Felix König

Die kleine Maus

 

Die kleine Maus

 

von den Abenteuern einer Stadtmaus

 
Band eins – Echte Freunde
(Auch als Hörspiel erhältlich) 
 
 
Inhalt:
1.)   In der Stadt                                      
2.)   Im Kanal                                           
3.)   Endlich an Land                             
4.)   Der neue Freund                            
5.)   In der Kornkammer                        
6.)   Kein Weg zurück?                          
7.)   Am nächsten Tag                           
8.)   Im Visier des Feindes                    
9.)   Rettung in letzter Sekunde             
 
 
Die Mitspieler im ersten Teil der Geschichte sind:
Paul               die (Stadt)Maus
Theo              die (Land)Maus
Mucki             die Katze
Benno            der Hund
Peter              der Hahn
 
 
Weitere Mitspieler der nächsten geplante(n) Folge(n):
Der Professor        die Eule
Blacky                  das Pony
Kurt                      der Bauer
Merlin                   die Zaubermaus
Diddel                   die fliegende Maus
Tina                      die Maus (Freundin von Paul)
 

1 - In der Stadt

 

Die Geschichte spielt irgendwo in einer großen Stadt in einem unbekannten Land. Dennoch könnte sich die Abenteuer der kleinen tapferen Maus so oder so ähnlich ereignet haben...

Und wie viele Geschichten beginnt auch diese Geschichte mit einem harmlosen Ereignis, nämlich mit Regen, mit sehr viel Regen...

 

„Jiphiiii“ rief die kleine Maus begeistert. Es war noch heller Tag und unbemerkt trieb eine kleine Maus auf einem Holzstückchen entlang der Rinnen mitten durch die Großstadt. Sie stand aufrecht auf dem Brettchen und man sah sehr deutlich, dass sie sehr geschickte dabei ihr Gleichgewicht hielt und so eine Fahrt wohl nicht zu ersten Mal machte.

 

Es hatte in den letzten Tagen unentwegt geregnet und das Wasser schoss nun heftig durch die Straßen und sammelte sich in den Rinnen zu immer größeren Wassermassen. So manches Teil wurde davon erfasst und einfach mitgerissen.

Und mittendrin sauste und kurvte die Maus in wilder Fahrt durch die Straßen und folgte dabei einfach dem Wasserlauf.

 

Es war nicht irgendein Brettchen, welches sich die Maus dafür ausgesucht hatte. Nein, sie hatte einen halben Tag damit verbracht, genau so ein Brett zu suchen. Sie klapperte Hinterhöfe ab, suchte in Mülltonnen und war sogar beim Schreiner gewesen. Bretter gab es genug, aber es musste wie ein Boot geformt sein: Vorne recht spitz und nicht allzu schwer, um es auch leicht lenken zu können. Und dann, als sie die Suche fast aufgeben wollte, sah sie das Brettchen an einem alten Gartenzaun. Eigentlich war es ein Stück vom alten Zaun und hing nur noch an einer kleinen Holzfaser fest. Es genügte ein kleiner Ruck – und schon lag es in der Rinne; Die Maus obendrauf und los ging`s.

 

Hm, ihr wollt bestimmt wissen, wer hier die Hauptrolle spielt, oder? Es ist Paul, eine Maus, die in der Stadt lebt. Und wenn man Paul beschreiben sollte, so würde man sagen: Sie ist klein, flink, lebenslustig und pfiffig; Den anderen Tieren in der Stadt immer um eine Nasenlängen voraus. Denn eines ist sicher: Die Idee, mit dem Brett durch die Rinnen zu sausen hatte noch kein anderes Tier aus der Stadt gehabt!

 

Aber nun zurück zur Geschichte:

Paul begann seine Fahrt also von der Stelle aus, wo er sein Brettchen hatte. Ohne ein bestimmtes Ziel trieb er von Straße zu Straße, von Häuserblock zu Häuserblock. Damit er die Kurven besser fahren konnte, nahm Paul einfach seinen Mäuseschwanz, den er einfach in das Wasser steckte und so als Ruder benutzt! Auf diese Art konnte er recht gut steuern, wenn... wenn die Fahrt nicht noch schneller wird! Aber Paul war JETZT bestimmt schon so schnell wie Oma Hedwig mit ihrem alten Fahrrad. Und ob nun Paul wollte oder nicht, steuerte er unaufhaltsam seinem Abenteuer entgegen...

