Lydia Windrich
An einem Sonntag im Juni
Piep, piep, piiiieep, der nervtötende Ton des Funkweckers riss Lisa eine junge Frau, 32 Jahre jung, um 5 Uhr an einem Sonntagmorgen im Juni aus dem Schlaf.
Ach, wie gerne wäre Lisa noch ein halbes Stündchen im Bett liegen geblieben, aber die Pflicht rief.
Seit drei Monate fuhr sie mit einem alten VW Bus, einen Verkaufstand im Duisburger Norden die Wochenmärkte an, auf denen ihr Chef einen Standplatz hatte. Dort verkaufte sie dann festverpackte Lebensmittel. Kuchen und Gebäck mit kleinen Schönheitsfehler, kurz zweite Wahl
genannt.
Sonntags fuhr Lisa Trödelmärkte an, wenn diese in der Nähe lagen, um dort die Waren anzubieten.
Müde, die Augen noch halb geschlossen stellte Lisa den störenden Wecker aus. Die Augen noch halb geschlossen schlurfte sie vom Schlafzimmer aus in ihre Küche und stellte die Kaffeemaschine an.
Verschwand anschließend für einige Zeit im Badezimmer um dann frisch gewaschen den noch jungen Tag zu beginnen.
Während Lisa sich anzog lauschte sie aufmerksam dem Wetterbericht. Neunzehn bis zweiundzwanzig Grad, wolkenlos und sonnig, meldete der Wetterfrosch.
Na wunderbar, bei so einem herlichem Wetter werden viele Menschen den Trödelmarkt besuchen,
dachte Lisa.
Trank einen großen Pott Kaffee und war nun fit für den Tag. Den restlichen Kaffee, in die Warmhaltekanne gegossen, das Wechselgeld gezählt, die Summe notiert und alles in die Umhängetasche verstaut und Lisa war startbereit. Von Duisburg - Nord aus an Schornsteine und Hochöfen vorbei ging es weiter Richtung Ruhrort, einen Blick auf den Ruhrorterhafen geworfen, den größten Binnenhafen Europas und weiter ging die Fahrt nach Duisburg –Hochfeld. Einige Häuser, die noch keinen neuen Anstrich bekommen hatten, wiesen mit dem braunrötlichen Farbton, der Hausfassaden, auf die Kupferhütte hin, die hier früher in Betrieb gewesen war und so ihre spuren hinterlassen hatte. So, noch über die Rheinbrücke, an der nächsten Ampelkreuzung links abgebogen und schon war Lisa nach gut einer halben Stunde Fahrzeit in Duisburg -Rheinhausen am Marktplatz, wo der Trödelmarkt statt fand.
Lisa meldete sich beim Veranstalter des Trödelmarktes und dieser wies ihr nach einigem hin und her einen Standplatz zu. Wie immer baute sie den Verkaufstand auf, ordnete die Ware so an das die Leute hoffentlich Appetit auf Kuchen und Gebäck bekamen.
Die großen, nicht zu übersehenden, pinkfarbenen Preisschilder, auf denen mit schwarzer Farben die Angebote geschrieben standen, noch aufgehängt und nun konnte der Betrieb los gehen.
Doch bevor der Trubel los ging schaute Lisa sich ein wenig um. Alt und Neuwaren wurden angeboten Bücher, Textilien, Modeschmuck und Werkzeuge aller Art. Es bestand auch keine Gefahr das jemand verhungerte, oder gar verdurstete, denn Getränkestände und Imbissbuden waren ebenfalls reichlich vorhanden. Ob jung, ob alt, groß oder klein hier war für jeden etwas dabei.
All die verschiedenen Waren, die angeboten wurden waren genauso international wie die Menschen, die in Nord Rhein Westfahlen leben. Langsam füllte sich der Trödelmarkt mit Menschen, die von Stand zu Stand schlenderten hier und dort etwas kauften, oder sich nur umschauten. Andere wiederum feilschten lautstark um jeden Pfennig. Auch das Wetter hielt sich ausnahmsweise mal an die Wettervorhersage für diesen Tag und so war die allgemeine Stimmung gut.
