noch besser schreien, weil sie keinen Staub in die Lunge bekamen. Ja, Jungs, so machte Hannibal die Römer mit einem einfachen Trick fertig. Ich sagte ja, er war ganz schön pfiffig.“
Genießerisch lehnte sich Kaulo wieder in seinen Lehrerstuhl zurück. Er schien im Geiste mitgekämpft zu haben, so strahlte er jedenfalls.
Dann ertönte seine Stimme: „Jetzt die Bücher raus. Wir wollen noch etwas übersetzen.“
Allerdings möchte ich anmerken, dass wir den Rest der Stunde weitere Fragen zur Schlacht stellten und keine Übersetzung mehr stattfand.
Dass den Römern der Wind den Staub genau in die Schnauze pustete und sie gegen die Sonne schauten, ist bis heute als Hauptmerkmal der Schlacht bei Cannae bei mir gespeichert. Ein Jahr später entwarf der nächste Lateinlehrer die genaue Schlachtordnung dieser ersten Kesselschlacht an der Tafel. Ich weiß sie nicht mehr.
©pk 8/05