Daniela Rabenstein

Glaskuss

Sehnsüchtig blicke ich auf das Glas, das deine zarten Lippen eben noch berührt haben. Wenn es Gefühle hätte, würde es jetzt wahrscheinlich erröten oder breit im Angesicht dieser Berührung grinsen. Und schadenfroh verkünden, dass es erreicht hat, was mir verwehrt bleibt.

Manchmal glaube ich, ich müsste am Gedanken an dich ersticken oder zugrunde gehen; so tief ist das Gefühl, dessen Charakter ich nicht beschreiben kann. Ruhelosigkeit, wenn du meine Gedanken beherrschst.

Langsam führe ich das Glas zu meinen Lippen und trinke den letzten Rest des Weines. Und ich schmecke deinen Mund, tauche tief in die Empfindungen des Glases ein. Ich spüre, wie deine Finger mich umfassen und deine Lippen mich berühren.

Dein Geruch umwebt mich in einem feinen Netz. Einige Strähnen deines Haares kitzeln sanft meine Wange, und ich vergehe im Schatten dieser Verführung.

Ich stelle das Glas zurück auf den Tisch, durchquere den Raum und lehne mich gegen eine Wand; die Augen geschlossen. Das Glas weckt nur unsinnige Sehnsüchte in mir. Und doch gleichen seine Gesänge denen der mystischen Sirenen. Verführen mich zu weiteren Tagträumen, denen ich mich zu gern hingeben möchte.
Mein Widerstand schmilzt dahin.

Dein süßer Duft kommt wieder näher; ein Lufthauch streicht an meinem Hals entlang. Dann kitzelt dein Haar meine Nase. Meine Arme suchen dich, um dich fest zu umschließen. Meine Hände gleiten über weichen Stoff; dein Herz schlägt schnell und dein Atem streift meine Schulter. Der Weg zu deinen Lippen ist nicht weit. Ich würde dich gern küssen. An die Folgen, die sich ergeben können, mag ich nicht denken.

Deine Bewegungen zeigen mir, dass du noch näher kommst. Ich weiß, du bist mir viel zu nah. Beängstigend nah in meinen Gedanken.

Das Glas rutscht vom Tisch und fällt auf den Boden. Ich bin hellwach; alle Sehnsüchte sind verdrängt.
Dann sehe ich dich, wie du lächelnd die Glasscherben aufsammelst.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.04.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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