André Aeberhard

Schön zu sein bedarf es wenig....

Eine wahre Begebenheit aus der Münchner Schickeria, nach Jet, dem Anwalt der Armen und Rechtlosen.

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Grazia Antonella Moosleitner hatte noch nie in ihrem Leben ernsthaft gearbeitet. Die attraktive Mittvierzigerin hatte in jungen Jahren die Kunstgewerbeschule in München besucht und sich danach erfolglos bemüht, profanen Gebrauchsgegenständen ein neues Design zu verpassen . Doch weder ihr futuristisch gestalteter WC-Deckel, noch ihre abstrusen Badezimmerarmaturen fanden je Abnehmer, geschweige denn ihren erträumten Weg auf den Weltmarkt. Ganz anders im privaten Umfeld. Es gelang Grazia A., unter all ihren Verehrern, den reichsten zu becircen und für sich zu gewinnen. So wurde sie mit dreissig Jahren die Frau des um gut zwanzig Jahre älteren Moosleitners, einem einflussreichen Baulöwen in der bayrischen Metropole. Die Hochzeit wurde damals von der Klatsch-Presse ganz gross herausgebracht. Besonders bewundert von den Damen der Gesellschaft wurde Grazia’s bezauberndes Brautkleid von Armani. Sie sah wirklich hinreissend aus! – Noch heute, wenn Grazia Antonella in ihrem Boudoir sass, betrachtete sie oft melancholisch ihre Hochzeitfotos . Eine leise Wehmut erfasste sie, wenn sie ihrer inzwischen verblassten Ausstrahlung jener Tage nachtrauterte.

Das Ebenbild, welches ihr heute aus dem Spiegel entgegenblickte, stürzte sie in schwere Depressionen. Die kleine Fältchen an den Mundwinkeln, die Krähenfüsse um die Augen und dann diese alternde Halspartie! Es musste etwas geschehen. - Und es geschah etwas! Grazia Antonella begab sich zu einem der bekanntesten Schönheits-Chirurgen der Stadt. Der Arzt verstand es, auf die Anliegen und Sorgen der Damen einzugehen. Gemeinsam wurde für eine erste Verjüngungsphase der Arbeitsplan festgelegt. Die Lippen mussten aufgespritzt werden, mit einer kleinen Operation sollte der Augenpartie neuer Glanz verliehen werden. Und so sass Grazia A. abwechslungsweise, bald bei ihrem Schönheits-Guru, um immer neue Korrekturen an sich vornehmen zu lassen, bald verweilte sie wochenlang zu Kur im fernen Bad Ischl, wo sie hoffte, keine ihrer Bekannten aus der Münchner Schickeria anzutreffen. Wenn sie zwischendurch wieder einmal in der ehelichen Wohnung am Starnberger See wohnte und in ihrem Boudoir vor dem Spiegel sass, wurde sie traurig und zornig, denn das Resultat gefiel ihr ganz und gar nicht.
„Schönheit muss leiden“, war in ihren Kreisen ein geflügeltes Wort. Sie war fest entschlossen: die Brüste mussten neu geformt werden, Silicon sollte helfen. Dann die Oberschenkel: das Fett der „Reiterhosen“ musste abgesaugt werden und schliesslich sollten auch die bisher verschonten Partien fachmännisch geliftet und aufepeppt werden. Geld hatte schliesslich bei Moosleitner’s noch nie eine Rolle gespielt und Grazia’s Gatte ertrug gönnerhaft die extravaganten Launen seiner Gemahlin.

Nach dieser Tortur riet ihr der Haus-Psychologe zu einer längeren Seereise. Die Sonne, das maritime Ambiente und die frische Luft würden ihr guttun – vor allem die frische Luft!! Und so begab sich Grazia Antonella Moosleitner im Mai des Jahres 1986 in Triest an Bord der Luxus-Yacht „Recover“ und hoffte sich zu erholen und wieder zu sich zu finden. In den ersten Tage auf See fühlte sie sich auch etwas besser, denn auf dem Beauty-Liner waren Spiegel verboten – das gehörte zum Heilungskonzept.

Dennoch unter der adriatischen Sonne begann die geschundene Haut von Grazia A. zu rebellieren. Sie wurde spröde und entlang der Narben vergangener Operationen bildeten sich rote, entzündete Furchen. Es begann sie am ganzen Leib zu jucken und zu zwicken. Sie wäre am liebsten aus der Haut gefahren. Stetig verschlechtere sich der Zustand der Moosleitnerin und auch die Spannungen im Silicon-Busen trieben sie fast zum Wahnsinn. Auf der Reise durch den Suezkanal geriet das Schiff in einen Sandsturm. Grazia, welche nicht schnell genug von

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Deck in die Kajüte verschwand, wurde sozusagen sandgestrahlt. Die daraus resultierenden Entzündungen verschlimmerten sich zusehends und in Port Suëz zeigten sich erste Symptome von Sepsis, welche die Motorik von Grazia Antonella beeinträchtigten. Dennoch beschloss der Kapitän voerst die Reise, mit Ziel Seychellen, fortzusetzen. Dort, so hofften alle, würde das Klima alles wieder richten und der Zustand von der Moosleitnerin sich wieder verbessern.

Leider sollte es anders kommen. Mitten im Roten Meer, mit Kurs auf den Bab-al-Mandab, setzte eine Lähmung der rechten Gesichtshälfte der Patientin die ganze Crew in helle Aufregung und man beschloss, so rasch als möglich, Aden als Nothafen anzulaufen. Es sollte nicht mehr dazukommen. Ein Sepsis raffte Grazia Antonella Moosleitner dahin. Unter der sengenden Sonne jener Breiten blieb ein rasches, seemännisches Begräbnis. Der Leichnam war stark aufgequollen und die Verwesung setzte bereits ein. In Tüchern, getränkt mit Weihrauch und Myrrhe und beschwert mit einem Shakle der Ankerkette, wurden am 17. Juni 1986 die sterblichen Ueberreste der einst bild-schönen Grazia Antonella der See übergeben.

Wäre in jenen Tagen ein Taucher der Reise der Verblichenen gefolgt, er hätte Seltsames beobachtet. Das Erstaunlichste war, dass selbst die hier sonst sehr gefrässigen Haie den mit Silicon, Antibiotika und Hormonen vollgepumpten Leichnam verschmähten. Schliesslich erbarmte sich ein Krake der Leiche, verdaute sie extra-zellulär und schlürfte sie danach aus. In den Plastik-Schalen der beiden Brust-Implantate leben heute an einem einsamen Strand bei Aseb, im Süden Etritreas, zwei muntere Winker-Krabben.

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Anmerkung des Autors:
- Sepsis: bedeutet „Fäulnis“, landläufig Blutvergiftung. Die meisten Totenscheine sind eigentlich ungenau ausgestellt und viele von uns sterben in Wirklichkeit an Sepsis.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.05.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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