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Ich will hier versuchen, meinen Lesern zu helfen, sich in der
Vorweihnachtszeit auch etwas auf die kommenden Feiertage
einzustimmen.
Erinnerung an vergangene Weihnachten
Wenn ich die religiöse Bedeutung dieses Festes einmal etwas in den Hintergrund treten lassen darf, dann hat Weihnachten, so wie wir es kennen und feiern, stets in der Hauptsache etwas mit unseren Mitmenschen zu tun - mit den Mitgliedern der eigenen Familie, mit Verwandten, Freunden, Bekannten oder vielleicht auch manchmal mit Unbekannten, deren Weg den unseren zufällig kreuzt.
Insbesondere als Kind steht man diesen Eindrücken des Weihnachtsfestes mit offenem Herzen gegenüber. Im späteren Leben ist es dann oft die Weihnachtszeit, die unsere Gedanken zurückgehen läßt zu vergangenen Festen und zu den Menschen, mit denen wir diese Weihnachten zusammen verlebten.
Aus der Vielzahl der Weihnachten will ich hier jetzt die Erinnerung an einige und an die Menschen die dabei waren zurückrufen:
1930 ...... Aufgeregt kam mein kleiner Bruder angelaufen und flüsterte: "Jetzt ist er da". Zusammen liefen wir an das Fenster nach vorne, dann an das Küchenfenster nach hinten, hörten jedoch von unserer Großmutter, daß der Weihnachtsmann bereits die Nachbarn gerade verlassen hatte und schon wieder unterwegs sei. Also hatten wir ihn wieder verpaßt ......
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1942 ..... Wir waren planmäßig mit unserer Arbeit fertiggeworden - die Zufahrtstraßen und die Gehwege auf dem Gelände des Reichsarbeitsdienst-Kommandos Schleswig-Holstein in Kiel waren vom reichlich gefallenen Schnee so gut es ging befreit. Abends saßen wir dann zusammen und feierten Weihnachten - Hans Sell aus Fockbek, Finke aus Barmbek, ich selbst aus Wandsbek und all die anderen, die auch aus Hamburg oder Schleswig-Holstein kamen. Wir waren zusammen von unserem Arbeitsdienstlager in Ostenfeld bei Husum zu Kurierdiensten hierher nach Kiel abkommandiert. Trotz der kurzen Entfernung für jeden von uns nach Hause, mußten wir auch zu Weihnachten hierbleiben. Deutschland befand sich ja sei drei Jahren im Kriegszustand mit all seinen Nachbarn und da konnte eben nicht jeder zu Hause feiern.
Es wäre dies das letzte Weihnachtsfest zusammen mit meinen Eltern gewesen - Dezember 1942. Niemand in Hamburg konnte damals ahnen, geschweige denn sich vorstellen, was dieser fürchterliche Krieg ein halbes Jahr später anrichten sollte .......
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1947 ..... Bei einer englischen Familie - die Großeltern hatten Besuch von ihren erwachsenen Kindern, die mit den Enkelkindern zu Weihnachten ins Elternhaus gekommen waren - war auch ich als Kriegsgefangener zu Gast. Nach zwei Weihnachten im Lager zusammen mit den Kameraden war ich diesmal, wie viele von uns, einer englischen Familie zugeteilt worden. Eine Gruppe interessierter Leute aus den umliegenden Ortschaften hatten sich zusammengetan und versucht, Weihnachtseinladungen für Kriegsgefangene zu vermitteln.
Wir waren alle zusammen in der Kirche gewesen, hatten zu Abend gegessen und fanden jetzt, ein jeder neben seinem Teller, einen zusammengefalteten Zettel. Dann ging es der Reihe nach. Jeder mußte den Zettel auseinanderfalten und laut vorlesen. Darauf standen in Reime gefaßte Hinweise, wo man ein Geschenk finden würde.