 

Nach und nach nahm also Pauls Boot immer mehr Fahrt auf. Da! Die nächste Kurve! Und zack, da schon die Nächste!

 

Phu ...  knapp schoss die Maus mit ihrem Brettchen an einem dicken Stein vorbei. Das wäre fast schief gegangen. Nicht auszudenken was passiert wäre...  Aber darüber nachzudenken hatte Paul keine Zeit, denn da war auch schon die nächste Kurve und mitten in der Kurve überholte er auch sogar noch eine dicke braune Kakautüte! Was zunächst als harmlose Fahrt begann, war mittlerweile zu einer waghalsigen, rasanten Fahrt geworden. Das Wasser spritzte, sprudelte und schäumte wie wild und Paul war inzwischen schon ganz nass.

Höchst gefährlich schwankte das kleine Boot auf dem schäumenden schmutzig-braunen Wasser und Paul hatte manchmal Mühe, sich mit seinen scharfen Krallen im weichen Holz festzuhalten damit er nicht im Wasser landete. Und dann, urplötzlich war alles still! Die gefürchtete Ruhe vor dem Sturm trat ein. Sein Herz klopfte wild, als er sah, auf was er da irre schnell zutrieb!

 

War das wahr, was er da sah? Paul rieb sich seine Augen, um den Traum zu vertreiben. Aber es war kein Traum. Paul steuerte genau auf einen gigantischen Tunnel zu! Es war wie der Eingang zur Unterwelt!

Damit hatte er nicht gerechnet! Unaufhaltsam trieb Paul mitten auf dem reißenden Strom und er versuchte alles, um die Fahrt zu stoppen. Aber ohne richtiges Steuer war das nicht möglich. Und auch wenn er ein richtiges Boot gehabt hätte, wäre anhalten unmöglich gewesen. Und so schoss er schnell wie ein Pfeil in den Kanal hinein und wurde dann von der Dunkelheit einfach verschluckt.

 

2 – Im Kanal

Nachdem Paul ohnmächtig zusehen musste, wie er von dem Tunnel wie magisch hineingezogen wurde, arbeitete sein Verstand mit Höchstleistung. Seine Sinne zum Tasten und Riechen war in den Alarmzustand versetzt. Dadurch konnte er nun besser fühlen und riechen und das war wichtig, um zu überleben. So manche böse Überraschung hatte er im Dunkeln überlebt, weil er genau dies konnte.

 

Als sich seine Augen an die Dunkelheit angepasst hatte, suchte er nach einer Möglichkeit die Fahrt zu stoppen. Doch er musste erkennen, dass dies im Moment nicht möglich war.

 

Als er kurz zurücksah, sah er noch einmal das Tageslicht als schwachen Lichtpunkt und dann war auch der nicht mehr zu sehen. Völlige Dunkelheit umschloss Paul und er war nun ganz auf sich allein gestellt.

Ab JETZT, das wusste Paul, ging es nur noch in eine Richtung: Zusammen mit dem Strom weiter Richtung Süden. Raus aus der Stadt. Mehr wusste er nicht. Er wusste nicht, wie lange er unterwegs sein würde, noch wo er rauskommen würde – wenn er überhaupt noch mal das Tageslicht je wieder sehen würde.

 

„Nein,“ so entschied er, „jammern hat keinen Zweck, denn das macht eine verzwickte Sache nicht einfacher.“ Kaum hatte er das gedacht, merkte er, wie sein Mut zunahm. Er straffte seine Schultern und stand aufrecht da und blickte unbeirrt nach vorne.

„Okay, da habe ich wohl nicht aufgepasst. Aber passiert ist passiert. Ich werde das Beste daraus machen!“ dachte er gelassen. Und dann dachte er an sein größtes Vorbild und den alle einfach nur Onkel Fritz nannten und an den er sich noch gut erinnern konnte. Was hätte er wohl an seiner Stelle getan? Und dann gab er sich selbst eine Antwort auf die Frage:

 

Abwarten und sehen, wohin dieser Weg führt!
        Mit dem Schlechtesten rechnen und das Beste hoffen!

 

Und so trieb Paul in völliger Dunkelheit den Kanal entlang. Mal ging es schnell, mal langsam, mal spritzte öliges Wasser hoch und klebte an seinem Fell. An vielen Stellen tropfe es kalt von der Decke und klatschte ihm eiskalt ins Gesicht. Es roch nach Abfällen. Essensreste mischten sich in den Geruch von Verfaultem. Manchmal trieb er mitten auf einem riesigen Unterwassersee. Das waren Sammelstellen für Wasser von den Straßen und von überall schoss es aus Röhren wie ein Wasserfall von oben herab. Paul musste höllisch aufpassen, dass er nicht unter so einen tosenden Wasserfall oder in dessen gefährlichen Sog geriet, der alles gnadenlos in die Tiefe zog.

