Daniela Springer

Kann man sich von seinen Eltern scheiden lassen?

Am Samstagabend war es soweit. Ja ich betone S A M S T A G  Abend. Der 30. Geburtstag meines hochverehrten und nun in die Jahre kommenden Bruders stand an. Man hat Samstag abends, als 27-jährige Single-Dame,  ja auch nichts besseres zu tun, als die Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Mein Vater –  "Der Pate" nebst seiner besseren  Hälfte (ich nenne sie mal Oberfeldwebel – denn das trifft es wohl am ehesten)  verdonnerten mich und meinen anderen Bruder samt Gemahlin, einen lustigen Familienausflug aus diesem Ereignis zu machen und mit nur einem Auto die 45-minütige Fahrt anzutreten.
 
 
Ich hätte mich darauf besser vorbereiten sollen, doch mein mangelndes (um nicht zu sagen überhaupt nicht vorhandenes)  Organisationstalent sollte sich mal wieder als hinderlich erweisen.
 
 
Wir trotten also alle zum Auto, und der Pate setze sich hinters Steuer, während der Oberfeldwebel Anweisungen gab uns auf die Rückbank zu quetschen und uns anzuschnallen. Das hätte ich auch gerne getan. Ehrlich! Nur war ich leider nicht mehr in der Lage,  auch nur  eines meiner Gliedmaßen zu bewegen. In dem Moment dachte ich ernsthaft darüber nach zum Vegetarier-Lager überzuwechseln, denn so mussten sich die armen Viecher bei Tiertransporten fühlen. Sie hatten ab jetzt mein gesamtes Mitgefühl.
 
Soweit zu gut. Nachdem mein Vater mit penibler Genauigkeit den Stand des Tanks, die Funktionalität der Blinker, die milimeter genaue Einstellung  der Außen- und des Innenspiegels kontrolliert hatte, ließ er endlich den Motor an und setzte sich mit einer ungeheuren Geschwindigkeit von ca. 20 km/h in Bewegung. Man befuhr schließlich eine 30-Zone und man kann ja nie wissen. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ja, ja, genau. Während dessen fragte ich mich, wie ich die Fahrt ohne Sauerstoffgerät und Atemmaske überleben sollte, denn die Frau meines Bruders, nennen wir sie mal drall, quetsche mich dermaßen gegen die Außentür, das sich meine Rippen in meine Lunge bohrten und ich ernsthafte Angst vor inneren Verletzungen und Blutungen hatte. Da war sie wieder die Sache mit dem Organisationstalent. Hätte ich mich besser vorbereitet, hätte ich in meiner Handtasche neben all den anderen überlebensnotwendigen Dingen, wie Lippenstift, Q-Tipps, Müllbeutel und Tackernadeln natürlich auch ein Sauerstoffgerät und eine Atemmaske untergebracht. Verzweifelt kramte ich in meinem Gedächtnis und versuchte mich an eine Folge von McGiver zu erinnern, in der er mittels Kugelschreibermine, Kaugummipapier und einer Haarnadel eben ein solches gebaut hatte. Jedoch ohne Erfolg.
 
Ich nahm mir ganz fest vor dringenst einen VHS-Kurs zu besuchen: „Organisation leicht gemacht – Auch ich kann es lernen“. Es würde sich für die Zukunft bestimmt als nützlich erweisen.
 
Innerhalb der nächsten 5 Minuten Fahrt, warf ich meinen guten Vorsatz – heute einen alkoholfreien Tag einzulegen – über Bord. Denn ich wusste die Rückfahrt würde ich nüchtern nicht überstehen. Und ich bereute es zutiefst in den Weiten meiner Handtasche nicht mindestens eine Flasche Prosecco nebst Korkenzieher verstaut zu haben. Denken wir an das Organisationstalent!
 
 
Grausam wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, denn ich musste feststellen, dass aus dem Radio - man war gezwungen NDR 1 Radio Niedersachsen zu hören - das Geträllere von Karl Gott erklang der über  diese freche, kleine Mistbiene Maja sang. Aber es kam noch schlimmer. Der Rest meiner Familie stimmte in das Gejaule mit ein und mir drehte sich der Magen um. Memo für mich: Unbedingt Reisetabletten – respektive Ohrenstöpsel fürs nächste mal bereithalten.
 
 
Ich startete einen verzweifelten Versuch, an meine – mir zu Füßen stehenden Handtasche – zu gelangen, um mein Handy aus selbiger zu fischen und einen Notruf zu tätigen. Ohne Erfolg. Ich spürte meine Finger und Hände schon gar nicht mehr und war nicht in der Lage auch nur den kleinen Finger zu bewegen. Gut, ruhig bleiben und tief durchatmen. Ok, doch nicht so gut, am besten gar nicht atmen und schon gar nicht tief!  Die Rippen die sich in meine Lunge bohrten erwiesen sich doch als äußerst schmerzhaft.
 
 
Die mangelnde Sauerstoffzufuhr erwies sich jedoch als  gar nicht so schlecht, denn den Rest der Fahrt nahm ich nur noch in einer Art Rauschzustand wahr, da mein Gehirn definitiv mit zu wenig Kohlenstoffmonoxyd versorgt wurde.
 