Auch neben meinem Teller lag so sein Zettel: "Gerhard my boy, search near a cue, you will find something there, that's intended for you" (Gerhard, mein Junge, suche in der Nähe eines Billiardstockes, dort wirst du etwas finden, das für dich bestimmt ist). Ich wußte zwar nicht, was ein oder eine "cue" in diesem Fall bedeutete, wurde aber von den um mich sitzenden hilfsbereiten Familienmitgliedern aufgeklärt.
Beim besten Willen kann ich mich heute nicht mehr erinnern, was ich in der Nähe des Billiardstocks fand. Viel wichtiger aber war, mit welchem Verständnis diese Familie einen deutschen Kriegsgefangenen an ihrer Familienfeier zu Weihnachten nicht nur mit teilnehmen ließ, sondern in ihren Kreis aufnahm. Krieg, Gefangenschaft, Feindesland waren jedenfalls während dieser Stunden vergessen.
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1954 ..... Ich hatte mir auch eine Kerze gekauft und befand mich jetzt inmitten vieler Menschen, die in der Dämmerung des ersten Weihnachtstages auf dem Rasen am Torrens River saßen und Weihnachtslieder sangen (Carols by Candle Light). Unweit von mir, auch allein, saß ein blonder junger Mann, mit dem ich ins Gespräch kam. Es war dies mein späterer Freund Oskar, ein Deutscher, der, wie ich, während des Krieges Flugzeugführer gewesen war.
Ich befand mich für einige Tage in Adelaide, der Hauptstadt des Bundeslandes Südaustralien und wohnte in einem Hotel in der Innenstadt. Um Mitternacht war ich allein in der überfüllten anglikanischen Kathedrale gewesen und verlebte jetzt noch den Rest der Zeit in der Stadt, bis ich übermorgen wieder mit dem Zug zurück "aufs Land" fahren mußte. Ich arbeitete auf einer 200 km südöstlich von Adelaide gelegenen Farm.
Oskar erzählte, daß man unter Umständen beim Royal Aero Club die Gelegenheit hätte, mit der Tiger Moth (das waren kleine englische Doppeldecker-Flugzeuge) wieder fliegen zu üben. Das kam mir zwar ziemlich optimistisch vor, ich verabredete jedoch mit ihm, daß ich im kommenden Jahr auch nach Adelaide kommen würde. Dann wollten wir zusammen versuchen, unseren australischen Pilotenschein zu machen - um endlich wieder fliegen zu können.
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1963 ..... "Kommst Du jetzt mit, ein paar Besorgungen machen, Gerhard?" fragte mein Freund und Kollege John Waugh. Wir waren beide Prüfungsleiter bei einer großen südafrikanischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in deren Niederlassung in Durban. Ich war damals Australier und war - inzwischen zusammen mit meiner Frau - von einem Europaurlaub zurückkommend für zwei Jahre in Südafrika geblieben um dort wichtige ausländische Erfahrungen zu sammeln. Es war jetzt der letzte Arbeitstag vor Weihnachten.
In der West Street kauften wir Zigaretten, Tabak, einige Paar Socken und noch andere Sachen. Dann zogen wir mit unseren Einkäufen zu der im oberen Teil des Gebäudes befindlichen Unterkunft der vier schwarzen Wachmänner, wie sie jedes größere Gebäude dort hat. Tagsüber versorgten diese Männer uns in unseren Büros mit Tee und wir kannten sie daher recht gut. Von der Firma hatten sie zwar auch etwas zu Weihnachten bekommen, aber unsere persönlichen Geschenke erfreuten sie doch besonders.
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1970 ..... "Komm Tante Ingrid, laß uns diesen Weg gehen, dann sind wir schneller zu Hause", krähte der kleinste unserer Neffen mit seiner hohen Stimme, als wir auf dem Rückweg aus der Stadt waren und bog zusammen mit meiner Frau in eine Nebenstraße ein.
