Heidemarie Rottermanner

Der Tanz der Nebelfrauen!

 


Es geschah vor nicht langer Zeit:

Silbern schimmerte der Bergsee im Licht des Vollmondes. Auf leisen Sohlen schlich der Nebel über das Wasser. Julian lehnte am Stamm der Birke, er hielt den Atem an, seine Blick schweifte suchend zum See.
Wartete er diesmal vergebens?
Bilder aus vergangenen Tagen erwachten vor seinem geistigen Auge: glasklares, aus den Tiefen der Berge, Leben spendendes Wasser der Quelle, die den Bergsee speist.
Nun abgefüllt, verpackt und um teures Geld verkauft. Und sie versprachen uns viel Geld. Der Wasserspiegel sank und das Ufer verschlammte und versandete. Die heißen, trockenen Sommermonate ließen die mächtigen Baumriesen kahl und morsch werden. Schwere Regenfälle schwemmten fruchtbare Erde von den Bergwiesen. Sie halten sich weder an Vereinbarungen noch an Vorschriften.
Jetzt war eine neue Idee geboren: Ein prächtiger Freizeitpark der Scharen von sonnenhungrigen und kräftig zahlenden Touristen anziehen sollte.
Die großen Baumaschinen standen am Ufer bereit.

Aus dem Nebel tauchten sie plötzlich auf. Die schlanken, durchsichtigen Gestalten wiegten sich schweigend im Tanz. Schwebend einander haschend, doch wieder loslassend, tanzten die Nebelfrauen über das Wasser. Doch auch heute war alle Freude und Jubel aus ihren Bewegungen verschwunden, schmerzvoll bedrückend und flehende Verzweiflung lag in ihren Gesten.

Julian dachte an die ungehörten Mahnungen der alten Dorfbewohner: wenn die Nebelfrauen nicht mehr tanzen, dann würden der Wald und der Bergsee sterben.
„Sie werden dich töten", der junge Bursch stöhnte und krallte seine Finger in die Rinde des kühlen, feuchten Baumes.
Da, die schönen, zarten Gestalten der Nebelfrauen waren verschwunden. Hatte er etwa geträumt? Bevor sie verblassten sahen sie ihn lange todtraurig und verzweifelt an.
Julian raffte sich auf und wankte heimwärts. Erschrocken zuckte er zusammen, eine Gestalt kam aus dem Dunkel des Waldes direkt auf ihn zu. „Julian, was machst du so spät hier?“ Ein Mädchen stand vor ihm. „Magdalena, du?“ „Komm, ich begleite dich nach Hause!“

Schweigend schritten die jungen Leute auf dem Weg. „Ich werde dir helfen, gemeinsam müssen wir uns gegen diese korrupten Leute wehren", begann Magdalena zu sprechen. Noch in dieser Nacht schmiedeten sie einen Plan, wie sie den Wald und den See retten konnten.

Schon am nächsten Tag trafen sie sich mit den jungen Leuten des Ortes und zeigten ihnen die Zerstörung der Natur. Julian war nicht mehr alleine, mit Magdalenas Hilfe wurde seine eindringliche und mahnende Stimme gehört. Die Harmonie und das Gleichgewicht der Natur durfte nicht wegen eines Mammutprojektes einzelner Personen zerstört werden. Es ging um ihre Zukunft und um die einzigartige Schönheit ihrer Landschaft.

Spät abends marschierten Magdalena und Julian auf der einsamen Landstraße heimwärts. Die Stille und das Leuchten der Sterne begleiteten sie. Unheimlich schnell donnerte eine schwere Maschine heran, grelle Schweinwerfer blendete die Beiden.
Geistesgegenwärtig riss das Mädchen Julian zur Seite, sie stürzten über den Abhang und blieben in den Büschen hängen. Urplötzlich war der Spuk vorüber. Magdalena tastete sich zu Julian, horchte angstvoll auf seinen Atem: ,,Hast du dir weh getan?“ Der Junge richtete sich mühsam auf:
,, Komm, es wird schon gehen.“ Sie kamen nur langsam voran. Julian biss die Zähne zusammen und mit Magdalenas Hilfe erreichte er endlich seine Hütte. Schweiß und Blut tropften von Gesicht und Händen. Das Mädchen untersuchte seinen arg geschwollenen Knöchel. Kalte Wickel linderten die Schmerzen und endlich war Julian eingeschlafen. Magdalena verschloss die Tür und blieb bei ihm. „Wollten sie uns töten?“

