Barbara I.

Fabiana (Teil 4)

Den allgemeinen Tumult nutzend, war Herr Peregrin ganz dicht an sie herangetreten und flüsterte ihr nun hastig zu: „Gebt mir eine Antwort. Schnell! - Was ist nun, wenn einer verderbt, mit oder ohne eigene Schuld, dessen Körper geschändet ist, durch die Stunden leerer Leidenschaft, den Pfad betritt, den Ihr soeben vorgeschlagen habt? Ist er nicht von vorn herein zum Scheitern verdammt, selbst wenn er auf jemanden stoßen sollte, der ihn anzunehmen bereit ist? Wird nicht im Augenblick des Erkennens der Haß auf sich selbst sein weiteres Leben vergiften?“
 
Im Bruchteil einer Sekunde hatte sie begriffen, wer ihr nächtlicher Begleiter gewesen war.
 
„Er wird sich verzeihen dürfen und einen neuen Körper erhalten, mein Freund.“ entgegnete sie ebenso leise und sah ihm dabei in die Augen.
 
Er nickte und schon zeichnete sich sein ironisches Lächeln wieder auf seinen Zügen ab.
„Wahrhaftig.“ erklärte er laut, „Ihr habt mich fast überzeugt.“ und zog sich unter Beifall zurück.
 
Man ließ sie allein mit der Erkenntnis, daß ausgerechnet im größten Zyniker und Menschenverächter des ganzen Hofstaates eine empfindsame Seele wohnte.
 
Sie bemerkte in der folgenden Zeit, daß er sich absichtlich fern von ihr hielt. Doch manchmal fühlte sie seinen Blick auf ihr ruhen, ohne alle Ironie.
 
Eines abends dann, meldete ihr die Zofe, die der König ihr zugeteilt hatte, Herr Peregrin wünsche, sich die Aufzeichnungen anzusehen, von denen sie gesprochen hatte. Sie ließ ihn hereinbitten und breitete die Hefte auf dem Sekretär für ihn aus.
 
„Ihr führt tatsächlich tapfer Buch.“ bekannte er, nachdem er einige davon durchgeblättert hatte.
 
„Habt Ihr mir nicht geglaubt, als ich Euch davon erzählte?“ entgegnete Fabiana.
 
„Menschen sagen viel.“ erwiderte er gelangweilt. „Um sich wichtig zu machen und aus manch anderen mehr oder weniger ehrenhaften Gründen.“
 
„Dann vertraut Ihr niemandem?“
 
„Es würde mir keinen Nutzen bringen.“
 
Sie ignorierte seinen Sarkasmus.
 
„Aber wenn ihr niemandem vertraut, könnt Ihr dann einem Menschen von Herzen zugetan sein? Gibt oder gab es denn keine Menschenseele, die ihr liebtet?“
 
Ihr wurde Angst bei dem Gedanken an den Schmerz, der sich hinter seiner Antwort verbergen mußte und doch wollte sie ihre Frage nicht zurücknehmen.
 
„Liebe. - Oh, ich lernte sie kennen. Früher als mir lieb war. Ich hatte zahlreiche, exklusive Lehrmeisterinnen mit den unterschiedlichsten Wünschen und ich lernte, Ihnen zu gefallen.“
 
Fabiana schlug die Augen nieder.
 
„Verzeiht,“ fuhr er unverändert ironisch fort. „Ich vergaß, daß Ihr den Begriff ganz anders versteht. Eure Frage ging eher dahin, ob ich nie Achtung und Ehre vor jemandem empfunden hätte.“
 
Sie sah ihn an und ihre Augen schienen zu bitten, er möge die Frage ernst nehmen. Er trat von ihr weg und meinte dann, wie nach langem Überlegen: „Aber ja, ich liebe Euch, Fabiana.“
 
Und obwohl er sich bemüht hatte, es so überheblich wie möglich zu sagen, hörte sie seine Stimme in leiser Unsicherheit zittern.
 
Da sie keine Regung zeigte, kam er wieder näher und hob mit zwei Fingern ihren Kopf zu sich.
„Tränen?“ stellte er in seiner gewöhnlichen Art fest. - „Ich ahnte, mein Bekenntnis würde Euch kein Vergnügen bereiten.“ Damit zog er hastig seine Hand zurück und ging zur Tür.
Was sollte sie tun? Er würde einer Erklärung keinen Glauben schenken. So lief sie auf ihn zu und nahm ihn bei der Hand.
 
„Schenkt mir einen Tag.“ bat sie.
 
Stirnrunzelnd drehte er sich um und sah auf seine Hand in der ihren.
 
