Barbara I.

Fabiana (Teil 3)

Doch es schien seinen Argwohn erst recht zu erregen.
 
„Was aber hält Euch dann noch hier?“
 
„Es gibt hier Dinge, die ich von zu Hause nicht in diesem Maße kenne.“
 
„Da bin ich mir sicher.“
 
Der zynische Ausbruch ließ sie fortfahren: „Bücher, Herr Peregrin, über wissenschaftliche Themen, von denen man bei uns nicht einmal eine Ahnung hat, über Völker, die ich nur von der Landkarte kenne. Und Musik - wie ich sie noch niemals gehört habe.“
 
Er starrte sie überrascht an, als hätte sie etwas Ungeheuerliches von sich gegeben.
 
„Das ist alles?“ fragte er und es klang fast erleichtert.
 
„Das ist alles.“ bestätigte sie. „Ich mache mir Notizen über das, was ich lese, Ihr könnt Euch gerne vergewissern.“
 
Er ließ einige Minuten verstreichen, in denen sie nicht wußte, ob er ihr Glauben schenken würde.
 
„Wenn es so ist, Fabiana, dann habt Ihr nichts mehr von mir zu befürchten.“
 
Ohne eine Antwort abzuwarten, verneigte er sich und kehrte in den Saal zurück. So entging ihm, ihre leise Erwiderung: „Ich fürchte Euch nicht ...“
 
Er hielt sein Versprechen. In den nächsten Tagen waren seine spöttischen Einwürfe ohnehin kaum zu hören.
 
Es kam der Abend des Maskenballes. Fabiana hätte die Gelegenheit gern genutzt, für sich zu bleiben. Aber der König wünschte, sie während des Essens an seiner Seite zu haben. So wollte sie ihm die Freude machen, da er ihr Gastgeber war. Zu ihrer Verwunderung aber, nahm der König keinerlei Notiz von ihr, sondern unterhielt sich angeregt und etwas überlaut mit der Dame zu seiner Linken. Ein wenig erleichtert wollte sie sich daher bald zurückziehen. Da bewegte sich, kaum das der Tanz begonnen hatte, eine Gestalt im weiten, nachtblauen Umhang auf sie zu, nahm sie ohne weiteres in den Arm und führte sie auf die Tanzfläche.
Sie konnte nicht ausmachen, wer es war, denn ihre Erinnerung wies sie auf keinen derart guten Tänzer bei Hofe hin.
 
„Das Schicksal hat mich zu einer wundervollen Tänzerin geführt.“ bekannte unter der Maske hervor eine tiefe, angenehme Stimme.
 
„Ich danke Euch.“ gab sie freundlich zurück. „Ihr macht es mir leicht, Euch zu folgen.“
 
Er blieb die folgenden Stunden beständig an ihrer Seite und gab keinem anderen die Gelegenheit mit ihr zu tanzen. Dabei zeigte er sich so charmant und aufrichtig, daß sie sein Verhalten nur akzeptieren konnte, anstatt sich dagegen zu wehren, wie sie es schon oft zu tun genötigt gewesen war.
 
Die Hitze im Saal wurde zu vorgerückter Stunde unerträglich. Fabiana war eine der ersten, die sich mit ihrem Begleiter in den Garten begab. Auch hier wollte er sie nicht allein lassen. Er suchte die Stelle aus, an der sie sich auf einer alten Holzbank niederließen und Fabiana bemerkte bald, daß er sie mit Bedacht gewählt haben mußte, denn in diesen Teil des Gartens verirrte sich niemand.
 
Er setzte sich ruhig neben sie und sprach von vielen Dingen, die ihr erst durch die Bücher leidlich bekannt geworden waren. Sie sagte, was sie dazu zu sagen wußte, stellte Fragen, die er ausführlich beantwortete und berichtigte ihn, wenn sie etwas anders gelesen hatte. Dabei begann sie nach langer Zeit einmal, eine Unterhaltung zu genießen. Sie fragte sich, warum er ihr nie aufgefallen war, in dem Gedränge der Angehörigen des Hofes. Aber wahrlich, es waren zu viele.
 
Plötzlich und unvermittelt stand er auf und entgegnete ernst: „Es ist Zeit, mich zu verabschieden, bezaubernde Dame. Ich hoffe, der Abend hat Euch ein wenig Freude bereitet.“
 
„Ihr ward ein interessanter und angenehmer Begleiter.“ entgegnete sie. „Ich danke Euch. - Aber sagt, ist es nicht Sitte, am Ende eines Maskenfestes sein Inkognito zu lösen?“
 
„Erst um Mitternacht und bis dahin sind es noch fünf Minuten.“
 
Damit trat er schnellen Schrittes in das angrenzende Wäldchen und war bald ihren Blicken entschwunden. Sie nahm die Gelegenheit wahr, in ihre Räume zurückzukehren und schlief in dieser Nacht gelöster, als zuvor, in der Gewißheit einen Freund gefunden zu haben.
 
