Sila Schuler

Ehre, Würde & Pflicht 3

Aber das tat sie. Ein paar Nächte später hatte Marc einen Traum. Sie saß friedlich da, lieblich wie eine Rose, und lächelte ihn an. Sie kroch auf ihn zu und neigte den Kopf zur Seite.
„Machst du dir Sorgen?"
„Du bist immer noch hier?" Marc konnte es nicht fassen. „Werde ich dich jemals loswerden?"
Sie lehnte sich weiter zu ihm vor, ihr roter Pony strich über seine Stirn. Eine Weile saß er starr da und starrte in ihre grünen Augen. Ihr Mund war nur knapp fünf Zentimeter von seinem entfernt, als sie ihn erneute anlächelte.
„Du hast keine Ahnung... oder?"
„Wovon?" Sie wurde langsam lästig.
„Von allem", sagte sie und richtete sich wieder auf. Sie rutschte zur Bettkante und ließ die Beine baumeln.
„Das ist alles?" zischte Marc. „Das ist alles, was du mir zu sagen hast?"
Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als sie sich langsam zu ihm umdrehte, dasselbe mädchenhafte Lächeln auf den Lippen.
„Was für Befriedigung begehrst du noch?"

Bevor er eine Miene verziehen konnte, bemerkte er, dass er soeben aus seinem Traum erwacht war. Er holte tief Luft. Diese Parker hatte eine seltsame Präsenz in seinem Träum, wie eine Heimsuchung. Sie wurde wirklich lästig. „Was für Befriedigung begehrst du noch?" wiederholte er leise ihre Worte. Er zerrte die schwarzen Bettlaken von sich und enthüllte dabei seine seidene, waldgrüne Pyjamahose. Bei Kerzenlicht öffnete er seinen Koffer und das Fach gleich unter dem Deckel. Um die zwanzig Taschenbücher lagen dort aufgestapelt vor ihm.
Warum erinnerte ihn dieser Satz an etwas? Weshalb klang er als hätte er ihn schon mal gehört? Er zog „Große Erwartungen" hervor. „Das kann es nicht sein..." Er legte es neben sich auf den Boden. ‚Herr der Ringe... definitiv nicht. Die „Canterbury–Erzählungen?“... Nein.'
Er entschloss sich, durch die Shakespearestücke zu blättern. Er begann mit „Mit viel Lärm um nichts" und war zu Hälfte durch „Hamlet", als sein Blick auf seine „Romeo und Julia"–Ausgabe fiel.
„Das soll wohl ein Scherz sein." Er warf „Hamlet" beiseite. Er hob „Romeo und Julia" auf und nahm es mit ins Bett. Er schlug den ersten Akt auf und las ihn sorgfältig durch. Seine Augen verengten sich, als er zu einer Zeile in der zweiten Szene des zweiten Akts kam.

Julia: Was für Befriedigung begehrst du noch?

Die Traum-Sam hatte Julia zitiert. Warum ausgerechnet diese Figur und warum dieses Stück?

So einzge Lieb aus großem Hass entbrannt...

Marc war übel. Ohne weiter darüber nachzudenken schlug er das Buch zu, legte es auf seinen Nachttisch und versuchte, noch etwas zu schlafen.
Später entschloss er sich doch aufzubleiben und las das Stück noch einmal. 
 
 
..........................

Ich wusste nicht, dass es so schwer sein würde Shakespeare zu lesen. Als ich zum ersten Mal „Macbeth" gelesen habe war Kenny, mein Bruder da, um mir zu helfen. Verstehen ist eine schwierige Herausforderung. Heute hatte ich allerdings eine Idee, wen ich fragen könnte. Es ist verrückt, ich weiß, aber das musst Du verstehen. Ich kam darauf beim Frühstück in der Großen Halle...

...............................


Sam sass beim Frühstück und lies ihren Blick einwenig schweifen. Bis sie, den schwarzen Schopf von Marc fand. Zu ihrer äußersten Verwunderung waren seine Augen auch auf sie gerichtet. Sie glaubte, sie würde es sich einbilden. Starrte er sie an?
 