Doch Paul hatte Glück, denn inzwischen hatte er einen Plastiklöffel als Ruder genommen und damit konnte er sehr geschickt lenken. Wie er daran kam, wusste Paul auch nicht mehr so genau. Irgendwann hatte sich der Löffel quer auf sein Bötchen gelegt und Paul hat sofort danach gegriffen und ihn seitdem nicht mehr losgelassen. Gekonnt steuerte Paul damit um jedes Hindernis herum.

 

Kaum hatte Paul den See hinter sich gelassen, als er wieder in einen schnellen, schmalen Tunnel hineintrieb, der ihn immer weiter von der Stadt wegführte. Manchmal sah Paul, wie an den Seiten leuchtende rote oder grüne Augen in der Dunkelheit aufblitzten.

„Alles Jäger der Dunkelheit“ flüsterte er leise. „Hm, manchmal ist es besser, wenn man nicht so gut sehen kann“, dachte er, denn er wusste aus Erfahrung, dass nicht jeder der ihm hier begegnet ein Freund war. Und so war er froh, dass die Dunkelheit Freund und Feind zugleich sein konnte. Und er hatte einen Vorteil: Solange er sich bewegte, also mit seinem Boot ständig in Fahrt war, war er keine einfache Beute, die man schnell packen und dann verspeisen konnte!

 

So verging Stunde um Stunde und die Fahrt nahm immer noch kein Ende. Dass es inzwischen draußen Nacht war, bekam die kleine Maus gar nicht mit. Denn seitdem sie im Kanal trieb, hatte sie die Sonne nicht mehr gesehen. Das war schon eine Ewigkeit her und mittlerweile bekam Paul auch noch Hunger.

„Ich werde mich ein wenig ausruhen. Dann sehe ich weiter!“ dachte er und legte sich vorsichtig auf das Brettchen. Und ehe er sich versah, war er auch schon tief und fest eingeschlafen. Und kein Krach der Welt hätte Paul aufwecken können.

 

Und so trieb er entlang des Kanals immer dem Strom folgend mitten hinein in das größte Abenteuer seines Lebens!

3 – Endlich an Land

Während also Paul tief und fest schlief, trieb er auf seinem Brettchen Kilometer um Kilometer durch die Unterwelt. Vorbei an scharfen Ecken und Kanten die er wie durch ein Wunder ohne Schiffbruch passierte. Und irgendwie, auf geheimnisvolle Weise trieb Paul auf richtigem Kurs einem Ausweg entgegen. Wäre Paul wach gewesen, hätte er den kleinen Lichtstrahl vielleicht gesehen. Und einige Zeit später hätte er dann bestimmt gejubelt, denn es war ein richtiger Ausgang, wo das Wasser sanft in einem Bach mündete. Rechts und links des Baches säumten saftige Wiesen den Bachfluss, Forellen begleiteten kurzzeitig das kleine Boot. Aber von all dem bekam Paul nichts mit.

 

Durch einen Ruck wurde Paul unsanft geweckt. Er öffnete seine Augen und blinzelte ins Tageslicht. Heller Tag. Die Sonne stand hoch am Himmel und es musste so ungefähr um die Mittagszeit sein. Es war schon sehr heiß, denn schließlich war ja Sommeranfang.

 

Pauls Boot hatte sich in einem Baum verfangen dessen großer Ast weit in den Bach hinein ragte. Wo war er denn hier gelandet? Etwa mitten im Niemandsland???

 

„Was tun?“ frug sich Paul.

„An besten ist es, wenn ich an dem Ast hochklettern und erst mir erst einmal von oben ansehen, wo ich gelandet bin“, plante er und flink kletterte er den Ast hinauf und ohne nachzudenken von Ast zu Ast bis auf den höchsten Zweig des Baumes.

 

„Ohh, ist das schön hier“ murmelte er.

„Da... und da... solche Tiere habe ich noch nie gesehen!“

Die kleine Maus kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn sie war schließlich eine Stadtmaus und diese hatte sie noch nie verlassen!

