Debabrata Mukherjee

Der Herr mit dem Hund

Das war wirklich ein herber Schlag. Berni hatte nie geahnt, dass sein Hund so krank sein könnte. Mitten auf der Fußgängerzone während der Hocheinkaufszeit sackte plötzlich sein Hund zusammen und rührte sich nicht vom Fleck. Am Anfang dachte er, dass der Hund mit ihm nur spielen wollte. Das machte er immer, wenn er aus der Wohnung, die ihrem 50 qm Umfang für ihn ziemlich klein war, ins Freie ging. Berni zog sehr hektisch an der Leine. Keine Chance. Der Hund ließ sich wie ein Putzlappen mitschleifen. Die neugierigen Passanten blieben stehen, um zu wissen, was eigentlich mit dem Hund los war. Berni rief laut: “A, geh, mach doch keine Faxen, ich muss schnell nach Hause. Ich habe so viele Sachen zu erledigen. Komm, steh bitte auf!” Dann merkte er, dass sich der Hund nicht bewegte. Berni hockte sich neben den Hund, dessen Augen noch offen waren. Berni merkte, dass die Zunge des Hundes etwas unkoordiniert durch die zusammengeklappten Zähne so heraushing, als wenn sie Joghurt gewesen wäre und deshalb durch die Zahnlücke hinaussickern würde. Auf die Idee, dass der Hund auch tot sein könnte, kam Berni nicht. Auf jeden Fall war es für ihn nicht so leicht, den neugierig gaffenden Passanten, die mittlerweile um den Hund und ihn herum einen Kreis gebildet hatten, zu überzeugen, dass der Hund plötzlich an Herzinfarkt gestorben sei, ohne jede Vorankündigung. Berni wohnte nicht sehr weit von der Stelle, wo sein Hund starb. Aber bis er den toten Hund nach Hause trug und die zuständige Stelle verständigte, die sich für die umweltfreundliche Aasbeseitigung spezialisiert hatte, würde es sicher eine Weile dauern.
 
Berni dachte, >die Leute sind sehr neugierig, weil sie den Hund (sagen wir nun Hundeaas, weil der Hund nicht mehr lebt) sehen konnten. Wenn ich doch den irgendwie vor dem neugierigen Blick der Leute verstecken könnte<. Berni ging in ein Fernsehgeschäft hinein und erklärte kurz seine peinliche Lage und bat um einen leeren Karton. Da der Ladenbesitzer selber ein Hundehalter und Hundeliebhaber war, durfte Berni einen leeren Karton aussuchen, ohne einen Pfennig zahlen zu müssen, den er ohnehin nicht dabei hatte. Immer noch um den Hund herum standen die Leute, sie gingen erst wieder auseinander, nachdem Berni den Hund in den Karton gepackt hatte. “Nun kann keiner mehr wissen, dass sich im Karton ein Hund befindet. Und wenn keiner davon weiß, will er auch nicht wissen, was nun mit dem Hund geschehen wird. Obwohl es niemanden etwas angeht, ob der Hund gestorben ist oder nicht, mischt man sich ein und gibt nur Ratschläge. Keiner kann den Hund wieder lebendig machen, wenn er tot ist.”, dachte Berni vor sich hin.
 
Mit dem großen Karton setzte er sich auf einen Steinblock am Brunnen und dachte tief an die schöne Zeit mit dem Hund, der ihn plötzlich für immer verlassen hatte. Er kam wieder zu sich, als zwei alte Herren ihn ansprachen. Berni merkte sofort, dass sie mit der deutschen Sprache Schwierigkeiten hatten. Sie wollten ausländische Währung umtauschen, wussten aber nicht Bescheid, wie. Sie baten Berni um Hilfe.
 
“Okay, ich helfe Ihnen, kommen Sie bitte mit!”
 
Als Berni mit ihnen zusammen in die Bank nebenan gehen wollte, machten die Herren Berni auf den Fernsehkarton aufmerksam, den er dort vergessen.hatte Er sagte nur: “Es dauert kaum zwei oder drei Minuten, außerdem kann ich ständig den Karton durch die Glastür sehen. Auf jeden Fall, danke schön für den Hinweis!”
 
Es dauerte aber leider länger als er gedacht hatte. Als Berni durch die Glastür wieder hinausging, sah er noch den Karton neben dem Steinblock stehen. Er sah auch, dass ein junger Mann vorsichtig auf den Karton zuging. Berni fragte sich: “hat er den Hund aufgespürt?” Der junge Mann legte seine linke Hand auf den Karton, schaute um sich herum, ob ihn jemand beobachtete. Keine Seele war zu sehen, die vielleicht einen Anspruch auf den Karton hätte. Dann hob er den Karton hoch und verschwand hurtig in den U-Bahnschacht.
 
Berni lief nicht hinter ihm her. Von dem Hund bleiben immerhin als Erinnerung ein paar Fotos und die Hundemarke, die er kurz vorher vom Hals abgenommen hatte. Nun kann keiner den Hundebesitzer ausfindig machen. Da fühlte er sich plötzlich so erleichtert, dass er einen Riesendrang spürte, eine Halbe zu kippen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.08.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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