René Zapf

Das Motel am Cayon Blvd.

>> Hi, ich brauch n Zimmer
für eine Nacht. <<
Der alte Mann in der Motellobby starrte gebannt in einen
kleinen Fernseher der auf einem wackeligen Holztisch stand und paffte seine
Zigarre. Hinten an der Wand war ein Schild angebracht auf dem Stand: HIER GIBT
ES KEINE NIGGER!!!
Ich war mit meinem alten Ford auf der Durchreise nach
Brighton und hatte seit etwa 30 Stunden keinen Schlaf gehabt, also hielt ich in
Johnsburg  Illinois für die Nacht an.
Der Alte bewegte sich nicht, starrte nur in den Kasten und
paffte.
>> Hey, kann ich hier n Zimmer kriegen? <<
Der alte erhob sich langsam und träge aus seinem Sessel,
drehte den Fernseher Richtung Tresen und schlenderte zu mir rüber.
>> Was wollen sie? <<
>> Ich hätte gern ein Zimmer für eine Nacht. <<
Kann man nix >> machen, für so lange vermiete ich
keine Zimmer! <<
>> Hä? <<
>> Kann ich nix machen! <<
>> Bloß für eine einzige Nacht! <<
Ach für eine Nacht? >> <<
Ja, nur für eine lausige Nacht! <<
Ja das >> geht. Hier mal unterschreiben. <<
Was soll es denn >> Kosten? <<
Was? <<
Na das Zimmer. <<
> /> Kommt darauf an... <<
Auf was kommt es an? <<
> /> Na wie viele Nächte sie das Zimmer ham wollen.
<<
>> Nur für eine einzige Nacht! <<
Ach ja, stimmt. 17 Dollar >> im Voraus! Jede weitere
Übernachtung 14 Dollar. <<
>> Nicht nötig, nur für eine Nacht. <<
>> 17 Dollar! <<
Ich unterschrieb und zählte dem alten Kauz das Geld in die
Hand.
>> Ham se aber Glück, ist das letzte freie Zimmer!
<<
Er langte nach hinten und nahm den Zimmerschlüssel vom
Brett.
>> Brauchen se vielleicht nette Gesellschaft, ich
könnt was arrangieren? <<
>> Nein danke, will nur schlafen und morgen früh reise
ich wieder ab. <<
>> Na dann nicht, aber sie verpassen was, ehrlich. Äh,
Zimmer 111 im dritten Stock. Den Gang bis hinten durch und links um die Ecke
erste Tür rechts. <<
Ich nahm meine Tasche und ging zum Fahrstuhl.
>> HALT! Der is kaputt! <<
>> Sauber! <<
Ich nahm die Treppe.
Das Motel sah innen so ranzig aus wie von außen. Die Wände
vollgekritzelt mit dümmlichen Sprüchen, Kippenstummel lagen überall auf der
abgewetzten Auslegware herum und ein modriger Geruch lag in der Luft.
Etliche Lampen waren defekt und beleuchteten flackernd die
Flure.
Bei jedem Schritt knarrte das Holz unter dem Teppich und ich
musste auf einige Stromkabel achten, die unisoliert von der Decke baumelten.
Vor meiner Zimmertür angekommen, bekam ich den Schlüssel
nicht ins Schloss. Mit angewiderter Gewalt gelang es mir schließlich und ich
öffnete vorsichtig die Tür.
Das Zimmer bot exakt das, was der Flur andeutete.
Ich stellte meine Tasche ab, riss ein Fenster auf und japste
nach Luft.
Ein schwülwarmer Westwind wehte ins Zimmer und brachte nur
bedingt Linderung.
Es stank als wäre jemand in dem Zimmer gestorben und erst
nach drei Wochen entdeckt worden.
Ich zog die Bettdecke weg um das Bettzeug auszulüften,
zündete ich mir eine Zigarette an und setzte mich erschöpft auf den Bettrand.