 

Paul kannte nur die Stadt mir ihren Menschen und Maschinen und Motoren. Laut, hektisch, gefährlich und alle und alles war immer nur in Eile; Jeder hatte es eilig, niemand nahm sich die Zeit, einmal die Schönheiten der Natur zu betrachten: So etwas Schönes wie ein Spinnennetz im Morgentau...

 

Zum ersten Mal in seinem jungen Leben hörte er, wie die Vögel sangen: Amseln, Drosseln, Fink und Star trillerten und pfiffen um die Wette. Ein Zaunkönig mit seinem fröhlichen Geschnatter sang hell und klar sein Lied für seine Liebste.

Paul sah jede Art von Schmetterlingen und bunte Wiesen so weit das Auge reichte. Es roch herrlich nach frischem Gras, nach den Blüten der verschiedenen Hecken und Sträucher. Fremde Gerüche, die er überhaupt nicht kannte, mischten sich in den Duft herrlicher Blütendüfte.

Von all dem war die kleine Maus so ergriffen, dass sie alles um sich herum vergaß und nur noch staunen konnte über so viel Schönheit.

4 – der neue Freund

 

„He du, was machst du auf meinem Lieblingsbaum?“

Eschrocken fuhr die kleine Maus herum. Ohne dass sie etwas merkte, hatte sich von hinten eine kleine Feldmaus genähert blickt sie nun keck an.

„Halloooo, nun starr mich nicht so an! Ich habe dich etwas gefragt. Kannst du nicht reden?“

„Huch, wie bbitte?“ stotterte Paul etwas überrascht „ ... ich wusste nicht, dass es DEIN Baum ist. Schließlich stand kein Schild dran!“ konterte Paul.

 

„Da hast du Recht!“, sagte die Feldmaus und nickte dabei mit dem Kopf wie zur Bestätigung. Und nach einer kleinen Pause: „Ich heiße Theo. Und du?“

„Paul. Ich wollte nur sehen...“

 

„Du kommst wohl aus der Stadt, oder?“

„Ja. Woher weißt du das?“

„Na erstens würde ich dich sonst kennen und zweitens hält sich keiner den ich kenne an seinem eigenen Schwänzchen fest, wenn er Angst hat vom Baum zu fallen.

Wenn du dich festhalten möchtest, dann wäre doch wohl der kleine Ast neben besser geeignet, oder?“

Verschmitzt grinst Theo seine neue Bekanntschaft an und schaute dann mit gespieltem Ernst Paul an.

Es dauert nur kurz, dann breitete sich ein Grinsen auf den Gesichtern der beiden aus und dann konnten sie sich nicht länger halten und lachten, bis ihnen Tränen übers Gesicht rannten und ihnen ihr Bauch vor Lachen weh tat.

“Ha ha ha, hi hi hi”, giggerten beide.

„Okay, okay Paul“, sagte Theo, „Ich finde dich wirklich nett. Sag mal, willst du mein Freund sein?“

„Ja, sehr gerne,“ antwortete Paul. „Genau das gleiche wollte ich dich auch gerade fragen“ sagte Paul und streckte zur Besiegelung Theo die Hand entgegen.

 

Genau in dem Augenblick, als sie sich die Hände schüttelten, knurrte der Magen von Paul so laut, dass Theo ihn erschrocken ansah, die Hand losließ und einen kleinen Satz rückwärts machte.

„Entschuldige“, sagte Paul, „Ich habe seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen.

„Dann nichts wie hin zum Bauer Kurt“ rief Theo, „Es ist sowieso Mittag und Essenszeit. Komm mit, renn einfach hinter mir her!“

 

Und ehe sich Paul versah, war Theo schon den Baumstamm hinuntergeflitzt und rannte den Feldweg entlang. Paul rannte so schnell erkonnte hinter Theo her, und konnte immer gerade noch so erkennen, hinter welcher Biegung Theo verschwand.

Etwas außer Puste kam Paul am Weidezaum an, wo Theo schon längst auf ihn wartete.

„Was ist los? Keine Puste?“, frug Theo freundlich.

