Doch es schien seinen Argwohn erst recht zu erregen.
„Was aber hält Euch dann noch hier?“
„Es gibt hier Dinge, die ich von zu Hause nicht in diesem
Maße kenne.“
„Da bin ich mir sicher.“
Der zynische Ausbruch ließ sie fortfahren: „Bücher, Herr
Peregrin, über wissenschaftliche Themen, von denen man bei uns nicht einmal
eine Ahnung hat, über Völker, die ich nur von der Landkarte kenne. Und Musik -
wie ich sie noch niemals gehört habe.“
Er starrte sie überrascht an, als hätte sie etwas
Ungeheuerliches von sich gegeben.
„Das ist alles?“ fragte er und es klang fast erleichtert.
„Das ist alles.“ bestätigte sie. „Ich mache mir Notizen über
das, was ich lese, Ihr könnt Euch gerne vergewissern.“
Er ließ einige Minuten verstreichen, in denen sie nicht
wußte, ob er ihr Glauben schenken würde.
„Wenn es so ist, Fabiana, dann habt Ihr nichts mehr von mir
zu befürchten.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, verneigte er sich und kehrte
in den Saal zurück. So entging ihm, ihre leise Erwiderung: „Ich fürchte Euch
nicht ...“
Er hielt sein Versprechen. In den nächsten Tagen waren seine
spöttischen Einwürfe ohnehin kaum zu hören.
Es kam der Abend des Maskenballes. Fabiana hätte die
Gelegenheit gern genutzt, für sich zu bleiben. Aber der König wünschte, sie
während des Essens an seiner Seite zu haben. So wollte sie ihm die Freude
machen, da er ihr Gastgeber war. Zu ihrer Verwunderung aber, nahm der König
keinerlei Notiz von ihr, sondern unterhielt sich angeregt und etwas überlaut
mit der Dame zu seiner Linken. Ein wenig erleichtert wollte sie sich daher bald
zurückziehen. Da bewegte sich, kaum das der Tanz begonnen hatte, eine Gestalt
im weiten, nachtblauen Umhang auf sie zu, nahm sie ohne weiteres in den Arm und
führte sie auf die Tanzfläche.
Sie konnte nicht ausmachen, wer es war, denn ihre Erinnerung
wies sie auf keinen derart guten Tänzer bei Hofe hin.
„Das Schicksal hat mich zu einer wundervollen Tänzerin
geführt.“ bekannte unter der Maske hervor eine tiefe, angenehme Stimme.
„Ich danke Euch.“ gab sie freundlich zurück. „Ihr macht es
mir leicht, Euch zu folgen.“
Er blieb die folgenden Stunden beständig an ihrer Seite und
gab keinem anderen die Gelegenheit mit ihr zu tanzen. Dabei zeigte er sich so
charmant und aufrichtig, daß sie sein Verhalten nur akzeptieren konnte, anstatt
sich dagegen zu wehren, wie sie es schon oft zu tun genötigt gewesen war.
Die Hitze im Saal wurde zu vorgerückter Stunde unerträglich.
Fabiana war eine der ersten, die sich mit ihrem Begleiter in den Garten begab.
Auch hier wollte er sie nicht allein lassen. Er suchte die Stelle aus, an der
sie sich auf einer alten Holzbank niederließen und Fabiana bemerkte bald, daß
er sie mit Bedacht gewählt haben mußte, denn in diesen Teil des Gartens
verirrte sich niemand.
Er setzte sich ruhig neben sie und sprach von vielen Dingen,
die ihr erst durch die Bücher leidlich bekannt geworden waren. Sie sagte, was
sie dazu zu sagen wußte, stellte Fragen, die er ausführlich beantwortete und
berichtigte ihn, wenn sie etwas anders gelesen hatte. Dabei begann sie nach
langer Zeit einmal, eine Unterhaltung zu genießen. Sie fragte sich, warum er
ihr nie aufgefallen war, in dem Gedränge der Angehörigen des Hofes. Aber
wahrlich, es waren zu viele.
Plötzlich und unvermittelt stand er auf und entgegnete
ernst: „Es ist Zeit, mich zu verabschieden, bezaubernde Dame. Ich hoffe, der
Abend hat Euch ein wenig Freude bereitet.“
„Ihr ward ein interessanter und angenehmer Begleiter.“ entgegnete
sie. „Ich danke Euch. - Aber sagt, ist es nicht Sitte, am Ende eines
Maskenfestes sein Inkognito zu lösen?“
„Erst um Mitternacht und bis dahin sind es noch fünf
Minuten.“
Damit trat er schnellen Schrittes in das angrenzende
Wäldchen und war bald ihren Blicken entschwunden. Sie nahm die Gelegenheit
wahr, in ihre Räume zurückzukehren und schlief in dieser Nacht gelöster, als
zuvor, in der Gewißheit einen Freund gefunden zu haben.