„Was meint Ihr?“
 
„Schenkt mir einen Tag Eurer kostbaren Zeit. Einen Tag fernab vom Hof.“
 
Sie sah ihn eindringlich an.
 
„Ihr seid sicher, daß Ihr nicht eine Nacht meint?“ fragte er lauernd.
 
„Ich bin ganz sicher.“
 
„Gut. Der nächste Samstag erscheint mir günstig. Wenn wir uns Mühe geben, wird unsere Abwesenheit nicht weiter auffallen.“
 
„Treffen wir uns um 6 Uhr morgens bei den Ställen.“
 
„So früh?“
 
„Ja. Und verwendet nicht so schrecklich viel Sorgfalt auf Euer standesgemäßes Aussehen.“
 
„Ihr scheint Euch ja alles ganz genau überlegt zu haben.“ meinte er nachdenklich.
 
„Nein.“ lächelte sie. „In solchen Dingen kann ich schrecklich spontan sein, fürchte ich.“
 
„Ein Grund mehr ... .“ murmelte er und zog ihre Hand an seine kalten Lippen. Dann war er durch die Tür verschwunden.
 
Sie trafen sich, wie verabredet. Fabiana sah zufrieden, daß er wie ein ganz gewöhnlicher Bürger gekleidet war.
 
„Was habt Ihr nun geplant?“ fragte er.
 
„Wartet.“
 
Auf dem Hof wurde eine Kutsche vorgefahren. Man sah den Koch mit zwei seiner Gehilfen einsteigen.
 
„Kommt.“ befahl Fabiana.
 
„Ihr seid verrückt. Es ist vollkommen albern, was Ihr da vorhabt.“ zischte er zurück, folgte ihr jedoch und hielt sich zu seinem eigenen Erstaunen eine Sekunde später neben ihr auf dem rückwärtigen Trittbrett.
 
Sie ließen sich bis zur Stadt mitnehmen und sprangen kurz vor dem Markt ab. Auf seine Frage erklärte sie ihm, sie würden einen Ausflug machen.
 
„Ich habe eine Karte der Umgebung gesehen. Das Meer ist ganz nahe. Ich war noch nie dort, müßt Ihr wissen; und ich möchte nicht nach Hause zurückkehren, ohne berichten zu können, wie es aussieht.“
 
„Aber von hier aus müssen es fast drei Stunden zu Fuß sein.“ wehrte er entgeistert ab.
 
„Deswegen sind wir so früh aufgebrochen.“ gab sie ihm lachend bescheid.
 
Anfangs sprachen sie wenig miteinander. Doch Peregrin, Meister darin Konversation zu machen, verwickelte sie bald in ein Gespräch über die letzten Bücher, die sie gelesen hatte und beide fanden das Thema unverfänglich genug, um ihre Befangenheit langsam abzulegen.
Er gab sich alle Mühe aufgeschlossen zu bleiben und Fabiana zeigte ihm deutlich, wie sehr sie sich darüber freute.
 
Sie bezauberte ihn durch das Glück, das sie ausstrahlte, durch ihr Lachen und ihre Aufrichtigkeit. Es vergingen kaum ein paar Stunden, da hatte sie ihn mit ihrer Stimmung eingefangen. Er fühlte sich so frei von allem, was sein Leben beschwerte, wie er es nie für möglich gehalten hatte. Er teilte mit ihr den Anblick der Wellen und ließ sich berühren von der Schönheit, die die Landschaft um sie herum zeigte.
 
„Hast Du nicht von mir diesen Tag erbeten?“ fragte er sie, sich selbst in Erstaunen versetzend, als er die vertraute Anrede gebrauchte, die er zuvor nie benutzt hatte. „Und sollte daher nicht ich Dich beschenken? Statt dessen scheinst Du Dir in den Kopf gesetzt zu haben, das alles nur für mich zu tun.“
 
„Du bist ein Geschenk.“ entgegnete sie lächelnd. „Das Schönste, das ich mir vorstellen kann. Ich bin glücklich, Dich so zu sehen, wie Du wirklich bist. - Und nun, sag mir endlich Deinen Namen.“
 
„Du kennst ihn.“ entgegnete er fragend.
 
„Das ist Dein Nachname. Er sagt aus welcher Familie Du stammst.“ erklärte sie ihm, als müsse es für ihn vollkommen neu sein. „Ich möchte wissen, wie Du heißt, Deinen Vorname, weißt Du?“
 
Er sah sie nachdenklich an.
 