Wir, meine Frau und ich, waren am Morgen des 24. Dezembers bei richtigem Winterwetter von Stuttgart auf Weihnachtsbesuch zur Familie meines Schwagers nach Osnabrück gekommen. Dort hatten wir es übernommen, am Nachmittag mit unseren drei kleinen Neffen zu Fuß in das nahegelegene Stadtzentrum zu gehen. Das gab den Eltern etwas Zeit für die letzten Vorbereitungen.
Ich blieb also mit zwei unserer Neffen zurück, die mir versicherten, daß wir viel früher zu Hause ankommen würden als Tante Ingrid unter der Führung des kleinen Bruders.
Wir waren dann auch zuerst zu Hause. Bei der nun aber inzwischen gestiegenen Spannung, mit der die bevorstehende Bescherung, die sich jetzt durch letztes Papierrascheln andeutete, erwartet wurde, war unser Spaziergang jedoch schnell vergessen ......
* * *
1987 ..... Die aufgeregten Schreie der Papageien in unserem Garten zeigten an, daß wieder eine der Obstsorten zu reifen begann. War das immer ein Geschrei und Geschnatter, wenn die von uns gerne gelittenen bunten Räuber die Bäume im hinteren Teil unseres Gartens bevölkerten. Welch ein Unterschied zu Deutschland - denn wir waren mal wieder in Australien - zumal jetzt zur Weihnachtszeit.
Es war heute der zweite Weihnachtstag und wir erwarteten den Besuch unserer beiden Patenkinder. Zusammen mit ihren Eltern hatten wir vor mehr als 30 Jahren hier in Adelaide angefangen. Jetzt waren die Kinder fast 30. Während wir in der Zwischenzeit einige Male unseren Wohnsitz gewechselt hatten, waren die Eltern der beiden dort geblieben, wo sie Mitte der fünfziger Jahre ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Der Junge war inzwischen ein Junior - Bank Manager geworden und 2000 km entfernt in Darwin, dem kommerziellen und administrativen Zeitrum des Nord Territoriums an der Timor See, stationiert.
Darwin .... Wie lange war es her, daß ich das kleine Städtchen auf der Suche nach Arbeit - damals noch nach manueller Arbeit - besucht hatte. Jetzt war es fast auf das Zehnfache gewachsen und hatte sich zu einem wirklichen Zentrum mit nahezu 100.000 Einwohnern entwickelt. Natürlich kann er sich das frühere Darwin, trotz meiner Erzählungen, nicht so richtig vorstellen. Aber so ist es ja immer. Auch wir haben die Bilder, die uns in den Erzählungen der Alten beschrieben wurden, stets nur durch die Brille unserer eigenen Vorstellungswelt sehen können.
Er war jetzt seit zwei Jahren verheiratet und der erste Nachwuchs wurde im kommenden Jahr erwartet. Seine um vier Jahre jüngere Schwester hatte auch ihre Ausbildung beendet und war jetzt ebenfalls im Begriff, eine Familie zu gründen, das heißt sie hatte gerade erst geheiratet.
Beide brachten ihre Partner mit. Wir gingen mit Ihnen zusammen essen und saßen dann auf der Terrasse und plauderten. Sie erzählten uns von ihren Erfahrungen und ihren Plänen und wir steuerten etwas von unseren Erinnerungen bei.
* * *
So, wie in meinen Gedanken längst vergangene Tage wieder gegenwärtig werden, wird es bestimmt bei vielen Menschen, vor allem natürlich bei den älteren, sein. Weihnachten ist eine Zeit der Erinnerung. Es sind nicht immer nur schöne und einfache Zeiten, die einem bei so einem Rückblick auf ein abwechslungsreiches Leben in die Erinnerung kommen - wie könnte man das auch vom Schicksal erwarten. Sicherlich gibt es aber bei den meisten Menschen auch Weihnachtstage, an die man gerne noch einmal denkt. Es sind die Erinnerungen daran, die den Blick auf die vor uns liegende Weihnachtszeit beeinflussen können.
>>Fröhliche Weihnachten<<
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