„Kann man so sagen,“ japste Paul, „ich bin es nicht gewohnt SO LANGE und so schnell zu laufen nur, damit ich mein Essen bekomme. In der Stadt renne ich meist nur kurze Strecken. „

„Na, dann pass bloß auf, dass dich die Katze nicht erwischt. Für die musst du schön schnell sein! Sonst hat sie dich erwischt! Übrigens hört sie auf den niedlichen Namen „Mucki.“ Aber nimm dich vor ihr in Acht. Sie ist ein gefährliches Biest!“

 

Paul erklärte Theo, wie es in der Stadt ist: „Die Tiere in der Stadt lebten meist davon, dass die Menschen ihnen ihr Futter gaben, oder sie lebten von dem, was die Menschen wegwarfen. Und in der Stadt gab es sehr viele Reste und es war immer mehr als genug für alle da.“

 

„Aber auf dem Lande ist das etwas anders. Die Tiere müssen sich ihr Futter selbst verdienen. Das ist das Gesetz der Natur: Fressen und gefressen werden.

 

Und Katzen jagen hier die Mäuse!“, sagte Theo mit ernstem Gesicht.

 

„Puh,“ dachte Paul „das kann ja heiter werden. Ob Mucki so schnell ist, wie der fette Kater vom roten Backsteinhaus aus der Stadt“?

„Ich werde höllisch gut aufpassen, damit ich nicht erlebe, wie schnell die Katze hinter MIR herrennt!“ schwor sich Paul.

 

Was Paul allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: GENAU DAS würde noch passieren!

5- In der Kornkammer

 

Theo und Paul kamen unbemerkt bis zum großen Scheunentor. Es war verschlossen, aber das schien Theo nicht zu kümmern. Er steuerte unbeirrt auf den kleinen Busch zu, der dicht an der Mauer der Scheune wuchs und verschwand darin. Verdutzt schlüpfte Paul hinterher und sah, dass dort fleißige Pfoten einen Tunnel geschaffen hatten, den man hier nicht so leicht entdecken konnte. Der Tunnel führte tief unterhalb des Mauerwerkes durch und dann, nach wenigen Schritten wieder steil bergauf.

Oben angekommen, wurde Paul plötzlich bewusst, dass sich völlig auf seinen neuen Freund verlassen hatte: Er war ihm - ohne nachzudenken - blind gefolgt und schließlich hier gelandet. Aber WO WAREN SIE HIER ÜBERHAUPT?

 

Es herrschte ein diffuses Licht und Paul erkannte, dass er für sein Futter nicht weit gehen musste, denn sie waren in der Kornkammer gelandet!

Einige Schritte vor ihnen lag ein prall gefüllter Sack aus dem an einem Riss unentwegt Korn rieselte.

 

Theo war schon längst dort angelangt und verspeiste genüsslich ein Korn nach den anderen.

„Was ist?“, frug Theo mit vollem Mund, „hast du keinen Hunger mehr?“

„Oh, doch, den habe ich wohl noch. Es riecht auch sehr lecker. Aber was ist das, was du gerade futterst?“ frug Paul skeptisch.

„Was, sag nur du kennst kein Korn?“

„Ja und nein“ erwiderte Paul, „es ist nur so, dass ich noch nie welches gegessen was so lecker riecht.“

 

„Alles klar,“ sagte Theo „Ich zeige dir gerne alles. Schau mal: Das hier ist Korn. Und zwar frisch geschnittenes Korn. Reifes Korn erkennst du an der leicht braunen Farbe. Aber was viel wichtiger ist: Du erkennst es immer am Geruch. Hier, riech mal“ sagte er hielt es Paul unter die Nase.

Paul schnüffelte mehrmals kurz an dem Korn und prägte sich so den Geruch genau ein. Den würde er nie mehr vergessen. Ganz bestimmt nicht.

Theo hatte sich längst wieder dem Essen zugewandt und Paul schaute noch einen Augenblick fasziniert zu wie Theo langsam und genüsslich weitere Körner knabberte.

Endlich fiel ihm ein, WAS hier anders war als in der Stadt:

Paul aß so langsam, als hätte er alle Zeit der Welt! Anders, als er und alle anderen Tiere in der Stadt. Dort musste man immer sehen, dass man das Essen schnell in sich hineinstopfte, ehe ein stärkeres Tier kam und einem das Essen wegnahm. Und dass, obwohl es genug für alle gab.

Aber hier brauchte er davor keine Angst zu haben. Hier würde ihm das Essen keiner wegnehmen. Jedenfalls Theo bestimmt nicht!

 

 

Und dann biss er in sein erstes Korn hinein und schmatzte laut dabei.

So verschwand langsam ein Korn nach dem anderen in den Mägen der beiden Feinschmecker. Als sie satt waren, hatten beide kleine Bäuche und konnten nicht mehr pieps sagen.