Früh morgens verständigte das Mädchen den Arzt und ihre Freunde. Es herrschte große Aufregung im Dorf. Die Menschen begriffen den Ernst der Lage und formierten sich. Der Widerstand begann zu greifen. Der Bürgermeister und die Gemeinderäte versuchten die Leute zu beschwichtigen, doch die ließen sich nicht mehr beirren.

Julian hatte hohes Fieber, schweißgebadet warf er sich unruhig hin und her. Sein Blick war starr auf die unsichtbaren Gestalten gerichtet, die ihn bedrohten, er stammelte wirre Worte.
Das Gesicht des Arztes war angespannt, seine Stimme ernst: ,, Wenn die Tabletten nicht in einer Stunde wirken, muss ich Julian ins Spital bringen lassen!“
Beruhigend sprach Magdalena mit dem Kranken, wischte mit kalten Tüchern über seine Stirn und flößte ihm die Medizin ein.
Endlich lag er ruhig und fiel in tiefen Schlaf. Das Mädchen wich nicht von seiner Seite, sie legte ihre kalten Hände auf seine glühende Stirn und betete leise.

Schwül und drückend heiß war die Luft, kein Hauch bewegte die müden Blätter. Über dem Wetterloch türmten sich haushohe Wolken. Unheimliche Stille machte sich breit. In fieberhafter Eile holten die Bewohner das Vieh von den Weiden und trieben sie in gesicherte Ställe. Die Alten des Dorfes forderten die Menschen auf, in der kleinen Bergkirche Schutz zu suchen. Damals vor langer Zeit hatte nur sie dem furchtbaren Unwetter Stand gehalten. Zank und Streit war vergessen die Leute halfen und unterstützen einander.

Wie ein Dämon, der sich aus tausend Ketten befreite, stürzte der Sturm über das Tal, stampfte über die Berggipfel, riss an den morschen und hohlen Stämmen des Waldes und brachte sie krachend und zersplitternd zu Fall. Angstvoll kauerten die Menschen in der Kirche. Die Kinder versteckten sich in den zitternden Armen ihrer Mütter. Die Männer schützten Fenster und Türen mit Holz. Stockdunkel war es nun in der Kirche. Nur noch Heulen und Tosen der Urgewalt.
Blitze erhellten den zur Nacht gewordenen Tag und ein gewaltiger Donnerschlag ließ die Menschen erzittern. Dann herrschte Stille, atemlose Ruhe. Der große, kräftig gebaute Almwirt begann mit lauter Stimme zu sprechen: „Die Rache der Nebelfrauen! Mein Gott, wie konnte ich es vergessen. Hat mich doch schon mein Vater vor ihnen gewarnt. Und Julian hat uns von ihnen erzählt. Doch wir lachten über ihn und nannten ihn einen Spinner. Die Nebelfrauen tanzen und nur einer mit liebenden Herzen zu Wald und See kann sie sehen. Spürt ihren Schmerz und Verzweiflung. Achtung und Ehrfurcht vor der Größe und Schönheit unserer Heimat sollten sie uns lehren. Und wir, ach wir haben gelacht und gehöhnt.
Dann fiel der starke Mann auf die Knie und hob flehentlich die Hände: „Ich gelobe und versprechen, wenn wir hier alle gesund aus dieser Kirche gehen dürfen, dann werde ich mich mit all meiner Macht und Kraft für den See und den Wald einsetzen. Ich werde nicht zulassen“, nun schrie er, der Sturm begann zu johlen und tosen, „ich werde nicht zulassen, dass sie euch zerstören. Niemals!“ Die Dorfbewohner stimmten erschüttert ein. Der Sturm kehrte mit aller Kraft zurück und die Nebelfrauen tanzten am Firmament, mit den schwarzen, drohenden Gewitterwolken.

