Silvia Pree

Die Bitte


Markus wälzte sich im Bett.
Mal starrte er im Dunklen an die Decke.
Dann aus dem Fenster.
Oder an die kahle Wand.
Immer hatte er dasselbe Bild vor Augen.
Bernadette.
Seine Frau.
Mager.
Eingefallenes Gesicht.
Ihre Augen wie schwarze Höhlen.
Keine Haare am Kopf.
Die Züge schmerzverzerrt.
Die Haut fahl-gelb.
Sie hatte seinen Arm umklammert.
Wie eine Fessel.
Dass es ihm wehtat.
Bernadette keuchte.
Du hast es mir versprochen.
Erinnerst du dich?
Du nimmst sie mir mit!
Bitte.
Ich kann nicht mehr.
Tu mir den Gefallen.
Tu es…
Wenn du mich liebst!

Wenn du mich liebst!
Markus schloss die Augen.
Ein paar Tränen tropften auf seine Wange.
Natürlich war es furchtbar für sie.
Brustkrebs.
Beide Brüste amputiert.
Ein Jahr der Hoffnung.
Den Krebs vielleicht besiegt zu haben.
Er bohrte die Fingernägel in seinen Handballen.
Kein Befund.
Bis zur Nachuntersuchung vor einem halben Jahr.
Metastasen im Kopf.
In der Lunge.
Und in den Knochen.
Nach all den guten Werten über Monate fast wie ein Keulenschlag.
Kurz hatte sich der Krebs ins Bockshorn jagen lassen.
Kurz.
Dann hatte die teuflische Krankheit zurückgeschlagen.
Mit aller Macht.
Der Oberarzt war seinem Blick ausgewichen.
Aussichtslos.
Das wusste er selber.
Wo sollte man den Krebs denn zuerst bekämpfen?
Und wie?
Ohne den ausgemergelten Körper seiner Frau noch mehr auszulaugen?
Wie sollte sie das durchstehen?

Markus legte sich wieder hin.
Die Hände hinter seinem Kopf verschränkt.
Jederzeit würde er einen der Krebsarten auf sich nehmen.
Mit Freuden.
Um Bernadette zu entlasten.
Aber das war nicht möglich.
Er konnte nur ihre Hand halten.
Mit ihr weinen.
Und bisweilen auch lachen.
Wenn die Tochter mit den Enkerln da war.
Oder er von dem kleinen Hund erzählte.
Den er aus dem Tierheim geholt hatte.
Eigentlich für seine Frau.
Und nun gab der Hund ihm selber Kraft.
Wenn er verzweifeln wollte.
Wenn er nur mehr weinen konnte.
Der kleine Max kam immer von selbst.
Bellte kurz.
Leckte ihm das Gesicht.
Legte ihm die Pfote auf das Knie.
Als wolle er sagen.
Hey!
Aufgeben gilt nicht!

Aufgeben gilt nicht!
Seine Frau wollte nun aufgeben.
Schmerzmittel brachten kaum noch Linderung.
Die Tumore wucherten weiter.
Trotz Bestrahlungen.
Trotz Chemotherapie.
Bernadette bekam oft kaum mehr Luft.
Der Arzt hatte nicht herumgeredet.
Vielleicht noch ein paar Wochen.
Aber Ihre Frau ist stark.
Möglicherweise dauert es auch noch ein paar Monate.
Es wird jedenfalls nicht leichter für sie werden.
Ganz im Gegenteil.
Markus stand auf.
Machte das Licht an.
Du hast es mir versprochen.
Er hörte die Stimme seiner Frau.
Verzweifelt.
Er schluchzte auf.
Ja, das stimmte.
Er hatte es Bernadette versprochen.
Als man den Brustkrebs diagnostiziert hatte.
Als noch Hoffnung war.
Er hatte es versprochen.
Ohne an die Möglichkeit realistisch zu glauben.
Nein, er hatte nicht erwartet…
Nicht erwartet, dass man die Krankheit nicht stoppen würde können.
Ja.
Er hatte das Versprechen leichtfertig gegeben.
Und jetzt?

Bernadette hatte fast ständig furchtbare Schmerzen.
Schmerzen, die sich niemand vorstellen kann.
Der sie nicht selber hat.
Und dieser Zustand würde vielleicht noch einige Wochen dauern.
Konnte er ihr das zumuten?
Sein Bruder fiel ihm ein.
Neulich, als er ihn gefragt hatte.
Sein Bruder war Rechtsanwalt.
Das ist strafbar.
Vergiss das nicht.
Aber es ist deine Sache
.
Strafbar.
War das nicht ohnehin egal?
Bernadette würde sterben.
Seine geliebte Bernadette.
Was war das für ein Land?
Wo es strafbar war, dem liebsten Menschen den letzten Wunsch zu erfüllen?
Markus ging ins Bad.
Öffnete den Badezimmerschrank.
Holte eine Packung Schlaftabletten heraus.
Zwanzig Stück.
Ich kann nicht mehr schlafen.
Die Lüge war ihm leicht über die Lippen gegangen.
Sein Hausarzt hatte genickt.
Und ihm das Rezept in die Hand gedrückt.
Aber nicht mehr als eine, ja?
Markus umklammerte die Packung.
Zwanzig würden sicher reichen….
Reichen für seine Bernadette.

Vivienne

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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