Auch Lisa hatte schon gut verkauft, als um die Mittagszeit ein Mann mittleren Alters, südländischer Typ und dunkeln Schnauzbart, an ihren Stand trat. Sich die Ware anschaute und in gebrochenem Deutsch nach den Preisen fragte.Lisa erklärte dem Herrn , es war ein Gastarbeiter aus der Türkei, die verschiedenen Angebote und nach einigem hin und her hatte der Kunde 7 Teile ausgesucht.
Lisa verpackte die Ware in eine Tragetasche übereichte diese dem Kunden und bat freundlich um 10 Mark. Der Herr zückte seine Geldbörse und zog langsam einen 10 Markschein hervor, wedelte damit herum und meinte: Seine Familie sei groß, und es ginge doch sicher noch ein Teil mehr.
Lisa versuchte dem Kunden zu erklären dass sie nichts dazu geben konnte das, dass Angebot so wie es war schon einfach super sei und in keinem Lebensmittelgeschäft gebe es in dieser Art und Weise ,wie hier direkt Mengenrabatt. Doch der Kunde gab einfach nicht auf. Dieser Mensch war sehr, sehr hartnäckig und fast hätte Lisa ihm einen Kuchen geschenkt, nur um endlich ihre Ruhe zu haben. Das war aber leider nicht möglich. Zu viele Menschen hatten sich bereits vor ihrem Verkaufstand versammelt und lauschten aufmerksam und teilweise schmunzelnd dem Wortgefecht zwischen Lisa und dem Kunden.
Sie hatte das Gefühl, gleich würden die ersten Wetten abgeschlossen, gewinnt der Herr oder die Dame. Sie wusste, wenn sie jetzt nach gab dann hatte sie verloren und alle Leute die sich jetzt vor ihrem Stand tummelten forderten dann auch acht Teile. Und wie, erklärte sie das dann ihrem Chef? Lisa schon arg genervt sprach mit leicht empörtem Tonfall, in der Stimme und die Hände dabei in den Hüften gestemmt:" Glauben sie wirklich ich arbeite aus purem vergnügen an so einem schönen Sonntag Ich habe fünf Kinder zu Hause die immer Hunger haben, dauernd neue Schuhe brauchten und. und............,"weiter kam sie nicht. Der Herr zögerte nun keinen Augenblick mehr, reichte ihr wortlos das Geld, schnappte sich die Warentüte, lächelte ihr freundlich zu und war ruck zuck in der Menschenmenge verschwunden.
Die Stunden gingen dahin Lisa war so gut wie ausverkauft, da stand kurz vor Feierabend plötzlich wieder der ältere türkische Mitbürger vor ihr und sagte in gebrochenem deutsch:“ Wo du so viele Kinder haben, haben meine Frau gekocht eine Suppe und Topf können du behalten.“
Stellte den mittelgroßen alten Topf auf der nun fast leeren Verkaufsfläche ab, dreht sich um und eilte mit schnellen Schritten davon. Schon bei den ersten Worten die der Mann gesprochen hatte, war Lisa die Schamröte ins Gesicht gestiegen.
Ihr Gesicht war puterrot angelaufen und am liebsten wäre sie für immer im Erdboden versunken.Aber, oh weh kein Loch in das sie hätte versinken können tat sich auf. Diesen gefallen tat ihr Mutter Erde nicht und so stand sie da, sprachlos, mit hochrotem Kopf und schaute dem davon eilenden Mann nach.
Tränen der Scham brannten in ihren Augen. Fast feindlich starrte sie den Topf an und schwor bei sich, nie, nie wieder in ihrem Leben, so gedankenlos so etwas zu sagen, Kinder zu erfinden, die sie nicht hatte, nicht ein einziges.
Was nun? Der Mann war fort. Den Topf samt Inhalt konnte sie ihm nicht mehr zurück geben. und den Sachverhalt nicht mehr aufklären.
Drei tagelang aß sie die Suppe, denn einfach weg schütten wäre erst recht ein Frevel gewesen. An diesem Mann und seiner großherzigen Familie, die sie, so schamlos und gedankenlos belogen hatte. Jedes mal, wenn Lisa an diese wahre Geschichte, die an einem Sonntag im Juni geschah, denkt schämt sie sich
immer noch in Grund und Boden.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.11.2005.
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