„Ui, war das gut“, sagte Paul. „So etwas leckeres habe ich noch nie gegessen!“

„Ja, wenn du hierbleibst, kannst du das und viele andere leckere Sachen jeden Tag haben“, sagte Theo. „Garantiert alles immer frisch!“

 

Daran hatte Paul noch nicht gedacht. Eigentlich wusste er immer noch nicht, wo er war und wie weit es zurück zur Stadt war.

„Und,“ so dachte er weiter, „falls ich hierbleibe: So schnell vermisst mich keiner.“ Paul hatte keine Eltern mehr und seine Geschwister hatten sehr früh ihre Kinderstube verlassen und lebten irgendwo in alle Winde verstreut. Paul lebte also allein. Und dann dachte er daran, dass er so einen Freund wie Theo bisher noch nie kennen gelernt hatte.

 

Wenn er erst einmal einfach hierbleiben würde, wäre das eine gute Entscheidung. Paul wollte diese Entscheidung aber erst einmal überschlafen. Aber erst musste er einmal wissen, WO er denn hier war.

6 – Kein Weg mehr zurück?

 

„Theo, mein Freund, sag mal, weit ist denn die Stadt von hier weg?“, frug Paul.

 

„Oh, schade. Willst du denn schon wieder zurück? Du bist doch gerade erst gekommen“ sagte Theo etwas enttäuscht, denn er hatte Angst, seinen neuen Freund zu verlieren.

„Nein, nein, ich bleibe noch“ sagte Paul schnell als er merkte, wie berührt Theo war.

 

„Also, du wenn du zurück möchtest, dann bist du lange, sehr sehr lange unterwegs. Ich weiß es nicht genau, aber zu Fuß wären das schon einige Tage!

Das ist aber noch der einfache Teil deiner Reise. Aber VORHER, kurz nach dem Wald, musst du über das FELD!“ Dabei sah Theo sehr ängstlich aus als er das sagte.

 

„Was ist denn so schlimm an dem Feld?“ frug Paul und bemühte sich, seinen Freund nicht weiter zu verängstigen.

„Das Feld, das Feld wird von einen BUSSARD, von einem MÄUSEBUSSARD bewacht! Es ist sein Jagdrevier. Noch nicht einmal die EULE würde dort jagen!

Und dann so weit das Auge reicht ist weit und breit keine Deckung, kein Baum, kein Strauch kein Stein, nichts wo du dich vor dem Jäger verstecken kannst. Es ist nicht zu schaffen unentdeckt darüber zu laufen. Und das, ist nur ein Teil der Gefahren.

 

„Und was ist der andere Teil? Mach es doch nicht so spannend!“

„Und wenn du denkst, es ging nachts besser, dann erwischt dich ganz bestimmt MUCKI. Denn die jagt dort jede Nacht!

Glaube mir. Niemand hat es je geschafft, heil in die Stadt zu kommen. Sie wurden alle entweder vom Bussard oder von der Katze erwischt!“

„Und woher willst du wissen, ob es nicht jemand in die Stadt geschafft hat?“ frug Paul, nachdem er eine kleine Weile gegrübelt hatte.

„Glaub mir, wenn es jemand geschafft hätte, hätte Benno der Hund uns das schon gesagt. Denn der wird vom Bauer schon mal mit in die Stadt genommen!“

Nachdem Theo dies gesagt hatte, war es still geworden in der Scheune. Sogar das Korn rutschte nicht weiter aus dem Sack. Es war totenstill.

„Das hörte sich nicht gut an“, dachte Paul.

Und es sah so aus, als müsste er sich auf dem Land häuslich einrichten.

„Aber“, so dachte Paul dann zufrieden „ich habe einen guten Freund gewonnen. Er wird mir schon beibringen, was ich alles wissen muss, damit ich auf dem Lande zurechtkomme.“

7 – Am nächsten Tag

Zunächst glaubt Paul, er würde träumen merkte aber dann, dass der schreckliche Schrei echt war. Ein Schrei der durch Mark und Bein ging.

„Das ist der stolze Peter.“ Verwirrt schaute Paul zu Theo hoch.

„Na, Peter, der Hahn des Hofs. Den kennt hier jeder. Du wirst ihn noch früh genug kennen lernen.“, sagte Theo. „Komm, es ist Zeit fürs Frühstück!“, rief Theo vergnügt.

 

„Ich bin gespannt, was es leckeres gibt“, sagte Paul. „Aber vorher möchte ich waschen. Wo ...