In einer Ecke gab es ein Waschbecken, von der Decke hing
eine Lampe, allerdings ohne Schirm und der Teppich war der gleiche wie im Flur.
Was soll´s, dachte ich, ist ja nur für eine Nacht.
Ich rauchte meine Zigarette zur Neige und schnippte sie aus
dem Fenster. Dann legte ich mich, in voller Montur in das Bett und schlief ein.
Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen wann, aber irgendwann
wachte ich auf und hatte das Gefühl, gleich zu ersticken.
Ich hatte ganz vergessen das Licht auszumachen und bemerkte
Rauch.
Der Qualm zog durch das Fenster in mein Zimmer und ich
konnte mich nicht erinnern, jemals einen derart ekelerregenden Rauch gerochen zu haben.
Es roch süßlich und erinnerte an verkohltes Rosinenbrot.
Ich stand auf und sah aus dem Fenster. Unten, auf der
anderen Seite des Hofes stand ein abgewracktes Kabuff aus dem der Qualm zu
kommen schien.
In dem Kabuff brannte Licht und eine Stimme sagte: >>
Mehr Hitze, wir brauchen mehr Hitze, sonst springt er uns noch raus <<.
Ich beschloss runter zu gehen um mich über den Rauch und den
Gestank zu beklagen.
Wieder musste ich durch den unheimlichen Flur und die
Treppen runter.
Der Alte war nicht auf dem Posten, die Lobby war
menschenleer. Nur der kleine Fernseher quasselte munter vor sich hin, eine
Wiederholung der Monty Barrett Show.
Ich ging raus auf den Hof und rüber zu dem Kabuff.
Ich lugte vorsichtig durch die Tür die nur angelehnt war.
Plötzlich bekam ich einen Schlag von hinten auf den Kopf.
Der Hieb war kurz und trocken und ich sackte sofort
besinnungslos zu Boden.
Als ich wieder zu mir kam, stand der Alte aus der Lobby vor
mir und grinste mich sadistisch an. Links von ihm stand ein älteres Weib. Fett
und ungepflegt.
Der Alte musste mich während meiner Ohnmacht gefesselt
haben.
>> Was hast du hier herumzuschnüffeln? <<
Ich wurde von dem >> Rauch und dem Gestank wach und
wollte nachsehen, was los ist <<
>> Soso <<.
Er ging einen halben Schritt auf mich zu und sagte: >>
Du wolltest also nur nachsehen was los ist? <<
>> Ja, hätte ja sein können, dass das Motel brennt.
<<
>> Du bist ein gerissener Hund, aber hier fällt keiner
auf deine Sprüche rein, verstanden? <<
Der Alte schnippte mit den Fingern, und das Weib kam auf
mich zu und trat mir mit ihrer Schuhhacke in die Magengegend. Ich bekam eine
Weile keine Luft mehr und musste mich übergeben. Dann pfiff der Alte das Weib
zurück. >> Musst ihn ja nicht gleich totmachen! Geh und mach mehr Hitze,
nicht das er uns noch rausspringt <<.
Die Alte lachte nur und ging in den hinteren Teil der
Baracke.
>> Du wolltest also rauskriegen was hier los ist, na
das werd ich dir zeigen mein Junge! <<
Der Alte griff nach meinem Arm und riss mich auf die Beine.
>> Sieh nur genau hin, DAS DA IST HIER LOS!!! <<
Was ich nun zu sehen bekam, war so bestialisch und
unwirklich als wäre ich einem Alptraum aufgesessen. Im hinteren Teil der
Baracke war eine art Räucherofen in dem eine Gestalt mit Händen und Füßen an
einen Gitterrahmen geschnallt war. Die Gestallt war völlig verkohlt und
zappelte unaufhörlich, aber sie schrie nicht. Die Alte hinten schmiss Unmengen
Holz in den Brenner des Räucherofens. >> Wie Du siehst mein Junge brennt
hier nicht etwa das Motel, nein hier wird geräuchert! << Ich wehrte mich,
das was ich sah zu glauben. Es wollte einfach nicht in mein Hirn, dass sie
einen Menschen in eine Räucherkammer gestopft hatten.