 
Endlich angekommen, freute ich mich darauf unter normale Menschen zu kommen und hatte nur ein Ziel.  Mir innerhalb kürzester Zeit soviel Alkohol wie möglich reinzuschütten, um für die Rückfahrt vorbereitet zu sein. Das kriegte ich dann auch ganz gut hin und sah der Heimfahrt, fataler Weise, gelassen entgegen.
 
 
Trotz des Einflusses von Alkohol wollte ich es diesmal besser machen. Ich fischte also mein Handy  v o r  dem Einsteigen aus meiner Handtasche und behielt es fest umklammert in meiner Hand. Ha! Überlistet. Diesmal war ich vorbereitet.
 
 
Wir quetschen uns allesamt wieder auf die Rückbank. Merkwürdig. Kam es mir nur so vor, oder hatte meine Schwägerin nach dem 17. Gang zum Buffett noch mehr an Körpermasse zugelegt? Ich fragte lieber nicht nach. Mein Vater fing wieder an aufs penibelste sämtliche Funktionen und Einstellungen seines heißgeliebten Autos zu überprüfen. Mutig, durch die Mengen an Prosecco lallte ich so etwas wie: „Rischtisch Papa, die bösen, bösen Spiegel haben sisch vorhin beschtimmt von ganz alleine verschtellt..und die fiesen Blinker haben auch keine Lust mehr...“
Ich erntete bitterböse Blicke, und mein Vater stellte mir in Aussicht die 50 km auch zu Fuß zurücklegen zu können. Ich gebe zu, dass ich für einen Augenblick ernsthaft über diese Möglichkeit nachdachte. Zog es aber dann doch vor, lieber meinen Mund zu halten.
 
 
Allmählich wurde mir heiß. Der Pate hatte die Heizung auf 90 °C Saunatemperatur eingestellt, und durch meine eingeschränkte Bewegungsfreiheit war ich beim besten Willen nicht dazu in der Lage mich meiner Winterjacke zu entledigen. Die Schweißtropfen rollten mir über die Stirn und tropften mir in die Augen. Na super. Jetzt zerfloss auch noch mein gesamtes Make-up und die Wimperntusche hinterließ schwarze Spuren auf meinem gesamten Gesicht. Meine 3-Wetter-Taft-Frisur, die ja angeblich in bei jedem Wetter hält, hat diese Extrem-Situation auch nicht überlebt. Ich hätte nun ohne weiteres an einer Bundeswehrübung teilnehmen können; den Tarn-Look hatte ich jedenfalls schon mal, und einen biologisch abbaubaren Helm dank der verklebten Haarspray-Frisur inklusive!
 
 
 Oh Gott. Warum nur hatte ich nicht wenigstens eine Flasche Prosecco mit als Wegeproviant eingepackt. Aber was solls hätte mir ja eh nix genützt, aufgrund meiner nicht vorhandenen Bewegungsfreiheit hätte ich mir das Zeug eh nur mittels, Tropf – quasi Intravenös - zu Gemüte führen können. Und darauf – man denke an mein mangelndes Organisationstalent – war ich abermals nicht vorbereitet. Ehrlich gesagt, weiß ich auch gar nicht, ob mein Erste-Hilfe-Koffer mit einem Venentropf ausgestattet ist (ich muß unbedingt dran denken, dass zu überprüfen).
 
 
Na gut, ganz ruhig bleiben, es wird alles gut,  nicht mehr lang, ich schaffe es – meditierte ich vor mich hin. Konnte mich dann aber angesichts des Liedgutes welches aus dem Radio erklang, nicht mehr auf meine Beruhigungsformel konzentrieren. Voller Entsetzen hörte ich zuerst das Lied „Horst ist ein Held“! Da zwang ich mich noch zur Ruhe, doch als dann noch eine Quitschestimme sang „Harry Potter muss Dein Bruder sein“ war es um meine Nerven geschehen. Kaum zu glauben, aber es ging  n o c h  schlimmer! Dem Rest meiner Familie waren diese Gehörgangs-Lähmungs-Lieder bekannt und alle sangen mit!  
 
 
Ich nahm mir ganz fest vor, so schnell wie möglich die Krankenhausakten bezüglich meiner Geburt zu sichten. Ich konnte unmöglich – wirklich unmöglich – von diesen Banausen abstammen. Was ich jedoch merkwürdig fand, mein Vater behauptete vor nicht allzu langer Zeit,  das selbe von mir. Nun gut.
 
 
Fünf grausame Lieder und drei Schweißausbrüche weiter kamen wir endlich am Haus meines Bruders zurück in Hameln an. Die Rückbank leerte sich und ich konnte wieder atmen. Es ist ein unglaublich schönes Gefühl, wenn die Arme und Beine ganz langsam wieder durchblutet werden und die Lähmung allmählich nachlässt.
 
 
Aufgrund dieses tiefen Erleichterungsgefühls konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Es war endlich vorbei.
Mein Vater war angesichts soviel vermeintlicher Rührung und Freude meinerseits über unseren Familienausflug ganz angetan, und versprach mir,  so einen schönen Ausflug so  bald  wie möglich zu wiederholen.
 
 
Ich war zu geschockt um zu widersprechen.
 
Memo für mich: 1.) Unbedingt die Nummer von Amnesty International in meinen Handy einspeichern. Ich werde sie in Zukunft sicher brauchen können! 2.) Herausfinden ob es nach der deutschen Rechtsprechung möglich ist, sich von seiner Familie scheiden zu lassen! 
 
 
 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.11.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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