„Gerade über den Hof, rechts von der Pferdebox ist der Karpfenteich. Es gibt dort eine seichte Stelle, die ist leicht zu finden. An der kannst du bequem ins Wasser gehen.“

 

„Komisch“, dachte Paul, „Theo scheint schon vorher zu wissen, was ich fragen möchte. So etwas kann wohl nur ein echter Freund!“

 

Das Scheunentor stand einen Spalt offen. Sehr früh am Morgen war der Bauer Kurt in die Scheune gekommen und hatte wohl vergessen es wieder zu schließen. Doch davon hatte die beiden nichts mitbekommen. Sie hatten sich für die Nacht in der hintersten Ecke der Scheune gemütlich eingerichtet und noch lange über dies und das gesprochen. Und dabei hatte Paul alles über das Leben auf dem Lande wissen wollen und irgendwann sind sie dann eingeschlafen

 

Vorsichtig schaute Paul über den Hof. Er wusste noch, wie eindringlich ihn Theo gestern vor der Katze gewarnt hatte.

„Sei vorsichtig“, mahnte Theo wie auf Kommando, „Ich sorge inzwischen für unser Frühstück.“

Paul schaute noch mal nach links und dann nach rechts. Von der Katze war nichts zu sehen. Auch sonst war keine Gefahr zu erkennen. Und so machte er sich auf den Weg zum Teich, um sich zu waschen.

Auf dem Misthaufen sah er ein merkwürdiges Tier: Voller Federn und mit einem roten Bart am Kinn.

„Das muss Peter der Hahn sein“, dachte Paul. „Am besten ist es, wenn er mich nicht sieht“.

So schnell und so leise er konnte, flitze er über den Hof. Immer darauf achtend, dass ihn keiner sah und er Gefahren früh genug erkannte.

Unbemerkt kam Paul an den Teich. Schnell fand er die flache Stelle von der Theo gesprochen hatte und schon stand er im Wasser. Es war warm und roch frisch. „Der Regen hat wohl dafür gesorgt, dass es so frisch richt“, dachte er und gurgelte den Mund aus. Hoch am Himmel strahlte die Sonne hell und warm, so dass das Fell sofort trocknete.

Paul war so mit seiner Reinigung beschäftigt, dass er nicht bemerkte, wie er von zwei grüngelben Augen heimtückisch aus dem nahen Dickicht beobachtet wurde. Es war Mucki die Katze die Paul schon lange beobachtete. Aus den Augen blitzte eiskalt Mordlust.

Sie hatte die ganze Nacht vergeblich auf Beute gelauert. Jetzt war sie zurück und hatte sehr schlechte Laune, war hungrig und lies Paul keinen Augenblick unbeobachtet. Bereit, jeder Zeit schnell und unbarmherzig zu töten lauert sie auf die richtige Gelegenheit...

8 – Im Visier des Feindes

Nichtsahnend von der Gefahr, in der sich Paul befand, schlenderte er über den Hof; Vorbei an Peter dem Hahn, den er mit kurzem Nicken begrüßte; Dieser tat so, als würde er Paul nicht sehen. Mit stolz erhobenem Kopf stand er auf dem Misthaufen und glaubt, die ganze Welt hätte IHN so grüßen, wie man sonst nur einem König ehren würde.

„Nur ein kurzes Nicken“? dachte er. Nein, das war unter seiner Würde und so beschloss er, so zu tun, als hätte er die Maus nicht gesehen oder noch besser: Als hätte sie nur vergessen zu grüßen. Damit konnte er leben!

Als Paul den Hof zu Hälfte überquert hatte, sah er, dass Theo vor dem Scheunentor stand und wie verrückt winkte und auf und ab hüpfte.

„Was hat er wohl?“, dachte Paul, „Warum winkt er denn wie verrückt?“ Noch immer ahnte Paul nicht, in welcher Gefahr er schwebte. Hätte er sich umgedreht, hätte er gesehen, dass die Katze nur noch wenige Schritte hinter ihn war. Mit ein, zwei Sätzen hätte die Katze Paul erreicht und ihre tödlichen Zähne hätten sich in sein Fell gebohrt und seinem Leben ein jähes Ende bereitet.

Paul war kurz vor dem Scheunentor, also FAST in Sicherheit, als er hinter sich ein plötzlich ein Geräusch hörte. Es war ein fürchterliches Zischen und Fauchen. Paul lief es eiskalt den Rücken runter. Gleichzeitig, wie in Zeitlupe sah er, wie Theo blitzschnell in der Scheune verschwand.