>> Warum um Himmels Willen tun sie das? << Der
Alte schmiss mich gegen einen Holzpfeiler und zurrte mich mit einem Seil daran
fest. >> Nun, wir tun das aus rein wissenschaftlichen Gründen. Es muss
endlich eine Möglichkeit gefunden werden, Menschen für die Nachwelt zu
konservieren. Kapiert das dein Spatzenhirn? <<
>> Aber das überlebt doch niemand, was wollen sie dann
noch konservieren? <<
Der Alte wirbelte mit den Armen und wurde lauter: >>
Du hast ja keine Ahnung Mann! Was schert mich das Leben? Ich konserviere den
Tod! << Die Alte hinten begann hysterisch zu lachen. >> Den Tod?
<< >> Klar, was sonst? Ich habe dieses Verfahren in über 15 Jahren
selbst entwickelt. Natürlich streng geheim wegen den Cop´s und so. Dieser Ofen
hier ist brandneu. Ich habe ihn erst vor knapp zwei Wochen fertiggestellt. Ich
nenne ihn „Orcana“.
Die Gestallt in dem Räucherofen zuckte jetzt heftiger und
der Alte mahnte erneut: >> Mach mehr Hitze Ruth, der springt uns sonst
wirklich noch raus. >> Du siehst also, mein Junge, hier wird geforscht
und nicht gemordet. Das Objekt bekam sogar vor der Konservierung noch ein Essen
auf Kosten des Hauses spendiert. Selbstverständlich ahnte das Objekt zu dem
Zeitpunkt noch nicht, dass es sich bei dem Gratisessen um sein letztes Mahl
handelte. << Der Alte fand sein Gerede offensichtlich witzig, da er in
unbeherrschtes Gelächter verfiel. >> Dieser Ofen, mein Junge, kann auf
unterschiedliche Weise beheizt werden. In diesem Fall verwenden wir
ausschließlich Ahorn. Es ist sehr harzig und erzeugt, kraft dieser Eigenschaft,
sehr viel Hitze.
Die Temperatur ist sowieso das wichtigste. Wenn die Hitze
nicht stimmt, wird es mit der Konservierung nix und alles war für die Katz.
<<
Ich verstand nichts von seinem Gefasel. Er musste komplett
verrückt gewesen sein. Ich wollte Zeit gewinnen, denn es stand außer Frage,
dass ich das nächste „Objekt“ sein sollte. >> Wie funktioniert diese
Räuchermethode? << >> Nun, ohne meine eigene Genialität
herunterspielen zu wollen, es ist ganz simpel. Das Objekt sollte im Idealfall
zwischen 20 und 50 Pfund Übergewicht haben, denn der Gewichtsverlust während der
Konservierung muss in die Kalkulation miteingerechnet werden. << >>
Verstehe, also übergewichtig. << >> Exakt! Darüber hinaus muss
dafür gesorgt werden, dass das Objekt, während der Konservierungsphase,
möglichst lange am Leben erhalten wird, daher wählt man die Temperatur so, dass
das Objekt nicht schnell stirbt, sondern bis kurz vor Beendigung der Prozedur
am Leben bleibt. << >> Was würde denn passieren, wenn der Mensch
vor der Beendigung stirbt? << >> Dann wäre alles umsonst gewesen,
denn ich will ja perfekte Ergebnisse erzielen. << >> Werden sie
mich auch konservieren? << >> Unmöglich! Du hast bedauerlicherweise
kein nennenswertes Übergewicht. Du würdest in dem Rauch wie ein Blatt im Herbst
dahinwelken. << >> Dann werden sie mich gehen lassen? <<
>> Achherrjeh, ein kleiner Spaßvogel wie? Du hast viel zu viel >> gesehen
und ich könnte wetten, dass du alles den Cop´s sagen würdest. Du wirst, wenn
das Objekt da im Orcanaofen konserviert ist einfach eingeäschert, basta!