Marc stand auf und verließ den Esssaal. Wusste sie, dass sie ihn im Schlaf verfolgte? Hatte sie bemerkt, dass er versuchte ihr aus dem Weg zu gehen, sie aber gleichzeitig beobachtete? Hatte sie irgendeine Ahnung, dass ihm sein innerer Kampf nur vier Stunden Schlaf pro Nacht ließ?

Natürlich nicht. Sie fand es merkwürdig, dass er sie anstarrte. Sie setzte ihren Muffin ab und drehte sich zu ihren Essnachbahren um, wünschte ihnen eine guten Appetit. Dann ging sie, auf die Suche nach ihrem „Beobachter".
Es dauerte nicht lange, bis sie ihn gefunden hatte. Sie durchquerte die Eingangshalle, die zum Haupteingang führte, als sie an einem Fenster mit Blick auf den See vorbeikam. Sie sah einen schwarzen Fleck inmitten der Szene aus Schnee und gefrorenem See. Sie trat hinaus in die Kälte und wickelte ihren Schal enger um den Hals.
Marc stand etwa auf halber Höhe zwischen dem Schloss und dem See. Er hatte die Hände in den Taschen vergraben, aber er krümmte sich nicht vor Kälte. Er stand aufrecht und fest und starrte auf den Horizont. Sie sah, wie er seufzte. War er müde? Genervt? Gestresst? Woran dachte er? Was war mit ihm passiert?
Er hatte immer angegeben, bis er sich den Mund fusselig geredet hatte. Warum war er so still und zurückgezogen geworden? Er war weiterhin mit seinen Begleitern Sandro und Franc zusammen, aber die ganze Schule konnte sehen, dass Marc sich verändert hatte... selbstverständlich hatte er hin und wieder eine abfällige Bemerkung parat, die alle glauben ließ, die Welt sei normal. Aber als Sam ihn in der Bibliothek angesehen hatte, als er Romeos Verse rezitiert hatte, war keine Bosheit in seinem Blick gewesen. Konnte das alles an seinen Familienproblemen liegen? Sam fiel nur eins ein, was sie tun konnte. Sie ballte eine Handvoll Schnee...
... und warf ihn nach Marc. Das Schneegeschoß traf ihn von hinten an der Schulter. Er grunzte und drehte sich um.
„Was zum...!" Als er sah, dass es Sam war, die hinter ihm stand, erstarrte er fast. Sein Blick flog sofort zurück. „Was soll das, Parker?"
„Ich hab dich hier stehen sehen." Würde er zugeben, dass er sie angestarrt hatte, wenn sie ihn darauf ansprach? Vermutlich nicht. Sie bemerkte, dass er sich von ihr abwandte. Sie nahm sich die Freiheit, noch mehr Schnee nach ihm zu werfen.
Er sah ziemlich genervt aus, als er sich den Schnee vom Ärmel klopfte.
„Seh ich für dich wie ein Zielscheibe aus?" fragte er mürrisch.
Sie zuckte nur mit den Schultern. Er tat ihr leid. Er musste sich über so vieles Gedanken machen. Sam hoffte, er würde etwas lockerer werden. Sie warf mehr.
„Du nervst", brummte er.
„Und du siehst mich nicht an, wenn du mit mir redest." Sam trat auf ihn zu. „Sind Schneeballschlachten zu kindisch für dich, Marc?" fragte sie und streckte seinen Namen in die Länge.
Kurz bevor sie die nächste Ladung werfen konnte wurde sie von zwei Schneebällen bombardiert. Sie stolperte leicht zurück, als sie sie an der Schulter trafen.
„Ist das alles, was du kannst, Marc? Du wirfst schlechter als mein kleiner Bruder!"
„Pass auf, was du sagst, Parker."
Ein weiterer Schneeball. „Es heißt Sam, Marc!"
„Meine feinen Lippen können so einen schwerfälligen Namen nicht aussprechen!" entschuldigte er und warf zwei große Schneebälle nach ihr.
