Bernd Rosarius

Die letzte Zigarette

Seltsam, eigenartig, unvorstellbar.
Ich habe keine Angst mehr, oder doch?
Meine Ohren hören nicht mehr die gewohnten Laute, meine Augen trennen nicht mehr das Hell vom Dunkel. Meine Nase riecht nicht mehr die vertrauten Gerüche. Meine Sinne funktionieren nicht mehr in gewohnter Manier.
Es ist ein anderes riechen, ein anderes hören und ein anderes sehen. Ich bin anders geworden im Angesicht des Todes. Im Angesicht des Todes? Jawohl im Angesicht des Todes.
Vor mir sehe ich  den schwitzenden Nacken meines Kameraden, meines ehemaligen Kameraden muss ich sagen. Sein Helm bewegt sich bei jedem Schritt ein klein wenig auf und ab. Neben mir, ich wage nur einen flüchtigen Blick, marschiert ein  Kamerad, dessen Brille beschlagen ist, und in seinen Mundwinkel sich weißer getrockneter Speichel angesammelt hat. Hinter mir pustet schweratmend ein anderer Kamerad mir seinen schlechten Atem ins Genick. Ich versuche durch das Hochziehen meiner Schulter dieses unangenehme Gefühl loszuwerden. Mein Angstschweiß der sich in meinem Hemdkragen festgesetzt hat, ist noch weniger zu ertragen. Den anderen Kameraden, wohl zwanzig an der Zahl, schenke ich weniger Beachtung.Sie bewegen sich alle im gleichen Rhythmus, sehen alle gleich aus und ich hege auch keinen Zweifel das sie alle das gleiche denken. Ich bin der einzige, der sich von ihnen, auch äußerlich erheblich unterscheidet.Sie müssen mit geschulterten Gewehren marschieren, ich nicht! Sie müssen in ihren grauen Uniformen den säuerlichen Geruch ihres eigenen Schweißes einatmen, ich nicht! Sie müssen ihre Gedanken durch die Last ihrer Helme erdrücken lassen, ich nicht.Arme Kameraden, einst zählte ich zu euch. Ich teilte mit euch das Wasser und Brot, das Erdloch und den Schützengraben. Nun teile ich mit euch ein anderes Schicksal.
Heute werde ich exekutiert, morgen oder übermorgen seit ihr an der Reihe, entweder von den eigenen Leuten oder vom Feind. Ich bin ein Verfemter, ein Vaterlandsverräter, ein Unhold.
Ich müsste mich bedauern aber im Angesicht dieser kraftlosen Truppe kann ich nur lächeln und die Hitze genießen. Der Kamerad vor mir hat zwei kleine Kinder, die  ihren Papa als Kriegshelden bewundern. Er hat mir einmal zwei Fotos gezeigt. Der eine Junge, ich glaube er heißt Klaus, möchte später Soldat werden, der andere möchte zur See fahren. Das Abenteuerblut haben die Kinder bestimmt nicht von ihrem Papa geerbt, wenn ich mir das armselige Würstchen hier betrachte. Kürzlich sagte er zu mir, wenn der Krieg zu Ende ist musst du uns besuchen und eine Woche bei uns in Oberbayern wohnen. Wir haben dort ein sehr schönes Anwesen. Wenn meine Lage nicht so ernst wäre, müsste ich lachen. Ernst ist meine Lage allemal.
Ich lag in der ersten Stellung und sollte auf einen waffenlosen verwundeten Kriegsgegner schießen. Ich verweigerte den Befehl und alles ging dann ziemlich schnell: Eigene Entwaffnung, Abtransport zum Arrest, Standgericht gestern und heute das Ende. Hundesohn nannte mich mein Kompaniechef und mein Gott, wäre ich der Sohn eines Hundes, ginge es mir besser. Ich kann die monotonen Stiefeltritte nicht mehr hören, Gleichschritt eins, zwei, drei. Ich warte auf den Befehl „rührt euch ein Lied“ doch der Befehl kommt nicht, die verstaubten und verklebten Münder meiner Kameraden bleiben stumm. Mir entgeht nichts. Ich stelle fest die Gruppe steht. “Stillgestanden“ ruft der Hauptmann und keiner der Kameraden bewegt sich mehr. Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich etwas, was mich zum Lachen animiert. Ein Soldat versucht verzweifelt seine auf die Nasenspitze verrutschte Brille ohne auffällige Bewegung in die alte Stellung zurückzuzwingen. Das ängstliche Sausen in meinen Ohren nimmt zu. Wir sind am Ziel und ich sehe die unfreundliche Rundsäule, die mich in meiner letzten Sekunde, umschlungen halten wird. Ich spüre plötzlich keine Angst mehr. Endlich weg aus dieser Hölle, keinen Leichengeruch mehr, kein Granatfeuer, keine Schreie und keine Schmerzen mehr. Jetzt spüre ich kräftige Kameradenhände an meinen Armen. Sie führen mich auf die Säule zu. Ich spüre nicht mehr den Boden unter meinen Füßen, ich scheine zu schweben. Die Säule eilt auf mich zu. Hart spüre ich seinen Griff in meinem Rücken und ich erlebe nun am eigenen Körper das, was ich im Kino immer sehen konnte. Arme auf den Rücken, Lederriemen um Säule und Handgelenke, Lederriemen um Säule und Beine. Ein breiter Lederriemen um Säule und Brust. Man will mir die Augen verbinden, ich verneine, will alles sehen, möchte bis zum Ende dabei sein. Mir gegenüber bauen sich die Kameraden kreisförmig auf. Wo ist der Soldat mit der Brille? Ob sie ihm noch immer auf der Nasenspitze sitzt? Grüße deine Frau und Kinder. Ich sehe ihn nicht. Ich spüre nicht die Schärfe der Lederriemen, obwohl sich das Blut in den Adern staut. Eben fragt mich der Hauptmann nach meinem letzten Wunsch. Ich bitte um eine Zigarette, eine letzte Zigarette, Lebensaufschub für drei Minuten. Nein, keinen Gruß an Vater und Mutter, nur das nicht, jetzt nicht an die Heimat denken. Man schiebt mir eine Zigarette zwischen die Lippen, die letzte Zigarette, nur solange habe ich noch Zeit. Was soll ich denken? Die Zigarette hängt in meinem Mundwinkel so leb und willenlos und qualmt vor sich hin. Was soll ich denken? An wen soll ich denken? Warum soll ich denken? Beten, warum? Schreien, weshalb? Weinen, aus welchem Grund? Immer noch hängt die Zigarette leblos in meinem Mundwinkel und verglimmt.
O Himmel es erschallen Befehle. Die Kameraden legen ihre Gewehre an die Schulter. Alles schwimmt vor meinen Augen. Ich sehe Mündungsblitze, spüre den Schlag auf meiner Brust die zu zerspringen droht.Gott lass mich schnell die Klippe überspringen.
  
© Bernd Rosarius 1968

 

    

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.11.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Kälte macht sich breit,
überall in unserem Leben.
Jetzt ist es wirklich an der Zeit,
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Eine Frau entsteigt dem Eis,
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die Gesellschaft zahlt den Preis,
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