Manchmal verglich sie nun die Stimme, die ihrem Begleiter eigen gewesen war, mit denen, die sie in ihrer Umgebung hörte, doch sie konnte keine Ähnlichkeit erkennen.
 
Während sie eines Nachmittages auf einem Gartenfest wieder einmal darüber nachdachte, wer er gewesen sein könnte und so ganz in Gedanken versunken dasaß, setzte sich ein ihr unsympathischer, fetleibiger Graf neben sie und fragte sie spöttisch: „Nun, Prinzessin, träumt ihr von der heißen Nacht, die ihr mit Eurem Galan nach dem Ball verbrachtet. Als sich Eure Körper aneinanderschmiegten und ihr die Wellen der Lust gemeinsam erklommt?“
 
Sie hatte nur das Ende mitbekommen, wußte aber nun schon genug über diese Art Gespräche zu führen, daß sie sich den Rest leicht zusammenreimen konnte.
 
„Ihr liegt falsch.“ entgegnete sie kühl. „Es war nichts dergleichen.“
 
„Dann ist es also wahr, was man über Euch sagt. Ihr wißt nichts von der Liebe.“
 
Er hatte es laut ausgerufen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und tatsächlich traten ein paar der Umstehenden näher heran.
 
„Ihr spracht nicht von Liebe.“ erwiderte sie freundlich.
 
„Was sollte es dann gewesen sein?“ Der Graf tat ganz erstaunt.
 
„Ihr spracht von einem Akt, der vielleicht mit Leidenschaft und einer gehörigen Portion Egoismus, aber nichts mit einem ehrlichen Gefühl für den anderen zu tun hat.“
 
„Närrchen.“ lachte er. „Liebe kommt, wenn man sie macht, nicht wenn man davon träumt.“
 
„Dann definieren wir den Begriff völlig unterschiedlich.“
 
„Vielleicht teilt Ihr uns Euere Definition ja mit!“ forderte sie Herr Peregrin auf, der gerade auf die Gruppe zugekommen war, unverkennbar an seinem sarkastischen Unterton.
 
„Liebe ist die höchste Form des Lebens.“ kam sie dem fast unbekümmert nach. „Sie geschieht, wenn sich Menschen, ihrer Unterschiede bewußt, gegenseitig annehmen. Sie zeigt ihre Blüten darin, sich gegenseitig zu achten, zu ehren und zu dienen.“
 
Allgemeines Gelächter machte sich breit.
 
„Ihr habt Euren Katechismus brav auswendig gelernt.“ grinste ein junger Mann. „Wartet, bis ich Euch gezeigt haben werde, wie gut Euer hübscher Körper dazu fähig ist, mir zu dienen, damit ich ihn zur Blüte bringen kann.“
 
„Euch werde ich dazu keine Gelegenheit geben. Ihr scheint mir nicht gerade die Eigenschaften an den Tag zu legen, die ich für unabdingbar halte.“ sagte Fabiana offen und ungerührt.
 
„Wir sollten den Pfarrer holen. Hier macht ihm jemand sein Recht auf moralische Unterweisung streitig.“
„Ja, aber ob sie sich von ihm unterweisen lassen wollte? Und ob er das wollte? Schließlich ... nun, hat er doch ganz andere weltliche Neigungen.“
„Huch, sie ist tatsächlich der Meinung, wir lebten hier alle in Sünde und Leidenschaft wäre etwas abgrundtief Schlechtes.“ quäkte, brummte und rief es durcheinander.
 
„Aber nein.“
 
Die fast nachgiebige aber überzeugte Entgegnung ließ das wiederaufflammende Gelächter verstummen. Neugierig neigte man sich ihr zu.
 
„Das Vertrauen, das sich zwei Menschen schenken, mag sich auch auf ihre Körper beziehen. Die Nähe des anderen ist ein Teil der Liebe und somit etwas Heiliges. Ihr mögt weiterhin ruhig aus Herzenslust über mich lachen. Aber auch in der körperlichen Liebe werden sich die wahrhaft Liebenden Achtung und Ehre erweisen und einander dienen. Und nicht nur die Befriedigung ihrer eigenen, schnellebigen Bedürfnisse suchen. Denn das würde ihren Hunger nach Zuwendung doch noch viel tiefer in sie eingraben anstatt ihn zu stillen.“
 
Sie hatte die Reaktion ihrer Zuhörer richtig vorausgesehen. Doch es war kein fröhliches Lachen, das sich über ihrem Kopf entlud. Man warf ihr die unverschämtesten Schimpfworte zu und machte ihr lauthals eindeutige Angebote.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.11.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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