„Soll das alles sein, Marc?" drängte Sam. „Das kann ja meine Großmutter besser!"
„Jetzt reicht's!" Schrie ¨Marc auf und feuerte eine Salve Schnee auf sie.
Sie quietschte, während sie versuchte mit Marc’s Geschwindigkeit mitzuhalten. Sam hatte ihn recht schnell eingeholt. Nicht lange und Marc und Sam waren rosa im Gesicht. Beide keuchten. Marc fielen seine Haare ins Gesicht und die Hälfte von Sam’s Haaren war aus ihrem Haargummi herausgerutscht.
„Gibst du auf?" hauchte sie.
Er antwortete mit einer neuen Attacke. Sam reagierte ebenso mit mehr Munition. In einem Wirbel aus fliegendem Schnee kam Marc nah genug, um ihre Arme festzuhalten. Sam quiekte vor Lachen und kugelte sich zusammen, wobei sie fiel und Marc mit sich riss. Sie lag auf dem Rücken und versuchte, Marc mit beiden Händen mit Schnee zu bewerfen, als er sich über sie kauerte und sie mit Schnee überschüttete.
Irgendwann wurde sie schließlich müde und nahm eine Verschnaufpause. Er tat es ihr gleich. Er balancierte auf Händen und Knien über ihr.
„Gibt du jetzt auf?" flüsterte er.
Sie schüttelte den Kopf und schüttelte den Schnee samt Haargummi aus ihren Haaren. Sie stützte sich auf den Ellbogen auf und hob ihren Oberkörper an.
„Gleichstand fürs erste, Marc."
Er nickte. „In Ordnung, Par...", er unterbrach sich. „Saman..."
„Sam!" erschallte Maximilian’s Stimme. Beide drehten sich um und sahen Maximilian in irrem Tempo ungeschickt auf sie zurennen, gefolgt von einer besorgten Sandra.
„Na großartig", brummte Marc. Er stand auf, gerade als Maximilian sie erreichte.
Maximilian fasste Sam am Arm und half ihr auf die Füße. „Sam, bist du in Ordnung? Hat er dir irgendetwas getan? Hat er dich auch nur berührt?" Maximilian, machte sich grosse Sorgen, er war einer der Einzigen, der sie hier von Anfang an respektiert hatte.
„Maximilian...", begann Sam.
„Und du!" knurrte Maximilian an Marc gewandt. „Was zu Hölle hast du mit Sam gemacht, Heyne?"
„Das ist, glaub ich, ziemlich offensichtlich, Miller", erwiderte Marc mit einem süffisanten Grinsen.
„Ich werd deine Lunge rausreißen!" Maximilian versuchte sich auf Marc zu stürzen, wurde aber von Sandra zurückgehalten.
„Maximilian, beruhig dich!" befahl Sam. „Wir hatten nur eine Schneeballschlacht, das ist alles!"
„Ja, Miller, das ist alles", kicherte Marc. „Ehrlich, was hast du gedacht?" Er warf Sam noch einen Blick zu, bevor er davonging.
„Sam", fragte Sandra zögerlich, „hast du nach Heyne gesucht?"
„Eigentlich nicht." Sam zuckte mit den Schultern. Sollte sie ihnen erzählen, wie sie ihn erwischt hatte, als er sie angestarrt hatte und wie sie ihm deswegen gefolgt war? Sollte sie sagen, dass sie eine leichte Veränderung in Marc van Heyne bemerkt hatte und jetzt extrem neugierig war?
„Er hat mir letzte Woche beim Nachsitzen das Leben schwer gemacht. Das war die Rache."
Maximilian hob eine Augenbraue. „Das ist alles?"
„Natürlich. Was sollte sonst noch sein?" Sam strich sich die Haare hinter die Ohren, sie bemerkte erst jetzt, dass sich ihr Haargummi gelöst hatte. „Könntet ihr mir helfen, mein Haargummi zu suchen?" fragte sie.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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