Verwirrt und wie gelähmt vor Angst sah er, wie ein riesiger Kopf auf ihn zuraste, mit unglaublicher Schnelligkeit und absolut tödlich. Paul sah in ein weit aufgerissenes Maul mit einer Reihe spitzer blitzender Zähne, scharf wie Messerklingen.

Das Nächste, was Paul noch wahrnahm, waren die vor Mordlust glitzernden Augen, denen nicht die kleinste Bewegung entging.

Paul versuchte durch eine kurze Bewegung nach rechts zu entkommen, doch die Mörderaugen folgten ihm. Und nicht nur das! In genau dem gleichen Moment, wo Paul versuchte nach rechts zu entkommen, folgte die Katze exakt seiner Bewegung und    kam immer näher. Paul versuchte es nun mit der anderen Seite. Doch hier genau das gleiche. Die Katze folgte jeder kleinsten Bewegung von Paul. Eine Flucht schien unmöglich!

 

Kurz bevor die Katze Paul erreichte, stoppte die Katze ihren Lauf und ... machte sich zum tödlichen Sprung bereit. Sie fauchte kurz und Paul schlug schon ihr Atem entgegen.

Das alles nahm Paul wahr; Jedoch war er mittlerweile so starr vor Angst, dass er sich nur noch, wie in Zeitlupe bewegte.

 

Und dann, wie eine gespannte Feder schoss die Katze mit einem mächtigen Satz auf Paul zu. Unbeirrt und mit geübten Bewegungen fuhr sie gleichzeitig ihre messerscharfen Krallen aus. Es waren lange tödliche Nadeln, die schon vielen den Gar ausgemacht hatten.

 

Es konnte nur noch einen winzigen Atemzug dauern, bis die Krallen die Maus erwischen würde. Dann wäre es um Paul geschehen. Nichts konnte die Katze jetzt noch davon abhalten, sich ihre Beute zu greifen. Jetzt konnte nur noch ein Wunder Paul aus der tödlichen Falle retten!

 

Unaufhaltsam kam die Katze Paul immer näher und Paul wehte schon der üble Geruch des Todes entgegen! Er schien schon zu fühlen, wie sich die Krallen in sein kleines Fell bohrten und dann stand die Zeit still. Paul schloss die Augen und machte sich auf ein grausames Ende gefasst...

9 – Rettung in letzter Sekunde

Und genau in dem Augenblick, als Paul glaubte, nun sterben zu müssen, geschah das Wunder!!!!

Das Wunder hieß Benno, bewegte sich auf vier Pfoten und hatte ein zotteliges Fell.

Es war Benno der Hofhund der sich im allerletzten, entscheidenden Augenblick in das Schicksal einmischte.

 

Doch wieso tat er das? Und wie hatte Benno überhaupt davon gewusst? Fragen über Fragen. Doch nun erst einmal der Reihe nach.

 

Mucki war so auf die Jagd fixiert, dass sie nichts anderes sah als ihre Beute. Und Paul so auf die Katze fixiert, dass er ebenfalls nichts mehr von seiner Umwelt mitbekam.

 

Als Theo vorhin blitzschnell in der Scheune verschwand, flitzte er durch ein Loch auf der anderen Seite wieder raus. In Rekordzeit war er bei Benno. Da Benno und Theo sich schon lange kannten brauchte Theo nicht viel Worte, um zu erklären, in welch gefährlicher Lage sich Paul befand.

Ohne zu überlegen, sprang Benno auf, sofort in Richtung Mucki und Paul. Fast schien es so, als hätte Benno für die Strecke nur einen gewaltigen Satz gebraucht.

Und so kam es, dass Benno wie aus dem Nichts zwischen Paul und Mucki stand und äußerst bedrohlich in Richtung Katze knurrte und laut bellte.

Das war zu viel für Mucki: „Meine Pechsträhne reißt heute nicht mehr ab“, dachte sie verbittert. „Die ganze Nacht auf den Beinen und nichts gefangen. Und nun, statt einem vollen Magen, lande ich gleich im Dreck!“

Aber noch mitten im Sprung machte sie eine blitzschnelle Drehung nach rechts und verschwand dann mit zwei, drei großen Sprüngen hinter dem Heuballen. Zurück blieb ein verdutzter Paul und Benno der Hofhund, der nun sehr freundlich Paul anhechelte.

Paul konnte es noch gar nicht glauben. Er war gerettet!

 

Fortsetzung folgt...

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.10.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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