Manchmal verglich sie nun die Stimme, die ihrem Begleiter
eigen gewesen war, mit denen, die sie in ihrer Umgebung hörte, doch sie konnte
keine Ähnlichkeit erkennen.
Während sie eines Nachmittages auf einem Gartenfest wieder
einmal darüber nachdachte, wer er gewesen sein könnte und so ganz in Gedanken
versunken dasaß, setzte sich ein ihr unsympathischer, fetleibiger Graf neben
sie und fragte sie spöttisch: „Nun, Prinzessin, träumt ihr von der heißen
Nacht, die ihr mit Eurem Galan nach dem Ball verbrachtet. Als sich Eure Körper
aneinanderschmiegten und ihr die Wellen der Lust gemeinsam erklommt?“
Sie hatte nur das Ende mitbekommen, wußte aber nun schon
genug über diese Art Gespräche zu führen, daß sie sich den Rest leicht
zusammenreimen konnte.
„Ihr liegt falsch.“ entgegnete sie kühl. „Es war nichts
dergleichen.“
„Dann ist es also wahr, was man über Euch sagt. Ihr wißt
nichts von der Liebe.“
Er hatte es laut ausgerufen, um die Aufmerksamkeit auf sich
zu lenken. Und tatsächlich traten ein paar der Umstehenden näher heran.
„Ihr spracht nicht von Liebe.“ erwiderte sie freundlich.
„Was sollte es dann gewesen sein?“ Der Graf tat ganz
erstaunt.
„Ihr spracht von einem Akt, der vielleicht mit Leidenschaft
und einer gehörigen Portion Egoismus, aber nichts mit einem ehrlichen Gefühl
für den anderen zu tun hat.“
„Närrchen.“ lachte er. „Liebe kommt, wenn man sie macht,
nicht wenn man davon träumt.“
„Dann definieren wir den Begriff völlig unterschiedlich.“
„Vielleicht teilt Ihr uns Euere Definition ja mit!“ forderte
sie Herr Peregrin auf, der gerade auf die Gruppe zugekommen war, unverkennbar
an seinem sarkastischen Unterton.
„Liebe ist die höchste Form des Lebens.“ kam sie dem fast
unbekümmert nach. „Sie geschieht, wenn sich Menschen, ihrer Unterschiede
bewußt, gegenseitig annehmen. Sie zeigt ihre Blüten darin, sich gegenseitig zu
achten, zu ehren und zu dienen.“
Allgemeines Gelächter machte sich breit.
„Ihr habt Euren Katechismus brav auswendig gelernt.“ grinste
ein junger Mann. „Wartet, bis ich Euch gezeigt haben werde, wie gut Euer
hübscher Körper dazu fähig ist, mir zu dienen, damit ich ihn zur Blüte bringen
kann.“
„Euch werde ich dazu keine Gelegenheit geben. Ihr scheint
mir nicht gerade die Eigenschaften an den Tag zu legen, die ich für unabdingbar
halte.“ sagte Fabiana offen und ungerührt.
„Wir sollten den Pfarrer holen. Hier macht ihm jemand sein
Recht auf moralische Unterweisung streitig.“
„Ja, aber ob sie sich von ihm unterweisen lassen wollte? Und
ob er das wollte? Schließlich ... nun, hat er doch ganz andere weltliche
Neigungen.“
„Huch, sie ist tatsächlich der Meinung, wir lebten hier alle
in Sünde und Leidenschaft wäre etwas abgrundtief Schlechtes.“ quäkte, brummte
und rief es durcheinander.
„Aber nein.“
Die fast nachgiebige aber überzeugte Entgegnung ließ das
wiederaufflammende Gelächter verstummen. Neugierig neigte man sich ihr zu.
„Das Vertrauen, das sich zwei Menschen schenken, mag sich
auch auf ihre Körper beziehen. Die Nähe des anderen ist ein Teil der Liebe und
somit etwas Heiliges. Ihr mögt weiterhin ruhig aus Herzenslust über mich
lachen. Aber auch in der körperlichen Liebe werden sich die wahrhaft Liebenden
Achtung und Ehre erweisen und einander dienen. Und nicht nur die Befriedigung
ihrer eigenen, schnellebigen Bedürfnisse suchen. Denn das würde ihren Hunger
nach Zuwendung doch noch viel tiefer in sie eingraben anstatt ihn zu stillen.“
Sie hatte die Reaktion ihrer Zuhörer richtig vorausgesehen.
Doch es war kein fröhliches Lachen, das sich über ihrem Kopf entlud. Man warf
ihr die unverschämtesten Schimpfworte zu und machte ihr lauthals eindeutige
Angebote.