Magdalena hatte die Fensterläden geschlossen, doch die grellen Blitze erhellten die Finsternis. Julians Gesicht wirkte bleich und eingefallen, sein Atem ging mühsam und unruhig. Wie sollte sie ihm helfen? Magdalena erkannte erschüttert, dass sein Leben untrennbar mit dem Schicksal des Waldes und des Sees verbunden war, seine Kraft und Energie waren erschöpft. Schluchzend legte sie ihr tränenüberströmtes Gesicht auf seine Hände und flehte:“ Der Wald und der See brauchen unsere Hilfe. Nur gemeinsam können wir ihn retten. Bleib bei mir, geh nicht fort. Ohne dich ist es kein Leben!“

Der Sturmwind zerrte an den Dachziegeln, das Haus ächzte und stöhnte. Ein gewaltiger Donnerschlag weckte Julian, entsetzt richtete er sich auf. In seinen Augen lag blanke Angst: ,,Die Nebelfrauen rächen sich. Sie tanzen mit dem Sturm und werden uns zerstören!"
Magdalena drückte den Jungen sanft in sein Kissen, wischte ihm durchs schweißnasse Haar und wisperte beruhigend: ,,Nur einer mit liebenden Herzen kann sie sehen und ihre Trauer spüren. Du liebst Wald und See, dein Herz ist voller Liebe. Sie werden uns kein Leid zufügen. Dies spüre ich zutiefst!"
Tief seufzte der Bursch, lächelte matt und schlief sogleich ein. Der Orkan verlor augenblicklich seine Kraft. Der Dämon ließ ab von seiner Zerstörungswut.

Die Tür der Kirche öffnete sich und die Menschen eilten ins Freie. Der zornig wütende Sturm hatte sich beruhigt. Ein Bild der Verwüstung bot sich den Bewohnern des Dorfes. Entwurzelte Bäume, abgedeckte Dächer und eingestürzte Scheunen, doch sie lebten. Alle legten Hand an um die Schäden zu beheben.

Ganz sacht und leise begann es zu regnen. „Magdalena, Magdalena!“ Das Mädchen hob den Kopf, strich die Haare aus dem tränenverschmierten Gesicht. „Warum weinst du?“ Julian saß im Bett, seine bleichen Wangen bekamen wieder Farbe.
„ Gott sei Dank, es geht dir besser. Ich war in großer Sorge um dich.“ Zärtlich küsste das Mädchen seine Wangen. Dann öffnete sie die Fenster. Es roch nach Moos und nasser Erde. Die Vögel trällerten und jubilierten.

Unter der Führung Martins, des wortgewaltigen und kämpferischen Almwirt vertrieben die Dorfbewohner die Umweltzerstörer und ihre Komplizen. Die Menschen hielten ihr Versprechen, sie hörten endlich Julian zu und verstanden seine Mahnungen.
Im Einklang mit der Natur, Phantasie und Rücksichtnahme, dem Miteinander aller Einwohner des Ortes schufen sie einen Natur- und Erlebnispark, der erholungssuchende Menschen aus nah und fern anzog. Zufriedenheit und Glück kehrten schließlich ein.

Wieder spiegelte sich silbern der Vollmond im Wasser des Bergsee. Nur das Schweigen der dunklen Baumriesen und der Nebel der über den See zog.
Die Nebelfrauen tanzten wieder. Sanft und zärtlich wiegten sich die durchsichtigen, schlanken Geschöpfe nach einer wunderbaren, lautlosen Melodie. Diesmal waren ihre Bewegungen und Gesten voll überschäumender Freude, Holdseligkeit und Liebreiz geprägt.
Julian lehnte am Stamm der Birke, seine Arme hatte er um Magdalena gelegt und zog sie an sich. Beide spürten die Seligkeit der schwebenden Nebelfrauen und sie wussten der See und der Wald waren endlich gerettet.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.08.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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