<< Ich erstarrte, denn bei seinem Wahn glaubte ich ihm. >> Mach
noch etwas mehr Hitze Ruth, oder biste scharf darauf, das er uns rausspringt?
<< Die Alte schaufelte erneut einige Schippen Holz in die Brenneröffnung
als plötzlich und völlig unerwartet die Gestallt aus dem Ofen auf sie zusprang.
Mit verzweifeltem Keuchen versuchte die Alte die Gestalt abzuschütteln, aber
sie hatte nicht genügend Kraft. Der Alte schnappte sich einen Holzprügel und
rannte nach hinten um der Alten zu helfen, aber die verkohlte Gestalt sah ihn
kommen. Mit einem mächtigen Hieb schlug der Verkohlte dem Alten ins Kreuz so
das er kopfüber in seinen Ofen stürzte. Der Verkohlte nahm die Schippe auf und
schlug mit der scharfen Kante der Alten den Schädel vom Rumpf. Die Alte
taumelte, fiel rückwärts auf den Boden und blieb regungslos liegen. Ihr
abgeschlagener Kopf rollte noch etwa anderthalb Meter zur Raummitte. Der Alte
im Ofen brüllte wie am Spies und versuchte verzweifelt aus dem Ofen zu
springen, aber offensichtlich schmolzen durch die Hitze der Brennkammer seine
Gummistiefel so das er die Beine nicht mehr heben konnte. Der Verkohlte fing an
Holz in die Brennkammer zu schaufeln. Die Flammen loderten immer höher in die
Räucherkammer hinein und nach einiger Zeit verstummte das Schreien und Jaulen
des Alten. Der Verkohlte versuchte aus dem Kabuff zu rennen, stolperte aber
über die Holzschwelle und viel auf den Boden des Hofes. Ich bekam kaum noch
Luft. Durch das zusätzliche Feuer im Räucherofen wurde soviel Rauch erzeugt,
dass der Schornstein nicht mehr in der Lage war, den Rauch abzuziehen. Ich
konnte kaum noch etwas sehen und es brannte höllisch in Nase und Augen. Mit der
Kraft der Verzweiflung gelang es mir, die Fesseln zu lösen und mit allerletzter
Kraft rannte ich orientierungslos aus dem Kabuff nach draußen. Ich keuchte nach
Frischluft und sackte auf die Knie.
Als ich mich nach einer ganzen Weile wieder einigermaßen
gefangen hatte, lief ich in die Motellobby um Wasser zu trinken. Ich fand
einige Flaschen Wasser, schnappte mir zwei davon und rannte zurück nach
draußen. Der Verkohlte lag noch immer regungslos im Hof.
>> Hey! Ich habe Wasser geholt! << Keine
Reaktion. Er lag einfach nur da und bewegte sich nicht. Mir wurde schnell
bewusst, dass er tot war. Es war mir ohnehin schleierhaft, wie er so lange in
der Hitze und dem Qualm überleben konnte. Offensichtlich war an den Spinnereien
des Alten doch was dran. Ich ging wieder zurück in die Lobby, die Treppen hoch,
durch den Gang und holte mein Zeug aus dem Zimmer. Seltsamerweise schienen
keine weiteren Gäste in dem Motel abgestiegen zu sein. Der Qualm und das
Geschreie hätte sicher Tote aufgeweckt. Unten in der Lobby durchsuchte ich die
Schubladen und Schränke nach Geld, aber Fehlanzeige. Ich stieg in meinen Wagen
und fuhr gen Süden ab. Die Sonne schickte ihre ersten Strahlen über die Hügel
im Osten und der alte Ford schnurrte ruhig und gelassen den Highway hinunter.
 

Berlin, 07.09.2004, René Zapf

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