„Julien.“ meinte er schließlich. „Ja, ich glaube er ist Julien.“
 
„Wieso sagst Du, Du würdest es glauben?“
 
„Mich hat nie jemand so genannt. Ich fand ihn eines Tages auf meiner Geburtsurkunde, als ich den Nachlaß meiner Eltern ordnete.“
 
Sie sah ihn ungläubig an.
 
„Wirst Du mir erlauben, Dich trotzdem so zu nennen.“
 
„Ich werde es lieben.“ sagte er mit einer Weichheit, die sie nie bei ihm vermutet hätte und er selbst noch weniger. Er streckte seine Hand nach ihr aus und sie rückte näher zu ihm. Und obwohl er geglaubt hatte, ihre Umarmung würde ihn ernüchtern, wollte er sie ihr nicht verwehren. Er fühlte ihre Arme an seinem Rücken und ihren schlanken Körper an seinem. Er fühlte die Liebe, die sie ausstrahlte und den Widerhall in seinem Herzen. Sanft und sehr zärtlich küßte er ihre Stirn und ihre Lippen.
 
Das Erwachen aus diesem Traum war schlimmer, als er vermutet hatte. Fabiana sah, wie er sich in den folgenden Tagen quälte. Er beherrschte seine Rolle bei Hof nur mühsam, und sonderte sich von der Gesellschaft ab, sobald er konnte. Doch er kam nie zu ihr. Um ihm die Lage nicht mehr als nötig zu erschweren, hielt sie sich aus seinem Blickfeld, wo sie nur konnte. Trafen sich ihre Augen doch einmal, so erkannte sie den unverhüllten Schmerz darin.
Und dann eines Tages stand er in ihrem Zimmer und sie wußte nicht einmal zu sagen, wie er hereingekommen war. Sie wollte aufstehen um ihn zu umarmen, aber er bat sie Platz zu behalten und begann ohne Umschweife: „Du kannst nicht länger hier bleiben, mein Herz.“
 
„Warum?“ fragte sie alarmiert und abwehrend.
 
„Bitte, sträub Dich nicht. Es ist zu schädlich für uns und das, was Du Liebe nennst, wenn wir weiter gemeinsam an diesem Ort bleiben. Kehr nach Hause zurück, ich bitte Dich.“
 
„Aber es sind ohnehin nur noch zwei Monate, Julien.“
 
„Du mußt sofort fahren.“
 
Sie wurde blaß und er wußte nicht, mit welchem Argument er sie von der Richtigkeit seiner Aussage überzeugen konnte.
 
„Vertrau mir.“ bat er schließlich.
 
„Ich vertraue Dir. Aber was ist mit Dir?“
 
Ihm wurde bewußt, daß er völlig übereilt gesprochen hatte.
 
„Du sagtest einmal, daß in Deinem Land jeder Gast willkommen sei, unabhängig, wie lange er bleibt. - Werde ich willkommen sein, für die Zeit unseres Lebens?“
 
„Ja.“ lächelte sie überglücklich und eilte nun doch in seine Arme. Er zog sie an sich, unfähig, ihrem Sehnen zu widerstehen.
 
„Wann wirst Du kommen?“
 
„Ich muß hier noch einiges erledigen. Es kann einige Zeit dauern, aber ich werde kommen.“
 
Sie gab sich zufrieden.
 
„Ich werde an Dich denken.“
 
Auf seinen Wunsch hin verließ sie den Hof beim Morgengrauen des nächsten Tages, ohne sich von jemandem verabschiedet zu haben. Sie erreichte zehn Tage später unbeschadet die Burg und konnte es selbst kaum glauben, als sie um die Mittagszeit über die mächtigen Bohlen der großen Halle schritt, ihrer Familie entgegen, die sie so herzlich begrüßte, wie sie es gewohnt war.
 
„Du wirst also den König nicht heiraten.“ meinte Herzog Rothard.
 
„Ihn nicht, Vater,“ entgegnete sie. „Aber bald wird ein anderer kommen und ich bitte Euch alle heute schon, ihn so herzlich aufzunehmen, wie Ihr es heute bei mir getan habt.“
 
Als sie schließlich alles erzählt hatte, was ihr erzählenswert erschienen war, schloß sie: „Es mag in vieler Hinsicht lehrreich gewesen sein, aber ich bin nicht geschaffen, dort zu leben.“
 
„Und der, der hierher kommen wird. Wird er für unser Leben geschaffen sein?“ wollte der Vater wissen.
 
„Er wünscht sich ein neues Leben.“
 
„Dann soll er alle Möglichkeit dazu hier vorfinden.“
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.11.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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