Iris Asamoah

Amüsanter Nachmittag

Als die Frau die Balkontüre schließen will, ehe sie die Wohnung verlässt, sieht sie die dicke, schwarze Fliege auf dem Fensterglas. Die Frau mag keine Tiere in ihrer Wohnung, nicht einmal Stubenfliegen. Sie ist überzeugt davon, das Recht zu haben, alles was sich unerlaubter Weise in ihrer Wohnung aufhält, vertreiben oder gar vernichten zu dürfen. Zunächst versucht sie die Fliege mit einer Zeitung aus der Balkontür zu scheuchen, aber die Fliege lässt sich nicht über das lackierte Holz in die Freiheit schieben, sondern macht sich einen Spaß daraus, auf dem Innenfenster auf and ab zu laufen und der Zeitung geschickt auszuweichen. Die Frau findet das nicht lustig, die Zeitung wird zum Mordinstrument. Patsch! Die Fliege ist nicht mehr zu sehen. Selbstzufrieden sucht die Frau den Boden unter dem, und den Liegestuhl vor dem, Balkonfenster ab, sieht die Fliege nirgendwo, greift nach ihrer Tasche. Es ist Sonntag und sonntags fährt die Frau ihre alte Mutter besuchen, da muss sie pünktlich sein. An die Fliege denkt die Frau nicht mehr. Kaum aber hat sie die Wohnung verlassen, taucht der Herr der Fliegen dort auf, muss nicht lange suchen, sondern sieht die Fliege in den Kissen auf dem Liegestuhl versteckt, noch nicht einmal tot, sondern nur etwas platter als zuvor. Langsam schiebt der Herr der Fliegen einen langen, gelben Fingernagel unter den Fliegenkörper und hebt ihn zu seinem Gesicht empor. Sacht umhüllt sein fauler Atem den schwachen Körper, so dass die Fliege sich vor Ekel schüttelt, sich auf die Fliegenbeine stemmt, die Flügel hebt und wieder an die sonnigerwärmte Fensterscheibe fliegt. Der Herr der Fliegen macht eine Grimasse, die wohl ein Lächeln darstellen soll, und hockt sich in die dunkle Ecke des Zimmers, wohin die Sonne nicht kommt. Die Frau kommt erst spät am Nachmittag wieder in die Wohnung. Sie ist wegen des rücksichtlosen Benehmens einiger Jugendlicher während der U-Bahnfahrt noch verärgert. Auch das sie die Treppe hochsteigen musste, weil die Rolltreppe mal wieder nicht funktioniert, nimmt sie übel. Schließlich zahlt sie teures Geld für den Transport, was den Fahrgästen scheinbar nicht zu Gute kommt. Als die Frau ihre Wohnungstür öffnet, ist sie erleichtert, wieder Zuhause zu sein. Die Tasche und der Gehstock landen in der Ecke im Flur, dann öffnet sie die Zimmertür. Sofort fällt ihr Blick auf die gegenüberliegende Balkontür, mit der dicken Fliege auf der sonnigen Fensterscheibe. Sie ruft erbost: „Was, du Biest lebst immer noch?“ Sie greift sofort nach der Fliegenklatsche, die merkwürdiger Weise nicht am üblichen Platz, sondern an den Computer gelehnt steht, als würde sie darauf warten, von der Frau benutzt zu werden. Mit der Fliegenklatsche hocherhoben in der Hand, bewegt sich die Frau zielstrebig auf die Fliege zu. Diesmal ist kein Gedanke an `Freiheit für die Fliege´ mit im Spiel, sondern es ist die pure Absicht der Vernichtung des Ungeziefers, welches die Schritte lenkt. Kurz vor dem Ziel werden diese gebremst, denn, völlig grundlos, ist die Tischdecke des kleinen Tisches, der knapp vor der Balkontür steht, seitlich auf den Boden gerutscht. Sie wickelt sich um die Füße und schiebt sich sogar noch etwas höher, die Beine hinauf. Die Frau schreit überrascht auf, versucht vergeblich die Balance zu halten, greift nach allem was auf dem Tisch steht, aber nichts gibt ihr Halt, sie fällt zwischen Tisch und Balkontür, alles was vom Tisch herunter gerissen wurde, fällt mit. Der kranke Fuß mit den steifen Zehen landet mit der Oberseite nach unten, die Zehen werden mit Gewalt umgeknickt, erst durch das nun verdrehte, schwache Bein, dann durch das Gewicht des Körpers. Die Frau übt sich seit geraumer Zeit bewusst mit positiven Denken, so ist ihr erster Gedanke nach Einschätzung der Lage: `Oh, gut, die Scheibe ist nicht zerbrochen. ´ Das hätte natürlich alles noch viel schlimmer gemacht, aber auch so bedarf es mehrerer Versuche des Wiederhochkommens, bis die Frau sich entscheidet, dass sie sich erst auf allen Vieren positionieren, und dann um den Tisch herumkrauchen muss. Der Herr der Fliegen ist hocherfreut über diesen Anblick, so sehr hatte er sich nachmittags lange nicht mehr amüsiert. Zum Abschied zwinkert er der Fliege zu, die sich unterdessen auf die andere Fensterscheibe gesetzt hat, um das Spektakel noch besser zu sehen. Die Frau hört nicht, dass die Tür geschlossen wird, sie wirft polternd die Gegenstände, die ihr im Weg sind, zurück auf den Tisch und in das Zimmer.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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